migration und asyl
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Im Zeichen der Migration

Bundesinnenministerin Nancy Faeser lässt sich zur SPD-Spitzenkandidatin für die Hessenwahl wählen. Dabei schweigt sie zur europäischen Asylreform – bis Jusos in „Not my Europe“-Shirt ans Pult treten

Faeser hält einen Bembel hoch, in dem eine Wurst steckt

Faeser nach ihrer offiziellen Nominierung zur SpitzenkandidatinFoto: Andreas Arnold/dpa

Aus Hanau und Berlin Konrad Litschko

Es geht Schlag auf Schlag. Am Samstag steht Nancy Faeser noch in Hanau, um sich von ihrer SPD zur Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober wählen zu lassen – und die von ihr mitverhandelte europäische Asylreform zu verteidigen. Abends ist sie bei der Eröffnungsfeier der Special Olympics und tags darauf landet die Bundesinnenministerin bereits in Tunis, um dort Migrationsdeals einzufädeln.

„Wir wollen, dass die Menschenrechte von Geflüchteten geschützt werden und das furchtbare Sterben auf dem Mittelmeer aufhört“, erklärt Faeser vorm Abflug. Mit dabei ist auch Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin. Beide wollen ihren tunesischen Amtskollegen Kamel Feki und Staatspräsident Kais Saied treffen, denen zuletzt autokratische Züge vorgeworfen wurden.

Bereits vor einer Woche waren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni und Niederlandes Ministerpräsident Mark Rutte nach Tunesien gereist und hatten 900 Millionen Euro Hilfsgelder für ein Migrations- und Arbeitsabkommen angeboten. 100 Millionen Euro für Grenz- und Rückfühungsmaßnahmen sollen sofort fließen. Tunesien ist derzeit ein zentraler Ausgangspunkt für Fluchten über das Mittelmeer nach Italien.

Für Faeser geht es auf ihrer Reise vor allem um „legale Migrationswege, um dem menschenverachtenden Geschäft der Schleuser die Grundlage zu entziehen“.

Doch nicht alle sind von dem Ansinnen überzeugt, Mitglieder heben das Thema tags zuvor selbst auf die Agenda. Dabei sollte der Parteitag der Landes-SPD als Krönungsmesse für Faeser als hessische Spitzenkandidatin gelten. Die 52-Jährige wurde dort mit Standing Ovations gefeiert und mit 94,4 Prozent zur Spitzenkandidatin gekürt. Von einem „überwältigenden“ Ergebnis, spricht Faeser. Um die umstrittene EU-Asylreform geht es dabei zunächst nicht, dabei beinhaltet sie Lager an der EU-Außengrenze. Ausnahmen für Familien mit Kindern setzte Faeser nicht durch.

Auf der Parteitagsbühne in Hanau sagt Faeser zu der Aslyreform zunächst keinen Satz. Faeser eröffnet ihre Rede damit, dass ihr Herz in Hessen schlage. „Ja, wo denn sonst?“ Seit ihrer Geburt lebt sie in Hessen, saß hier jahrelang im Landtag und Kommunalparlamenten, pendelt bis heute vom hessischen Schwalbach nahe Frankfurt nach Berlin.

Dann schaltet Faeser auf Attacke gegen die CDU. Seit gut 24 Jahre regiere die Partei in Hessen, habe Skandale und Spendenaffären verursacht, einen „sozialen Kahlschlag“, eine „widerwärtige Doppelpasskampagne“, ruft sie in den Saal. „Genug ist genug.“ Deshalb müsse „mit dem heutigen Tag eine neue Ära beginnen“. Eine Ära der SPD, angeführt von Faeser selbst.

Bei der CDU seien populistische Töne „verantwortungslos, gefährlich und auch noch dumm“, poltert sie. In Hessen habe die CDU nach dem NSU-Terror bei der Aufklärung versagt, nach dem Hanau-Attentat keine passenden Worte gefunden: „Allein das ist ein Grund, sie abzuwählen.“ Sie dagegen habe als Bundesinnenministerin von Anfang an dem Rechtsextremismus als größtes Problem bezeichnet. Diesen Kampf würde sie als Ministerpräsidentin „konsequent weiterführen“.

