Gescheiterter Klimavolksentscheid Berlin: Das Klima verpflichtet zum Handeln

Wenn es verboten ist, ohne Führerschein Auto zu fahren, müsste es auch eine politische Beteiligungspflicht geben, findet unsere Kolumnistin.

Eine Hand steckt einen Zettel in eine Wahlurne

Weniger als 35 Prozent haben gewählt Foto: Michael Kappeler/dpa

Wählen ist eine tolle Sache. Man merkt das nicht unbedingt, wenn man sich bei der Briefwahl konzentriert, die Bögen in die jeweils richtigen Umschläge zu stecken. Aber in einer maroden Grundschule einen Wahlschein in eine umfunktionierte Mülltonne zu werfen, finde ich oft erstaunlich feierlich.

Wer das Recht hat, zu wählen – und es gibt immer noch viel zu viele, denen dieses Recht aus diskriminierenden Gründen vorenthalten wird – hat die Möglichkeit zur Beteiligung. Bloß: Eine Möglichkeit ist keine Pflicht. Zuletzt ist der Berliner Klimavolksentscheid genau daran gescheitert.

Ich weigere mich, pauschal über Nichtwählende herzuziehen. Menschen haben Gründe, warum sie ihre Stimme nicht abgeben, und viele davon sind individuell nachvollziehbar. Meine Mutter zum Beispiel misstraut Po­li­tiker*in­nen. Sie hat in Maos China erlebt, wie Privatsphäre und persönliche Freiheit für eine „größere Sache“ eingeschmolzen und mit Füßen getreten wurden.

Wie das Private nicht nur politisch ist, sondern die Politik sich das Private unterwerfen kann, egal in welchem Toilettenspülkasten du seine Reste noch zu verstecken versuchst. Klar weiß meine Mutter, dass das im heutigen Deutschland anders ist. Aber Demokratie ist für sie nicht das Glück der Beteiligung, sondern das Glück des erlaubten Rückzugs. Andere wiederum haben resigniert.

Raushalten ist ein Problem

Weil es doch zum Beispiel 2021 in Berlin einen erfolgreichen Volksentscheid gab, bei dem sich knapp über 59 Prozent der Wählenden für eine Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne aussprachen, aber das Vorhaben seitdem blockiert wird und bezahlbarer Wohnraum in den meisten Städten weiterhin eher Luxusgut statt Menschenrecht ist.

Und manche erleben nie oder zu selten, dass der Staat sich für sie interessiert. Wem man ständig zeigt, dass er hier nicht gewollt ist, von dem kann man nicht einfach Beteiligung einfordern, ohne auf die eigenen Verfehlungen zu schauen.

Trotzdem ist Raushalten ein Problem. Bei knapp über 35 Prozent lag die Wahlbeteiligung beim Klima-Volksentscheid in Berlin. Ich fand das fast schmerzhafter, als wenn es mehr Nein- als Ja-Stimmen gegeben hätte. Bei der Klimakrise stößt das Prinzip des Dürfens an seine Grenzen.

Es geht ums Überleben

Wenn es verboten ist, in trockenen Wäldern Feuer zu machen und ohne Führerschein Auto zu fahren, wenn es eine Gurt- und eine Brandschutzpflicht gibt – wäre es nicht logisch, dass es in Sachen Klimakrise auch eine politische Handlungs- und bürgerliche Beteiligungspflicht geben muss? Dass es ums Überleben geht, ist längst wissenschaftlich erwiesen.

Klar könnten wir auch dann noch ins Verderben rasen. Eine Kann-mir-nicht-egal-sein-Pflicht könnte niemandem eine Meinung vorschreiben. Aber wegsehen ginge nicht. Die Erde krepiert und das Klima braucht uns, wir brauchen uns.

Dazu muss man sich aktiv verhalten, mindestens. Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung.

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Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr erster Roman 'Wovon wir träumen' erschien 2022 bei Piper. Zuletzt wurden ihre Kurzgeschichten in Das Wetter Buch für Text und Musik und Delfi Zeitschrift für Neue Literatur veröffentlicht.

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