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: Lieber Team Dogma als Team Arschloch

Nacktheit, Rauchen, Polenwitze, alles heute anstößig. Muss, soll, will man vor allem warnen? Der Lästerfinger juckt – aber ein Blick in die Kommentarspalten killt jede Spottlust

Finger auf dem Trigger, pardon, dem Abzug: Otto in einfacheren Zeiten Foto: United Archives/kpa/imago

Von Uli Hannemann

Schon länger haben wir uns an die Triggerwarnungen im Vorspann internationaler Serienproduktionen gewöhnt: „Nacktheit, Gewalt, Alkoholkonsum, Rauchen, Schimpfworte, sexuelle Inhalte“ und vieles mehr.

Nun zieht auch der weltläufige WDR nach und kontextualisiert in seiner Mediathek aus der Zeit gefallene Beiträge von Otto Waalkes und Harald Schmidt mit einem Warnhinweis: „Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.“

Erwartungsgemäß tobt nun das betagtere Volk. Und da ich dazugehöre, grunze ich mal in Ermangelung einer rationalen Begründung aus dem Bauch heraus: Mein Ding ist das im Grunde ebenfalls nicht. Ich komme wohl nicht aus meiner alten Haut, obwohl es mich heute zuweilen mit ungläubiger Scham erfüllt, was für strukturell gegen Unten gerichtete Inhalte wir in jungen Jahren unter dem Label „lustig“ bedenkenlos durchwinkten.

Aber kann, muss, soll, will man vor allem warnen? Müssen sich nicht zum Beispiel Leute mit schweren Gewalterfahrungen, bei denen allein ein bestimmter Geruch eine PTBS eskalieren kann, von einem derart niedrigschwelligen Triggerbegriff verarscht vorkommen, wenn da gleichzeitig eine auf dem Triggerticket mitfährt, weil vorm Schwimmbad kein Schild vor gradueller Nacktheit warnt? Ist es verhältnismäßig, jede Seele vor einem Herrenwitz von Otto, einem Polenwitz von Schmidt – so outdatet und scheiße sie zum Teil zu ihrer Zeit schon waren – zu behüten, während überall um uns herum

TRIGGERTRIGGERTRIGGER

gemordet, gestorben, vergewaltigt, abgeschoben, eingesperrt wird?

Eigentlich wäre das Thema in meinen Augen übersteigerter Korrektheit für den Satiriker in mir ein Elfmeter ohne Torwart. Da jucken mir die Lästerfinger. Doch bereits ein kurzes Eintauchen in den Pfuhl des Bösen, die Kommentarspalte der Berliner Zeitung unter dem einschlägigen Artikel, killt auf der Stelle jede Spottlust. Dort wird um die Wette gegeifert als ginge es – scheiß aufs Klima – um den Untergang der Menschheit. In diese Kerbe mag ich nicht auch noch schlagen; eventuelle Zwischentöne würden sowieso übersehen, und meine Worte wie falsche Puzzleteile mit dem Hammer in das allgemeine Wutgebrüll eingepasst werden. Q. e. d.

Tausende kleine Käfer wuseln unter dem Stein hervor, den die Berliner gelüftet hat, um, vom Tageslicht aufgeschreckt, empört zu brummen: „Iran 2.0 … Gesinnungswahn … Was ist nur aus diesem Land geworden … Ausdruck einer tiefgreifenden und ungesunden Ideologisierung der Gesellschaft.“

Damit mag ich mich nicht gemeinmachen; das treibt mich gegen sämtliche Vorbehalte direkt ins woke Lager. Es hat den gleichen Effekt wie der unproportionale Umgang mit der Letzten Generation. Bis dahin relativ leidenschaftslos, spendete ich denen sofort am ersten Tag des anhebenden Terrorismusgelabers. Denn richtig zugehörig fühle ich mich zwar keiner Mannschaft, aber lieber Team Dogma als Team Arschloch.

Und es macht auch, verdammt noch mal, einfach nichts. Man kann die Filme ja sehen, ungeschnitten und frei zugänglich, wenn man das noch will. Man kann sich über die Warnungen beömmeln oder ärgern. Wer das für nötig hält, kann sie sogar beherzigen – dafür sind sie schließlich da. Denn letzten Endes obliegt es ja doch nicht der Beurteilung Außenstehender, wer wovon getriggert wird. Und alle anderen lesen irgendwann so automatisch darüber hinweg wie über die ellenlangen Hinweise vor „Killing Eve“ oder „Yellowjackets“: Gewalt, Nacktheit, schlechte Witze, gähn …