Kirchentag in Nürnberg: Regenschirm der Inklusion

Der Kirchentag setzte ein Zeichen in Sachen Respekt und Offenheit. Etwas anmaßend allerdings zeigte sich die evangelische Kirche aber auch.

Olaf Scholz beim Kirchentag

Thomas de Maizière und Olaf Scholz: Offenheit auf dem Kirchentag Foto: Daniel Karmann / dpa

Um die Zukunft evangelisch-christlicher Arbeit ist keine Sorge nötig, der 38. Evangelische Kirchentag in Nürnberg bewies dies beeindruckend. Nicht, dass die Haltung, Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterstützen, mehrheitlich gutgeheißen wurde, ist hierbei das entscheidende Argument. Sondern dass der klassische deutsche Pazifismus, „Frieden schaffen ohne Waffen“, geboren aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus, nicht als unappetitlich denunziert wurde.

Deren prominenteste Stimme, die frühere Bischöfin Margot Käßmann, wollte zwar nicht dabei sein, aber jene, die dem Schwarzer-Wagenknecht-Appell folgen, hatten ihre Möglichkeiten zur Artikulation.

Dass sie minderheitlich blieben, dass Po­li­ti­ke­r*in­nen wie Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Sven Giegold wesentlich stärkeren Beifall gezollt bekamen, ist hierbei nicht relevant: Kirchentag ist offenbar, wenn minoritär Gewordenes dennoch Rang behält. Das ist erfreulich vor allem auch deshalb, weil dieser Kirchentag vorzumachen wusste, was in den Debattenmanegen der Bundesrepublik oft nicht mehr funktioniert: Offenheit und Respekt vor dem Anderen schlechthin.

Das Halteschild markiert nur eine Partei wesentlich, und das ist, kein Wunder, die AfD. Kirchentage wie diese große Glaubensgemeinschaft überhaupt sind keinem öffentlichen Player ferner als dieser völkischen Partei. Um den Rest des demokratischen Redens kümmerte sich dieser Kirchentag wie ein auf Intensität angelegtes Sammelsurium grünrot-woker Fragen – und das auch war ausgesprochen sympathisch mitzuerleben.

God is queer

Symbolisiert war dies am stärksten beim Schlussgottesdienst, als der aus Südafrika stammende und in Ostfriesland arbeitende Pastor Quinton Caesar eine furiose Rede hielt, die Agenda fortschrittlicher Politik aufzählte (black lives matter, God is queer etc.), das Publikum tüchtigst Beifall gab – und schließlich der Prediger und Kirchentagspräsident Thomas de Maizière (CDU!) sich in die Arme nahmen. Der Regenschirm der Inklusion konnte weiter nicht gespannt sein.

Ein paar Haare in der Suppe sind indes doch zu finden: Dass die evangelische Kirche (wie auch ihre katholischen Geschwister) glaubt behaupten zu können, für ethische Fragen die bestgeeigneten zu sein. Demokratie sei ohne Christlichkeit nicht zu haben, hieß es. Das ist allerdings mehr als falsch, das ist sogar anmaßend. Die Evangelische Kirche kann Stichworte formulieren, mehr nicht. Demokratie ist der Rahmen für ein Zusammenleben aller, auch der Glaubenslosen, die keine Lust auf Religiöses haben.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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