Nach Springer-Enthüllungen: Vom Clickbait-Boulevard gelernt?

In einem Interview verteidigte Autorin Nora Bossong das Recht auf „Polemik“ und Privatsphäre – und griff die taz scharf an. Hier erläutert sie ihre Kritik.

Zwei Personen lesen die Bildzeitung

Dahinter steckte schon immer ein kluger Kopf: auf dem CDU-Bundesparteitag 2018 Foto: Nikita Teryoshin

Eine Karikatur, in der ein FDP-Minister als Nazi dargestellt wird, kann man witzig oder geschmacklos finden. Als FDP-neutral lässt sie sich kaum bezeichnen. Nun gab es, soweit bekannt, vor Veröffentlichung dieser Karikatur in der taz Ende März keine Whatsapp-Nachricht aus der Chefetage, die eine Schwächung der FDP wünschte. Offensichtlich gab es aber auch keine Nachricht, die den Abdruck untersagte, und man muss sich schon naiv geben, will man behaupten, öffentliche Diffamierungen von Parteien nähmen nicht auch ihre Wahlschädigung in Kauf. Lediglich die Irrelevanz der taz für FDP-­Klientel wird die Wirkung minimal gehalten haben.

Die taz-Redaktion entschuldigte sich im Nachhinein für die Karikatur, „sie hätte so nicht erscheinen dürfen“, solche NS-Vergleiche verböten sich. Entschuldigt hat sich auch Springer-Chef Mathias ­Döpfner für durchgesickerte interne Chatnachrichten, die ihm letzte Woche um die Ohren geflogen waren. Er zog darin verächtlich über Ostdeutsche und Angela Merkel her und wollte die FDP auf 15 Prozent hochgeschrieben haben. In einem Interview zur Affäre stichelte ich, ob es nicht auch Whatsapp-Chats von taz-Redakteuren gäbe, die die FDP unter 5 Prozent wünschten, aktuell kein hochgestecktes Ziel. Die Entrüstung war groß. Natürlich war meine Bemerkung überspitzt. Aber dass die taz ebenso parteipolitisch tendenziös ist wie die Welt, halt links statt rechts, kann nur bestreiten, wer seine eigene Weltsicht für objektiv hält. Eine solche Blindheit aber wäre das eigentliche Problem, nicht die parteipolitischen Tendenzen.

Die Geschichte der Medien ist eine der politischen Einflussnahme. Zeitungen entstanden eng gekoppelt an politische Vereine, erst mit Aufkommen der Massenblätter lösten sie sich von den Parteien, ohne aber völlig ihre parteipolitischen Nähen aufzukündigen. Und das ist gar nicht mal so schlecht, denn es stärkte auch die Meinungspluralität. Lediglich die Öffentlich-Rechtlichen sind klar der Überparteilichkeit verpflichtet, privatwirtschaftliche Medienhäuser nicht.

Die Medienlandschaft um den gefallenen Engel Döpfner malte die Zeit in ihrem „Enthüllungsartikel“ dann aber paradiesischer, als es glaubwürdig ist. Die Ideale Friede Springers, Journalismus müsse Politik begleiten und erklären, nie machen, parteiischer Journalismus wäre eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert, wirkten wie eine allgemeinverbindliche Resolution, die obendrein von allen eingehalten wird – abgesehen von Döpfner natürlich. Die Jungle World überparteilich? Der Cicero nicht tendenziös? Bis vor Kurzem hätte man im linken Milieu solche Zitate der Springer-­Erbin für exquisite Heuchelei gehalten, plötzlich strahlten sie mit Heiligenschein.

Neue Heilige des Journalismus

Es geht gewiss nicht darum, die Springer-Unternehmensführung als vorbildlich oder Döpfner als duften Typen zu verteidigen, sondern um die Frage, welche Art der Berichterstattung wir künftig wollen. Erregungsjournalismus zielt auf reflexhafte Empörung der eigenen Klientel und drapiert Altbekanntes mit twittertauglich provokanten Zitaten. Natürlich kann man sich über die in der Zeit veröffentlichten internen Döpfner-Chats aufregen. Nichts leichter als das – und genau das ist Teil des Problems. Das Allzuleichte ist selten das mit dem größten ­Erkenntnisgewinn. Bild, BamS, Glotze galten schon vor zwanzig Jahren als Instrumente der politischen Machtgewinnung. Ist das toll? Nein. Ist es eine Neuigkeit? Genauso wenig.

Sollte die Zeit vom Clickbait-Boulevard lernen? Lieber nicht. Gerade weil die sozialen Medien, allen ­voran Twitter, Erregung pushen, sollten die seriösen Printmedien dagegenhalten.

Dazu gehört auch, nicht jeden internen Chatverlauf, der einem zugespielt wird, freudestrahlend zu veröffentlichen. Ganz abgesehen von der Frage, ob man hier sensationsdoof den Rachefeldzug Julian Reichelts mitspielt, darf man die Verschiebung der Berichterstattung immer weiter in die Privatsphäre hinein nicht zu leicht nehmen. Die Gedanken sind frei, hieß es mal. Das muss dann auch für Leute mit rechtskonservativen und libertären Ansichten gelten. Oder wollen wir jede Bemerkung, die nie für eine Öffentlichkeit, sondern für vertraute Adressaten bestimmt war, einer Gesinnungsprüfung unterziehen? Ich persönlich wünsche mir das nicht. Wenn etwas strafrechtlich relevant wird, muss ermittelt werden, aber nicht, wenn jemand einfach ein Arsch ist. Bei aller Empörung über andere lohnt es sich vielleicht, mal auf sich selbst zu schauen. Immerhin eine Gewinnerin der Schlammschlacht gibt es: Friede Springer, die neue Heilige des Journalismus.

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