Nur Öko reicht nicht

Das Volksbegehren 2030 klimaneutral ist gescheitert. Das liegt auch an den Ängsten der Menschen, die Folgekosten von mehr Klimaschutz allein tragen zu müssen

Große Enttäuschung am Wahlabend, nachdem das Scheitern des Volksentscheids klar wurde: Tränen im Aktivistenkreis Foto: Florian Boillot

Von Erik Peter

Es war das radikalste Projekt der deutschen Klimabewegung der vergangenen Jahre und hätte ihr größter Erfolg werden können. Doch das Vorhaben, Berlin bereits 2030 auf Klimaneutralität zu verpflichten und die Stadt damit zum weltweiten Vorreiter zu machen, ist krachend gescheitert. Schon eine Stunde nach Schließung der Wahllokale um 18 Uhr zeichnete sich am Sonntag ab, dass die notwendige Anzahl von mehr als 600.000 Ja-Stimmen nicht erreicht werden würde. Auf der Wahlparty der Initiative Klimaneustart im Kreuzberger Umspannwerk machte sich Katerstimmung bei den etwa 200 Ak­ti­vis­t:in­nen breit.

Das Ergebnis sei eine Niederlage, „die uns jahrelang vorgehalten werden wird“, so Aktivistin Marit Schatzmann. Und Luisa Neubauer nannte das Ergebnis „dramatisch für alle Menschen“, auch für jene, die nicht für sie gestimmt hätten.

Laut dem amtlichen Endergebnis votierten zwar 442.210 Menschen und damit eine knappe Mehrheit von 50,9 Prozent für die Initiative, gegenüber 423.418 Nein-Stimmen (rund 48,7 Prozent). Doch das Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten blieb auch angesichts einer insgesamt mauen Wahlbeteiligung von 35,8 Prozent in weiter Ferne. Der Lobbyverein für mehr Bürgerbeteiligung „Mehr Demokratie“ forderte am Montag die Abschaffung des Quorums – dies „untergrabe das Mehrheitsprinzip“. Dort, wo es kein Mindestquorum gebe wie etwa in Bayern und Sachsen, sei die Beteiligung an Volksentscheiden am höchsten.

Deutlich geworden ist abermals eine Spaltung der Stadt zwischen den Kiezen inner- und außerhalb des S-Bahn-Rings. In den sechs Bezirken, die vollständig oder zum Teil in der Innenstadt liegen, lag die Initiative vorn, in den sechs reinen Außenbezirken überwogen dagegen die Nein-Stimmen (siehe Grafik).

Die Ergebnisse spiegeln damit fast exakt jene der Wahlwiederholung vom 19. Februar wider. Innerhalb des Rings, wo die Grünen fast flächendeckend stärkste Kraft wurden, und in den wenigen Wahlkreisen, in denen die Linke vorne lag, gab es eine Mehrheit für den Volksentscheid. Der schwarze CDU-Ring drum herum dagegen lehnte nun auch die Klima-Initiative ab. Manifestiert hat sich damit eine Zweiteilung der Stadt zwischen einem progressiven Zentrum und einer eher konservativen Peripherie. Oder zumindest einer, die sich bei radikalen Politikänderungen nicht ausreichend mitgedacht fühlt.

Die größte Ungläubigkeit unter den Ak­ti­vis­t:in­nen löste die hohe Anzahl von Nein-Stimmen aus. Selbst unter den Brief­wäh­le­r:in­nen lag die Initiative nur knapp vorne. Und in manchen Wahlkreisen erreichte die Ablehnung mehr als 70 Prozent.

Hinfällig ist damit auch die – berechtigte – Kritik daran, dass Volksentscheid und Wahl nicht an einem Termin stattfanden. Wäre es so gekommen, hätte das Nein aller Wahrscheinlichkeit nach überwogen.

Die Frage, die bleibt, ist also weniger, warum so wenige Menschen für den Volksentscheid gestimmt haben, als vielmehr: Was hat so viele Menschen dazu motiviert, gegen schärfere Klimaschutzmaßnahmen zu stimmen?

