Abgang von Fußballer Zlatan Ibrahimović: Zauberer der Selbstbefreiung

Der schwedische Fußballspieler Zlatan Ibrahimović taugt nicht zum Idol. Dennoch ist seine Ich-Bezogenheit faszinierend. Es geht ein Prometheus. Danke, Ibra.

Zlatan Ibrahimović mit weit ausgebreiteten Armen vor dem Publikum

Zlatan Ibrahimović hat weit mehr zu bieten als sein breites Ego Foto: Daniele Mascolo/reuters

Als Zlatan Ibrahimović bei L.A. Galaxy unterschrieb, ließ er in der Stadt Plakate anbringen, auf denen er zu sehen war und darunter stand: You’re welcome, L.A.

Es gibt immer wieder einzelne Spieler*innen, an denen sich Widersprüche und Kämpfe moderner Gesellschaften besonders deutlich zeigen. Zinédine Zidane war diese Art Heroe für Frankreich, Mesut Özil für Deutschland, und Zlatan Ibrahimović ist es für Schweden. Es ist nicht unbedingt falsch, Ibrahimovićs Geschichte als jene eines hyperindividuellen Egomanen zu erzählen, der mit Berlusconi kungelt und ein unerträglicher Machist ist. Allerdings geht dabei ein für meine Begriffe zentraler Aspekt verloren.

Der schwedische Mythos ist der einer sozialdemokratisch geprägten Mittelschichtsgesellschaft. Es ist eine Gesellschaft, die sich als Gemeinschaft denkt und deren Zusammenhalt recht gut im Gesetz von Jante geschildert wird. Das erste Gebot lautet: „Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist.“

Das ist nun freilich ein Gebot, gegen das Zlatan Ibrahimović jederzeit geradezu lustvoll verstieß. Als er einmal mit seinem norwegischen Kollegen John Carew verglichen wurde, antwortete er ungefähr: Was der mit dem Ball kann, mach ich mit einer Orange. Es ist ein Selbstbewusstsein, das ihm oft als Arroganz ausgelegt wird; die es ihm aber gleichzeitig auch ermöglicht hat, diese außergewöhnliche und weltweit gefeierte schwedische Persönlichkeit zu sein, die er ist; einer, der Fallrückzieher aus über 40 Metern versenkt.

Die netten Jungs vor Ibrahimović

Schweden hat sich lange vor Ibrahimović schon gern als weltoffen und modern präsentiert, gerade im Fußball. Seine Vorgänger im Sturm, Martin Dahlin und später dann Henrik Larsson, standen beispielhaft für das Versprechen der Gesellschaft auf einen Aufstieg. Dahlin und Larsson waren (oder mimten) die netten Jungs, die sich den schwedischen Idealen unterwarfen, um so mehr, als dass sie anders markiert wurden.

Für Zlatan Ibrahimović wäre dieser Aufstieg aber nur in Form des Klassenverrats zu haben gewesen. Zu Beginn seiner Karriere hieß es oft, er wäre so erfolgreich, obwohl er in Rosengard, einem Arbeiterbezirk in Malmö, unter prekären Bedingungen aufgewachsen ist. Seine ersten Trainer und Kollegen schilderten ihn auch als zurückhaltend, ja schüchtern und angepasst. Recht bald allerdings begann Zlatan Ibrahimović, diese Erzählung umzukehren: Er sagte, dass er der wurde, der er ist, gerade weil er dort aufwuchs. Mit diesem take stellt er die gesamte Tektonik dieser Klassengesellschaft in Frage.

Zlatan Ibrahimović stellte auch eine Frage an den Fußball, nämlich: Was ist Erfolg? Sein wichtigstes Turnier war rückblickend eines, da war er gar nicht dabei: 2018 bei der WM in Russland. Entscheidender Spieler damals: Jimmy Durmaz. Der hatte diesen Freistoß verschuldet, den Toni Kroos in der 95. Minute in den Winkel setzte, und damit erstens das Weiterkommen der schwedischen Mannschaft gefährdete, was, zweitens, eine Welle rassistischen Hasses gegen Jimmy Durmaz nach sich zog.

Daraufhin solidarisierte sich öffentlich die schwedische Mannschaft in einem rührenden Video, in dem Durmaz angesichts all der Unterstützung in Tränen ausbrach. Die schwedische Nationalmannschaft kam bis ins Viertelfinale, davon allerdings gibt es (im Gegensatz zu Ibrahimovićs Toren) kaum Tiktoks, weil: Beeindruckend war es zwar, aber nicht sehr ansehnlich. Es war der Erfolg eines biederen Kollektivs, dem der solide Zusammenhalt über den Zauber der Selbstbefreiung ging.

Diese Art von Zusammenhalt hat Zlatan Ibrahimović immer abgelehnt, weil sie ihn auf die Rolle des dankbaren Bittstellers reduziert hätte. Sicher taugt Ibrahimović nicht zum Idol; jede gesellschaftliche Frage, die sich an ihm bricht, beantwortet er ohne zu Zögern mit: „Ich“. Faszinierend daran ist, dass es ihn unvereinnahmbar macht; er steht für sich und für alles gleichermaßen. Es geht ein Prometheus. Danke, Ibra.

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