Ausstellung zu Kolonialismus in Nordeuropa: Kein Salzwasser dazwischen

Das Kunsthaus Hamburg blickt auf Kolonialismus in den nordischen Ländern. Die Samen wurden jahrhundertelang ausgebeutet und zwangsassimiliert.

Die Installation von Outi Pieski

Die Frauenkopfbedeckung Ládjogahpir ist Thema dieser Arbeit Foto: Hayo Heye

HAMBURG taz | Sklaverei, Imperialismus, Kolonialismus. Über Jahrhunderte hat der globale Norden den globalen Süden ausgebeutet und fremdbestimmt, sich dessen Ressourcen und Arbeitskraft angeeignet und ihm seine Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen übergestülpt. So zumindest die sehr einfache Erzählung hegemonialer Weltordnung.

Übersehen wird dabei, dass auch auf der nördlichen Hemisphäre und innerhalb Europas kolonisiert wurde. Die britische Herrschaft in Irland, der Kolonialismus des zaristischen Russlands oder die Zerteilung Sápmis, dem staatenübergreifenden Siedlungsgebiet der Samen durch norwegische, schwedische und finnische Staatsgrenzen. Letzteres thematisiert nun die Kunstausstellung „Speaking Back. Decolonizing Nordic Narratives“ im Kunsthaus Hamburg.

Die bildende Künstlerin Hannimari Jokinen ist eine der drei Kuratorinnen der Ausstellung und in Hamburg für ihre unermüdliche Arbeit zum deutschen Kolonialismus bekannt. „Das ist das erste Mal, dass wir in den Norden und nicht nach Süden blicken“, sagt sie anlässlich der Eröffnung und bezieht das auch auf den Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, dem sie seit 20 Jahren angehört. „Speaking Back“ widerspricht der verbreiteten Auffassung, zwischen Mutterland und Kolonie müsse stets Salzwasser liegen, damit von Kolonialismus gesprochen werden könne. So präsentiert die Ausstellung Arbeiten samischer und nichtsamischer Künst­le­r:in­nen und erzählt Geschichten, die auch nach Hamburg führen.

Denn die erste Völkerschau des Gründers des Hamburger Zoos, Carl Hagenbeck, galt im Jahr 1874 – also noch vor Gründung der deutschen Kolonien – den „Lappländern“. Dass Samen noch bis weit ins 20. Jahrhundert als fremdartig genug galten, um sie zum Zweck der Unterhaltung zur Schau zu stellen, zeigt die Videoinstallation „Campfire in a Zoo“ (2019) von Annika Dahlsten und Markku Laakso. In den 1930er Jahren tourte der Großonkel von Laakso als einer von 30 Samen-Darsteller:innen durch Europa. Geredet wurde darüber in der Familie später nicht mehr. Erst die Aufzeichnungen eines der Mitreisenden gab Laakso Einblicke in das Leben seines Vorfahren.

Geschickter Umgang

Sechs Bildschirme zeigen kurze Szenen der Reise, von der Anwerbung der Dar­stel­le­r:in­nen bis zur Inszenierung eines Hochzeitsrituals, das dem Publikum der „Polar-Schau“ jeden Tag pünktlich um 13 Uhr geboten wurde. Geschickt vermeidet die Videoinstallation die Reinszenierung der exotisierenden Schau, indem Knetpuppen mittels Stop-Motion-Technik die Rolle der Akteure übernehmen. Wo die Per­for­me­r:in­nen der stereotyp inszenierten Samenkultur mit ihren 52 Rentieren auftraten, verkauften sie Kunsthandwerk und Fotos von sich. „Die letzte Schau fand erst 1950 statt, es waren verschiedene Generationen von Per­for­me­r:in­nen beteiligt. Die Erfahrungen können also nicht nur negativ gewesen seien; sie haben es wohl als Arbeitsreise verstanden“, erklärt Annika Dahlsten.

Zu den prominenten Ver­tre­te­r:in­nen der Ausstellung zählt Britta Marakatt-Labba, die 2017 als Teil der Sámi Artist Group auf der documenta 14 vertreten war und deren Arbeiten zuletzt auf der Venedig-Biennale 2022 gezeigt wurden. In Hamburg widmet sich die Künstlerin in der konzeptuell angelegten Installation „Rahkkan“ (1986/2014) der nationalsozialistischen Besatzung Norwegens in den 1940er Jahren aus Sicht ihres Vaters.