Fragt man am Tag danach bei der Initiative selbst, wird auf die Macht der Wirtschaft und jene, die an der fossilen Energie hängen, verwiesen: „Deren Narrativ, dass durch mehr Klimaschutz alles teurer wird, hat verfangen“, sagt die Sprecherin von Klimaneustart Berlin, Jessamine Davis. „Die Menschen hatten Angst, dass das Leben durch den Klimaschutz nicht besser, sondern teurer wird, und dass ihnen Sachen weggenommen werden, auf die sie angewiesen sind.“

Die Schuld dafür sieht Davis nicht bei der Initiative. Diese habe „immer gesagt, dass Klimaschutz sozial gerecht sein muss“. Man habe bewusst keine konkreten Maßnahmen vorgeschlagen, wie die schnelle Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 95 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden kann, damit dies die Stadtgesellschaft aushandeln könne, so Davis.

Kritischer mit den Initiatoren ist Michael Efler, einst klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion und nun im Vorstand des Vereins Bürgerbegehren Klimaschutz. Der taz sagt er: „Der Initiative hat die soziale Dimension gefehlt.“ Die Kampagne für den Volksentscheid sei ein rein ökologisches und „kein sozial-ökologisches Bündnis“ gewesen. Es sei nicht gelungen, die möglichen Konsequenzen zu erklären, etwa welche Kosten oder Zumutungen auf die Einzelnen zukommen, wenn sie ihre Verbrenner nicht mehr fahren dürfen oder ihre Gasheizungen austauschen müssen.

Tatsächlich fehlten der Initiative starke Bündnispartner außerhalb der Öko-Szene, etwa aus Gewerkschaften oder Sozialverbänden. Selbst die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen hatte erst kurz vor dem Abstimmungstermin und mit nur knapper Mehrheit ihre Unterstützung beschlossen. Auf Resonanz stieß dann auch Kritik im Vorfeld aus der linken Szene selbst, so etwa das Essay des ehemaligen DW-Enteignen-Sprechers Moheb Shafaqyar in der taz, der angesichts der nicht definierten Umsetzungsperspektive ein Ausspielen der ökologischen gegen die soziale Frage durch den neuen Senat befürchtete.

In eine ähnliche Richtung argumentiert auch die Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch, wenn sie sagt, dass nicht deutlich genug geworden ist, „dass es sich nur noch Reiche leisten können, hier gut zu leben, wenn der Klimawandel ungebremst so weitergeht“ (siehe Interview Seite 23).

Ganz offensichtlich waren mögliche Kostensteigerungen innerhalb der nächsten sieben Jahren vielen Wäh­le­r:in­nen präsenter als noch höhere Kosten in 10 oder 20 Jahren. Nicht zu vermitteln war zudem, warum Berlin ohne Unterstützung und entsprechende Politik des Bundes voranschreiten sollte und allein die höheren Kosten tragen müsse. „Irgendwer muss ja vorangehen“, ist kein massentaugliches Argument.

Eine Rolle gespielt hat zudem die auch im Nachhinein etwa von Franziska Giffey (SPD) noch einmal betonte Frage nach der Realisierbarkeit. Eine Mehrheit der Ber­li­ne­r:in­nen habe gesehen, „dass die Forderungen nicht umsetzbar gewesen wären“, so Giffey.

Der Initiative fehlten starke Partner abseits der Öko-Szene

Trotz ihrer Betonung, daran zu arbeiten, „dass Berlin schnellstmöglich vor 2045 klimaneutrale Stadt wird“, dürfte die Erleichterung bei den kommenden Senatsparteien groß sein. Ein erfolgreicher Volksentscheid in Sachen Klima hätte Vorhaben wie den Ausbau der A100 oder die Bebauung des Tempelhofer Feldes mehr als infrage gestellt und die Notwendigkeit einer echten, von CDU und SPD verteufelten Mobilitätswende offenbart.

Doch die Klimafrage wird auch nach dieser Abstimmung virulent bleiben. Am Montag forderte der Berliner Mieterverein mehr Tempo beim Klimaschutz und der Wärmewende. Mie­te­r:in­nen hätten „ein großes Interesse daran, dass ihre Häuser besser gedämmt und klimafreundlicher mit Wärme versorgt werden“, so Geschäftsführer Sebastian Bartels, sie „wollen nur nicht wie bisher die Dummen sein, die für den Großteil der Kosten aufkommen“. Der Senat müsse Vereinbarungen mit Ver­mie­te­r:in­nen treffen und Mie­te­r:in­nen entlasten.

Weiter machen wird auch die Initiative Klimaneustart. Zusammen mit anderen Initiativen sei bereits ein „Plan B“ entwickelt worden“, so Jessamine Davis. Dabei geht es um die lokale Organisierung, um auf Kiezebene Bürgerinitiativen oder Energiegenossenschaften voranzubringen. Motto: „Wir machen Berlin 2030 klimaneutral selbst.“

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