Sexuelle Belästigung im Vorwahlkampf: #MeToo erreicht Taiwans Parteien

Immer mehr Opfer sexueller Übergriffe wenden sich in Taiwan an die Öffentlichkeit. Sie erheben Vorwürfe gegen Po­li­ti­ke­r*in­nen.

Plakat mit dem Bild taiwanesischen Präsidentin wird von Männern hochgereckt

Vorwürfe gegen ihre Partei: Plakat von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen Foto: reuters

TAIPEH taz | Es begann mit einem Facebook-Post. Chen Chien-jou, ehemals studentische Mitarbeiterin der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, beschuldigte Ende Mai einen Fotografen der Partei, sie am Rande einer Veranstaltung sexuell belästigt zu haben.

Vor allem fühlte sich Chen im Nachhinein innerparteilich nicht unterstützt. So habe die damalige Vorsitzende des Frauenausschusses und spätere Vize-Generalsekretärin der DPP, Hsu Chia-tien, ihr abgeraten, ihre Vorwürfe publik zu machen oder auch nur parteiintern untersuchen zu lassen.

Nach ihrem Facebook-Post, der über viertausend Mal geteilt wurde, traten mehrere Frauen mit ähnlichen Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Diese konzentrierten sich zunächst auf das Umfeld der DPP. Hsu Chia-tien und andere Parteifunktionäre traten von ihren Ämtern zurück.

Präsidentin Tsai und Parteichef William Lai baten die Opfer öffentlich um Verzeihung. Lai, Kandidat der DPP für die Präsidentschaftswahlen im Januar, versprach eine parteiinterne Aufarbeitung und Reform.

Parteipolitische Vereinnahmung

So solle im DPP-Frauenausschuss eine Anlaufstelle für Opfer sexueller Übergriffe geschaffen und verbindliche Sanktionen bei erwiesenen sexuellen Übergriffen im Parteistatut verankert werden.

Die konservative Oppositionspartei Kuomintang (KMT) kritisierte die DPP scharf, geriet nach Vorwürfen gegen eigene Funktionäre jedoch selbst unter Druck. Die Anschuldigungen richten sich unter anderem gegen einen Abgeordneten in der Stadt Hualien und gegen einen hohen Beamten der Stadtverwaltung von Neu-Taipeh. Der Bürgermeister von Neu-Taipeh ist der KMT-Präsidentschaftskandidat Hou You-yi.

Die Politikwissenschaftlerin Wei Mei-chuan von Taipehs National Chengchi Universität befürchtet, dass Taiwans Debatte um sexuelle Übergriffe zunehmend parteipolitisch vereinnahmt wird: „Grundsätzlich ist es eine wichtige Diskussion. Doch wenn sie vor den Wahlen vor allem als Mittel genutzt wird, dem politischen Gegner zu schaden, verliert sie ihre Legitimität. Sexismus ist schließlich ein gesamtgesellschaftliches Problem.“

Doch sieht sie auch ermutigende Entwicklungen. So zeigten die Maßnahmen gegen Beschuldigte, dass deren Taten nicht ungestraft blieben. Auch bereite das Parlament derzeit eine Reform der Gesetze zum Schutz vor sexueller Gewalt vor.

Kulturwandel gefordert

Wei fordert jedoch vor allem einen Kulturwandel: „Taiwan hat an vielen Stellen schon die nötigen Gesetze und institutionellen Mechanismen. Doch in der Realität gibt es oft zu wenig Akzeptanz für Opfer, ihre Rechte einzufordern. In unserer Gesellschaft stehen die Opfer stärker unter Druck als die Täter.“

Vor einigen Jahren, auf dem Höhepunkt der #MeToo-Debatte in westlichen Ländern, sei es deswegen in Taiwan für die meisten Opfer offenbar noch unmöglich gewesen, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen.

Chen Chien-jou hatte ihren Facebook-Post eingeleitet mit den Worten: „Wir können nicht weitermachen, als sei nichts gewesen. Sonst werden wir innerlich langsam sterben.“ Die Sätze stammen aus der taiwanischen Netflix-Serie „Wave Makers“, die im Milieu einer fiktiven DPP-ähnlichen Regierungspartei spielt.

Die Serie thematisiert unter anderem sexuelle Übergriffe innerhalb des Parteiapparats. Als eine junge Mitarbeiterin in einer Szene ihrer Vorgesetzten entsprechende Vorwürfe anvertraut, ermutigt diese sie, an die Öffentlichkeit zu treten. Die von Chien-jou zitierten Sätze stehen in Taiwan inzwischen symbolhaft für die Enthüllungen der letzten Wochen.

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