Faeser zählt auf, wofür sie als Bundesinnenministerin noch sorgte: Sie habe die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage wieder eingeführt, einen erleichterten Zuzug von Fachkräften und doppelte Staatsbürgerschaften auf den Weg gebracht. „Ich will handeln.“ In Hessen stehe für sie der Kampf gegen den Fachkräftemangel „an oberster Stelle“, erklärt Faeser. Dass alle Schü­le­r:in­nen einen Abschluss bräuchten, Meisterbriefe kostenfrei sein müssten, es eine bessere Gesundheitsversorgung brauche und ein Zweckentfremdungsgesetz – sozialdemokratische Klassiker. Dazu verspricht Faeser eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, sobald sie im Amt sei.

Immer wieder wird Faesers Rede von Applaus unterbrochen, gerade bei den Ansagen gegen rechts. Den Saal trägt ein Gefühl, dass im Oktober wirklich etwas gehen könnte. Das bekräftigt auch der angereiste SPD-Parteichef Lars Klingbeil, der erklärt, „Nancy ist das Beste, was Hessen passieren kann.“ Auch Kanzler Olaf Scholz schickt ein Video­statement, in dem er Faeser als „fröhlich, entschieden, mit Weitblick“ preist.

Nur: In Umfragen liegt die CDU von Boris Rhein immer noch deutlich vorn, bei knapp 30 Prozent. Die SPD liegt gut rund sieben Prozentpunkte dahinter, aber noch vor den mitregierenden Grünen, die mit Wirtschaftsminister Tarik Al-Warzir in den Wahlkampf gehen.

Faeser beschwört dagegen, dass sie „in Schlagweite“ zur CDU sei. Spätestens in ein paar Wochen werde im Wahlkampf der Bund in den Hintergrund rücken und Landesthemen nach vorn. Zu den Grünen verliert Faeser dagegen kein einziges Wort. Ihr Plan ist klar: ein Zweikampf mit der CDU von Boris Rhein.

Dann aber kommt doch das Thema der europäischen Asylreform auf: Jusos treten mit „Not my Europe“-Shirts ans Pult, kritisieren einen „faulen Kompromiss“. „Kein Mensch, kein Kind gehört in ein Internierungslager“, schimpft eine junge Delegierte. Menschenrechte dürften nicht untergraben werden.

„Beschämend“ und „ein einziges Unrecht“ sei die Reform, so Juso-Chefin Jessica Rosenthal. Die frühere hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti trat aus Protest gar aus der Partei aus: Der Beschluss werde „noch schlimmeres Elend zur Folge haben“, erklärte sie. Er sei „ein Kotau vor den Rechtsextremisten“.

In Umfragen liegt die CDU von Boris Rhein immer noch deutlich vorn, bei knapp 30 Prozent

Am Samstagmorgen sammelt sich auch in Hanau vor der SPD-Parteitagshalle eine kleine Protestkundgebung. Vor „Elendslagern“ an der EU-Außengrenze wird dort gewarnt. „Nancy Seehofer?“, fragt ein Schild.

Faeser hatte bereits im Vorfeld mit einer Videoschalte mit den hessischen Jusos Kritik auszuräumen versucht. Auf dem Parteitag geht sie gleich nach Ankunft auf die Parteijugend zu, bittet um Zusammenhalt. „Nur gemeinsam“ werde man bei der Wahl erfolgreich sein.

SPD-Landrat Wolfgang Schuster erklärt, die Kapazitäten der Kommunen, um Geflüchtete aufzunehmen, sei „zu Ende“. Die Asylreform sei ein Kompromiss, der die Gesellschaft zusammenhalte. Auch Hanaus SPD-Oberbürgermeister Claus Kaminsky dankt aus „kommunaler Betroffenheit“ Faeser. Jahrelange sei darüber erfolglos verhandelt worden, nun gebe es „endlich eine Lösung“. Beschlossen wird ein Antrag des Landesvorstands: Die derzeitige Lage an der EU-Grenze sei „nicht akzeptabel“ und die Reform „besser als der Status quo“, heißt es darin. Man werde im weiteren Verfahren für humanitäre Standards kämpfen.

Das gemeinsame Ziel sei doch, so Faeser, dass das Sterben im Mittelmeer aufhöre. Das Individualrecht auf Asyl werde nicht angetastet. Dann lobt Faeser, sie sei stolz, „dass wir so starke Jusos haben, die sich für die Belange der Geflüchteten einsetzen. Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck.“ Die hatten bereits zuvor versichert, dass sie – bei aller Kritik – Faeser im Wahlkampf unterstützen.