Kolumbien im Fussballfieber der WM: Sexismus, Stolz und Spiele

Fußball-Kommentatoren sprechen vom „jungfräulichen Tor“, nennen Spielerinnen „Puppe“. Weil das Team so gut spielt, ändert sich das langsam.

Eine Fußballspielerin ballt die Faust beim Jubeln.

Starke Leistung für das Macholand: Kolumbiens Daniela Arias jubelt nach dem Sieg gegen Jamaika Foto: Hamish Blair/ap

BOGOTà taz | Auf manche Beschreibungen muss man erst mal kommen. „Die Jungfräulichkeit des kolumbianischen Tors ist bewahrt“, sagte Javier Hernández Bonnet beim Auftaktspiel der kolumbianischen Nationalmannschaft bei der WM gegen Südkorea. Bonnet ist als Fußballkommentator eine Legende in Kolumbien. Aber seine Analyse der Arbeit der Torwartin Catalina Pérez kam gar nicht gut an.

Am schönsten brachte es Journalismus-Legende María Jimena Duzán auf den Punkt. „Das ist nicht nur sexistisch, sondern lächerlich pornografisch, weil er das Tor mit der Vagina der Frau vergleicht und den Fußball mit dem Penis des Mannes.“ Duzán hat sich in einer Kolumne auch andere Ausrutscher der Kommentatoren der Fußball-WM vorgeknöpft. Spielerinnen nennen die alten Herren „niñas“, Mädchen. Spieler im selben Alter hingegen Männer. Und wenn eine Spielerin ihre Kraft zeigt, heißt es nicht: Sie schießt gut. Sondern sie sagen: Obwohl sie hübsch ist, tritt sie zu.

Javier Fernández Franco, wegen seines nicht endenden Tooooooor-Jubels „Sänger des Tors“ genannt, hat sich ebenfalls – nicht nur bei Frauen – einen Shitstorm eingefangen. Der Veteran griff beim Spiel gegen Deutschland verbal ins Klo. 60. Minute, Kapitänin Alexandra Popp trat zum Freistoß an. „Heute wirst du nichts machen, Puppe. Du schaust schon hübsch aus und so, aber tut mir leid“, giftete er.

Dazu passt das Fazit von María Jimena Duzán, Legenden hin oder her: „Aber verdammt, es ist Zeit, dass sie sich modernisieren, dass sie ihre Phallokratie verlassen, dass sie endlich kapieren, dass wir Frauen weder aus Adams Rippe entstanden noch wandelnde Vaginas sind.“

Ein Spiel wird um 4.30 morgens übertragen

Die Frauen-WM in Australien und Neuseeland – im Macholand Kolumbien wird sie nicht nur genutzt, um noch einmal an die Errungenschaften der hiesigen Profi-Fußballerinnen zu erinnern, die trotz miesester Bedingungen (sexuelle Belästigung, Hungerlöhne) und Sabotage der kolumbianischen Fußball-Föderation international erfolgreicher sind als ihre Kollegen. Es wird auch immer sensibler auf die Sprache geschaut, auf die Leistung der Athletinnen. Wobei – wer kann da schon mitreden?

Laut Fifa-Zahlen sollen beim ersten Spiel der Nationalmannschaft drei Mal so viele Menschen zugeschaut haben als beim gefragtesten Spiel der vorherigen Frauen-WM. Und sogar mehr als bei der Männer-WM. Das war an einem Dienstagabend, 21 Uhr, gegen Südkorea. Seitdem halten sich die Fifa und offenbar auch kolumbianische Medien bedeckt mit Zuschauerzahlen der Übertragungen.

Zeitlich ging es für die Menschen hier seitdem bergab. Gegen Deutschland (4.30 Uhr an einem Sonntag) versandeten alle Versuche der Autorin, im Freundeskreis Menschen zum geteilten Fußballerlebnis zu finden. Wer sich das antat, kroch danach umgehend ins Bett zurück. Historische Partie, hieß es danach.

Donnerstag um 5 Uhr gegen Marokko – das ist nichts für Berufstätige. Beim Spiel Kolumbien gegen Jamaika, Dienstagmorgen um 3 Uhr, verriet der Blick durchs Fenster in Bogotá: In der Nachbarschaft waren höchstens drei andere Irre um die Zeit dafür auf.

Noch nie war eine kolumbianische Mannschaft so erfolgreich

Öffentliche Live-Übertragung, Fußballgucken im Kollektiv – nix gehört davon. Es klingt auch zu abgefahren, in einer Stadt wie Bogotá in der Nacht irgendwo in der Kälte herumzustehen, wo die meisten Menschen schauen, dass sie mit Anbruch der Dunkelheit sicher zu Hause sind. Kein Vergleich zu den WMs in anderen Zeitzonen, wo man in Kolumbien am Gebrülle in den Nachbarhäusern schon das Tor erkannte, bis es in der wackligen Internetübertragung fiel.

Bizarr: Noch nie war die Mannschaft so erfolgreich, in den 24 Stunden nach den Partien bersten die sozialen Netzwerke vor Stolz auf die Spielerinnen – aber es haben wohl eher wenige die Spiele in Kolumbien live gesehen. Mal sehen, wie das diesen Samstag im Viertelfinale gegen England wird – 5.30 Uhr lokaler Zeit in Kolumbien. Um die Zeit dürfte nach der durchgetanzten Partynacht die Sonne aufgehen.

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stammt aus dem Bayerischen Wald und berichtet seit 2017 überwiegend aus Kolumbien. Sie ist Mitglied des Reporterinnen-Teams von #tazFolgtDemWasser und Mitgründerin des Magazins „Südamerika+Reporterinnen“ auf der genossenschaftlichen Journalismus-Plattform-„RiffReporter“.

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