Innovationsunwille in der Politik: Deutschland denkt nichts neu

Klimaschutz, autofreie Städte, Kindergrundsicherung: Deutschland bekommt's nicht auf die Reihe. Da helfen nur noch Wettbewerbe als Treibstoff.

Kinderkreidezeichnung auf der Straße, Blumen, Sonne, Haus

Autofrei: Kinderzeichnung auf der Straße Foto: Stein/imago

Manchmal, wenn ich zu viele Schnaps­pra­linen auf einmal nasche, frage ich mich, was eigentlich nötig ist, damit in Deutschland mal etwas von Grund auf neu gedacht wird. Nehmen wir zum Beispiel den Verkehr. Man kann es drehen und wenden, wie man will, am Ende verlangt nicht nur der Klimaschutz, sondern auch jede halbwegs vernünftige Stadtplanung, dass wir dem Auto Fläche wegnehmen. Nicht, weil wir Autos hassen, sondern weil wir Spazieren, ruhig schlafen und Atmen lieben.

Stattdessen wird rumgekrebst, hier mal ein Fahrrad auf den Boden gemalt und da mal eine „30“. Derweil verheddert man sich über hundert Meter Straße, visionsbefreit und peinlich. Was also tun? Hilft Streik, so wie ihn am heutigen Freitag die Eisenbahngewerkschaft EVG ausgerufen hat? Oder doch lieber schmerzhafter ziviler Ungehorsam wie der von der letzten Generation?

Oder, anderes Beispiel: Familienpolitik. Man kann das verkomplizieren, wie man möchte, am Ende sollen Kinder in Würde aufwachsen, ohne klauen zu müssen und sich Musterungen zu unterziehen. Dennoch verhakt sich die Regierung bei der Kindergrundsicherung und bei der Neuregelung des Geschlechtseintrags. Wie soll da jemand Lust haben, Kinder zu kriegen, um den demografischen Wandel auszugleichen. Schon okay, die nächste Generation Arbeitskräfte bestellen wir dann mit dem gesparten Bundeshaushalt bei Otto.

Visionäre Kräfte, sogar in Deutschland

Praline gefällig? Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, die Antwort ist Wettbewerb. Lassen Sie mich das erklären. In Koblenz, der Stadt, wo ich Autofahren hassen gelernt habe, gab es 2011 eine Bundesgartenschau. Und danach war die Stadt nicht mehr dieselbe. Vorher war Koblenz eine typische westdeutsche Stadt, landschaftlich irre schön gelegen, aber zu Tode asphaltiert. Nach der Bundesgartenschau war Koblenz urplötzlich um eine ganze Reihe von Parks, um autofreie Zonen und Spielplätze reicher, nicht zu vergessen einen Skatepark und einen zweiten Citybahnhof. Nur Parkplätze gibt es weniger als vorher – geht irgendwie auch.

Bundesgartenschauen sind ein Risiko, andere Städte ziehen keine so positive Bilanz wie Koblenz. Aber der Wettbewerb ums schönste Blumenstädtchen setzt offenbar sogar in Deutschland visionäre Kräfte frei. Da, wo ich jetzt lebe, haben wir es einer Bundesgartenschau zu verdanken, dass es den Britzer Garten gibt. Neunzig Hektar Grün, geschützt vor flächenhungrigen Wohnbaufirmen. Nicht mal Wegner und Giffey trauen sich da ran.

Anstatt aus Frust die ganze Pralinenschachtel aufzufuttern, fordere ich also mehr Städteschauen. Eine Bundesfamilienschau zum Beispiel. Da können dann Bad Oldesloe und Halberstadt gegeneinander antreten: im Wettbewerb, wo man kinderfreundlicher lebt. Oder wir können so weitermachen wie bisher und in zehn Jahren gleich die Kinder gegeneinander antreten lassen. Im Fernsehen. Mit Schwertern.

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