Judith Poppe über die Justizreform in Israel
: Das Land brennt

Wer auch immer noch daran gezweifelt hat: Seit Dienstag, als die israelische Regierung allen Protesten zum Trotz das erste Kern­ele­ment der Justizreform durchgepeitscht hat, dürfte allen klar sein, dass die Regierung es ernst meint mit ihrem Staatsumbau.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat einen Golem erschaffen: sein brandgefährliches Kabinett, bestehend aus bedrohlichen Ideologen und Siedlern, die wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt sind. Groß gemacht hat er diese Leute, um sich vor einer potenziellen Haftstrafe in seinem laufenden Gerichtsprozess in Sachen Korruption zu retten. Nun hat er vollends die Kontrolle über sie verloren.

Das Land brennt, die Hälfte der Israelis ist auf den Straßen, es droht eine gewalttätige Eskalation der Lage, Un­ter­neh­me­r*in­nen ziehen ihr Geld ab, das Verhältnis zu den USA kühlt sich immer weiter ab und mehr als Zehntausend Reservisten verweigern den Dienst – und das in Israel, das so sehr auf die Einheit der Armee setzt. Der einstige Taktiker und Zauberer Netanjahu, das glauben zumindest die meisten, sieht all dies – im Gegensatz zu den Ideologen in seiner Regierung, die glauben, im Auftrag Gottes zu handeln und denen weltliche Steine auf dem Weg zu ihrer Vision egal sind: Sie wollen ein nationalreligiöses Regime errichten, ein Großisrael, das auch die palästinensischen Gebiete umfasst.

Am Dienstag hat der Abbau der Demokratie mit einem Paukenschlag begonnen. Verloren ist sie nicht. Noch stehen einige wichtige Säulen, auf denen sie ruht. Die beeindruckende Protestbewegung, die sich seit mehr als einem halben Jahr auf den Straßen zeigt, hat den Prozess des Staatsumbaus erheblich verlangsamt. Und alles sieht danach aus, als wenn die Liberalen nicht bereit sind, ein autoritäres, theokratisches Regime zu akzeptieren. Ob die Regierung die Zerstörung der Demokratie nach der Sommerpause der Knesset weiterführt, hängt nun vor allem von Israels Zivilgesellschaft ab.

das thema