Ferda Ataman zu #MeToo am Arbeitsplatz: „Unnötig schwer, sich zu wehren“

Sexuelle Übergriffe werden viel zu oft bagatallisiert, sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes. Die Zahl der gemeldeten Fälle nehme zu.

Ein Porträt von Ferda Ataman, sie sitzt in der Bundespressekonferenz

Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes Foto: M. Popow/imago

taz: Frau Ataman, wenn heute ein Fall von Machtmissbrauch, sexueller Belästigung oder Nötigung vor Gericht landet, kriegt der schnell den Stempel #metoo: #metoo bei der Polizei, in der Uni, in den Fahrschulen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Gerichte verhandeln heute viel häufiger solche Fälle. Ist das so?

Ferda Ataman: Das ist schwer zu sagen, weil wir in Deutschland keine systematische Erfassung solcher Prozesse haben – weder im Strafrecht noch im Arbeitsrecht. Sexuelle Belästigung kann beide Rechtsbereiche betreffen. Sexuelle Nötigung wie im aktuellen Fall in Baden-Württemberg ist Strafrecht und zählt zu den besonders krassen Fällen, die mit körperlichen Berührungen einhergehen und nicht zwingend mit dem Arbeitsplatz zu tun haben müssen, anders als im Arbeitsrecht. Hier gilt: Der Arbeitgeber muss seine Beschäftigten vor Belästigung schützen, und dazu zählt jedes sexualisierte Verhalten, das von der betroffenen Person nicht erwünscht ist. Das können auch anzügliche Blicke oder pornografische Bilder an der Wand sein. Wir wissen, dass die Zahl der gemeldeten Fälle in beiden Bereichen zunimmt, das sehen wir an der Zahl der Anzeigen und der gemeldeten Fälle von Diskriminierung an die Antidiskriminierungsstelle. Insbesondere im Arbeitsrecht sind Urteile aber weiterhin eher selten. Wenn es überhaupt Verfahren gibt, dann enden sie oft in Vergleichen.

Hat die gesellschaftliche Debatte um #metoo Auswirkungen auf die Rechtsprechung?

In Deutschland wird sexuelle Belästigung leider noch viel zu oft bagatellisiert. #metoo hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass heute viel intensiver über sexuelle Belästigung gesprochen wird. Und ich habe den Eindruck, dass immer mehr Betroffene Belästigung nicht mehr hinnehmen. In der Rechtsprechung wird sich das eines Tages hoffentlich auch niederschlagen. Allerdings müssten wir dafür erst einmal dafür sorgen, dass es leichter wird, gegen Diskriminierung vorzugehen.

Die Journalistin und Autorin ist seit Juli 2022 Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung.

Ist es für Betroffene von sexueller Belästigung durch #metoo nicht bereits einfacher geworden, dagegen vorzugehen?

Nur im Strafrecht, wenn es um Nötigung geht. Da sind die Hürden seit 2016 etwas niedriger. Hier gilt endlich der Grundsatz „Nein heißt nein“. Aber das betrifft leider nur die besonders krassen Fälle, in denen „sexuelle Handlungen an einer anderen Person“ vorausgesetzt werden, also körperliche Berührung. Frauen, die davon betroffen sind, sollten solche Fälle bei der Polizei anzeigen. Die ist verpflichtet, zu ermitteln.

Und beim Arbeitsrecht?

Da hat sich seit #metoo überhaupt nichts getan. Obwohl sexuelle Belästigung schon viel früher anfängt als bei Berührungen. Auch sexistische Bemerkungen und Bilder sind inakzeptabel, wenn sie jemanden stören. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, unser Antidiskriminierungsrecht, ist da durchaus modern und erkennt das an. Aber sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren, ist unnötig schwer. Zum einen sind die Fristen absurd kurz. Betroffene müssen bereits innerhalb von zwei Monaten Ansprüche geltend machen. Zum anderen tragen sie das Prozessrisiko vor Gericht alleine – und sie klagen ja gegen ihren eigenen Arbeitgeber. Besser wären ein Verbandsklagerecht und Klagemöglichkeiten für die Antidiskriminierungsstelle, um Betroffene besser vor Gericht unterstützen zu können. Und längere Fristen: Wir haben immer wieder Fälle, in denen wir sagen müssen, es ist leider zu spät für eine Klage.

„Wenn es überhaupt Verfahren gibt, dann enden sie oft in Vergleichen“

Viele Fälle von sexueller Belästigung landen gar nicht erst vor Gericht, dafür aber bei Ihnen. Wenden sich seit #metoo mehr Menschen wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz an Ihr Beratungsteam?

Ja, eindeutig. Wir hatten im vergangenen Jahr 224 Anfragen zum Thema, vor #metoo im Jahr 2016 waren es nur 107 Anfragen. Aber das sind trotzdem wenig Fälle, wenn Sie bedenken, dass Umfragen zufolge 13 Prozent der Frauen davon berichten, sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Ich kann einerseits gut nachvollziehen, dass viele Frauen sich scheuen, über Belästigungsfälle zu sprechen. Aber ich kann allen Betroffenen nur empfehlen, sich juristische Beratung zu holen. Sexuelle Belästigung ist verboten und niemand muss sich das gefallen lassen.

Die #metoo-Bewegung ging vom Kulturbetrieb aus, strahlte aber in viele andere Branchen hinein. In welchen Branchen wehren sich Menschen eher gegen sexuelle Belästigung – und in welchen nicht?

Interessanterweise gibt es hier kaum Unterschiede. Sexuelle Belästigung kommt überall vor, ob in der Sterneküche, der Bank oder bei der Stadtreinigung, und eben auch im vorgeblich so zivilisierten Kulturbetrieb.

Wie viel bringen Gesetze und Anlaufstellen, wenn sich die Betroffenen aus Angst um ihren Job nicht trauen, Beratung in Anspruch zu nehmen oder gar zu klagen?

Natürlich müssen wir auch über Machtmissbrauch sprechen. Aber erst mal gilt: Wir brauchen Gesetze, um Menschen in solchen Fällen zu helfen. Im Kulturbetrieb gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oft gar nicht, weil es nur im Angestelltenverhältnis gilt und viele freischaffend sind oder kurzfristig beschäftigt. Auch das müsste die Bundesregierung bei der AGG-Reform angehen. Selbstständige sollten in Zukunft gegen sexuelle Belästigung vorgehen können.

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