Ein als Leinwand fungierender, von dunkler Patina überzogener Mehlsack der Wehrmacht steht für diese Zeit. Auf ihn genäht sind Abbildungen von Gewehren und Patronenhülsen als Symbole der Besatzung, denen der kleine gezeichnete Rentierzug nichts entgegenzusetzen hat. Er verweist auf Marakatt-Labbas Vater, der während der Besatzung Rentiere hütete. Bezeugt wird das durch die Kopie eines abgewetzten deutschen Passierscheins, der dem Hirten den Übertritt nach Schweden erlaubt, ihm aber bei Strafe verbietet, Flüchtenden den Grenzübertritt zu ermöglichen. Als die Nazis Ende des Zweiten Weltkriegs Norwegen verließen, hatten sie die Samen von ihrem Land vertrieben und verbrannte Erde hinterlassen.

Kolonialismus in wandelnder Gestalt

Die deutsche Besatzung war nur eine Phase in der Fremdbestimmung Sápmis, die ihren Anfang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm. Da hatte Norwegen seine Assimilationspolitik eingeleitet, Internate etabliert und dort das Sprechen samischer Sprachen und das Ausleben samischer Kultur verboten.

Norwegen etablierte Internate und verbat dort das Sprechen samischer Sprachen und das Ausleben samischer Kultur

Als sich Norwegen in den 1950ern von dieser Politik verabschiedete, wurde die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe zum vordringlichen Problem der samischen Bevölkerung. Der Bergbau verunreinigte Flüsse, das Holz der Wälder lockte Akteure wie das schwedische Staatsunternehmen Sveaskog und jüngst nehmen Windkraftanlagen und mit ihnen neue Straßen und Stromleitungen das Land in Beschlag und sorgen dafür, dass das Weideland für die Rentierzucht schwindet.

Den Anspruch, sich samische Kultur wieder anzueignen, unternimmt die Fotoarbeit „The 47 Most Wanted Foremothers“ (2019) von Outi Pieski – und tut das geradezu verspielt und in starker Anlehnung an Pop-Art. Die unabgeschlossene Arbeit zeigt auf 48 C-Prints Exemplare der Frauenkopfbedeckung Ládjogahpir, die bis Ende des 19. Jahrhunderts von Samen in Norwegen und Finnland getragen wurde. Wie auf Andy Warhols Marylin-Monroe-Porträts sind die hochaufragenden und reich verzierten Kappen vor grelle monochrome Hintergründe gestellt.

Anders jedoch als bei Warhol handelt es sich nicht um farbliche Varianten der selben Abbildung, sondern um Fotos individuell gefertigter Einzelstücke. Angaben zur Provenienz jeder Kopfbedeckung betonen den dokumentarischen Charakter der Serie. Die fotografische Wiederaneignung ist für die Künstlerin Pieski und die Archäologin Eeva-Kristiina Nylander Teil einer feministischen Praxis, die mit der Forschung zu Herstellungstechniken und Gestaltungsformen einhergeht.

Eine einzige der Kopfbedeckungen soll noch im Besitz einer samischen Familie sein, alle anderen lagern in Depots europäischer Museen – so auch im Hamburger Museum am Rothenbaum, dessen Sammlung samischer Kulturgüter zu den größten in Deutschland gehört. Das Museum hat der Ausstellung eine Kopfbedeckung aus seiner Sammlung geliehen. Das dreidimensionale Objekt beglaubigt die Fotografien und stellt die Relevanz der Fotoserie für Hamburg heraus.

Auch wenn kein anlandendes Schiff den Beginn der Kolonisierung des samischen Siedlungsgebiets, keine unabhängige Staatengründung den Beginn der postkolonialen Phase definiert habe, seien die Parallelen zur Kolonisierung des globalen Südens klar zu benennen, so die Kuratorin und finnische Museumsexpertin Áile Aikio. Im Norden Skandinaviens sei die Christianisierung ebenfalls Teil der Strategie gewesen, die samische Bevölkerung von ihrer Kultur und ihrer religiösen Verbindung zum Land zu trennen, beuteten Minen, Waldbau und Kraftwerke die natürlichen Ressourcen aus und würden Entscheidungen über das Leben in Sápmi in mehr als tausend Kilometer entfernten Hauptstädten getroffen. Aikio spricht von einer Kontinuität der Fremdbestimmung: „Die Kolonisatoren sind nie abgezogen.“

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