Polizei in Sachsen bleibt gerne doitsch: An Diversität nicht interessiert

Sachsens Polizei wirbt nicht gezielt um Nachwuchs mit Migrationsgeschichte. Und daran soll sich auch nichts ändern. Dafür bekommt sie viel Kritik.

Zwei Polizisten hinter einem Absperrband

In Sachsen bleibt man lieber unter sich. Auch die Polizei Foto: Benedict Bartsch/xcitepress/imago

LEIPZIG taz | Gerade einmal 16 Be­dienstete ohne deutschen Pass arbeiten bei der Polizei in Sachsen. 16 Bedienstete von mehr als 14.000. Wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte in der sächsischen Polizei tätig sind, lässt sich hingegen nicht sagen, weil Sachsen dazu keine Daten erhebt. Da die sächsische Polizei aber nicht gezielt um Nachwuchs mit Migrationshintergrund wirbt, ist der Anteil vermutlich eher gering.

Die Polizei Sachsen ist eine von wenigen Landespolizeien in Deutschland, die sich nicht aktiv um Be­wer­be­r:in­nen mit Migrationsgeschichte bemühen. Ähnlich ist die Situation nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Landespolizeien lediglich um Nachwuchs aus dem Nachbarland Polen werben.

Alle anderen Landespolizeien sowie die Bundespolizei ergreifen inzwischen gezielte Maßnahmen, um Be­wer­be­r:in­nen mit Migrationsgeschichte für sich zu gewinnen. Das zeigen eine Recherche des Mediendienst Integration aus dem Jahr 2022 und eine Umfrage der taz.

Wieso bemüht sich Sachsen nicht um migrantische Bewerber:innen? Und warum ist es überhaupt wichtig, dass mehr Menschen mit Migrationsgeschichte bei der Polizei arbeiten?

Vorbild Berlin

Das Bundesland mit den meisten Werbemaßnahmen ist Berlin. Schon Anfang der neunziger Jahre hat die Berliner Polizei Werbekampagnen für Jugendliche mit Migrationsgeschichte gestartet. Heute beteiligt sie sich an einem Programm, das diese bei der Berufswahl unterstützt und Praktika im öffentlichen Dienst vermittelt. Darüber hinaus bildet die Berliner Polizei migrantische Menschen in ihren Werbungen ab, setzt Be­rufs­be­ra­te­r:in­nen mit Migrationsgeschichte ein und führt Infoveranstaltungen bei Mi­gran­t:in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen durch.

Entsprechend hoch ist der Anteil neu eingestellter Po­li­zis­t:in­nen mit Migrationshintergrund in Berlin: 2022 ist er auf 37 Prozent gestiegen, womit er einen neuen Höchstwert erreicht hat und sogar über dem Anteil der Berliner Bevölkerung mit Migrationsgeschichte (35 Prozent) liegt. Berlin ist eines von sieben Bundesländern, das den Migrationshintergrund neu eingestellter Po­li­zis­t:in­nen abfragt. Die Beantwortung dieser Frage ist freiwillig.

Neben Berlin bemühen sich viele weitere Bundesländer darum, die Zahl migrantischer Po­li­zis­t:in­nen zu erhöhen. Die Polizei Nordrhein-Westfalen etwa spielt ihre Werbung auf Social Media gezielt an Menschen mit Migrationsgeschichte aus. Die saarländische Polizei weist auf ihrer Webseite darauf hin, dass sie besonders an Be­wer­be­r:in­nen mit Migrationshintergrund interessiert sei.

Die niedersächsische Polizei setzt Jugendliche mit Migrationsgeschichte ein, die ehrenamtlich für die Polizei werben. In Sachsen-Anhalt können Be­wer­be­r:in­nen seit Herbst 2022 an einem sechsmonatigen Kurs teilnehmen, der sie auf den Aufnahmetest bei der Polizei vorbereitet und insbesondere ihre Sprachkenntnisse fördert. Das Angebot richtet sich speziell an Nichtmuttersprachler:innen.

Experte sieht „verstärkt autoritäre und konservative Dynamik“

Auf die Frage, warum die sächsische Polizei keine gezielten Werbemaßnahmen für Nachwuchs mit Migrationsgeschichte ergreift, antwortet das zuständige Innenministerium ausweichend. Die Sprecherin weist lediglich darauf hin, dass „alle“ Po­li­zei­be­am­t:in­nen ermutigt würden, im Rahmen der Werbekampagne „als Fürsprecher Gesicht zu zeigen“, die Teilnahme aber freiwillig sei.

Klare Worte hingegen fand Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) Anfang dieses Jahres: „Gezielte Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund wurden nicht durchgeführt und sind auch künftig nicht geplant“, teilte er in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkenabgeordneten Juliane Nagel mit.

„Die sächsische Polizei ist an Diversität nicht interessiert, weil ihr das Einheitliche und das Homogene wichtiger ist. Sie antwortet auf eine Modernisierungskrise mit Tradition“, sagt Rafael Behr am Telefon. Der 65 Jahre alte Professor für Polizeiwissenschaften lehrt an der Polizeiakademie Hamburg und forscht seit 2005 zu Diversität und Homogenität in der Polizei.

Nicht um migrantischen Nachwuchs zu werben, hält Behr für „erzkonservativ und gefährlich“. Denn um kompetent mit der diversen Gesellschaft umgehen zu können, brauche es „ein gewisses Maß an Diversität“ in der Polizei selbst. „Ich beobachte in der sächsischen Polizei eine verstärkt autoritäre und konservative Dynamik“, sagt Behr. „Sie will die Dinge so behalten, wie sie früher waren. Vielfalt ist überhaupt nicht gewünscht. Und Kritik auch nicht.“

Dass es vor allem ostdeutsche Landespolizeien sind, die sich wenig bis gar nicht um Nachwuchs mit Einwanderungsgeschichte bemühen, führt Behr auf die Systemunterschiede zwischen BRD und DDR zurück. „In der DDR haben die Menschen weniger Erfahrungen mit Mi­gran­t:in­nen gemacht. Deswegen sind die Vorbehalte oder Widerstände in den ostdeutschen Bundesländern gegenüber Fremdheit noch immer größer – auch innerhalb der Polizei.“ Die Landespolizeien im Westen hingegen hätten mehr Zeit gehabt, um sich mit Migration und gesellschaftlicher Diversität auseinanderzusetzen.

Diversität erhöht das Vertrauen der Bür­ge­r:in­nen in die Polizei

Warum ist es überhaupt wichtig, dass die Polizei die Anzahl von Beamt:in­nen mit Migrationshintergrund erhöht? Ein häufig genanntes Argument für mehr migrantische Po­li­zis­t:in­nen ist, dass die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft sein solle. Rafael Behr hält dieses Argument für nicht stichhaltig. „Die Polizei ist schlichtweg kein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt er. „Sie war es noch nie und wird es auch nie sein.“ Es fehlten nicht nur Menschen mit Migrationsgeschichte in der Polizei, sondern auch viele weitere Personengruppen: Menschen aus bildungsfernen Milieus, Menschen mit gesundheitlichen Problemen, Menschen mit Vorstrafen oder Menschen mit Einser-Abitur.

Auch die Annahme, Menschen mit Migrationsgeschichte würden per se die interkulturelle Kompetenz der Polizei verbessern, sei falsch. „Die Polizeiarbeit bleibt Herrschaftsarbeit. Diejenigen, die in die Polizei hineinkommen, werden in einem Herrschaftskontext sozialisiert – Ethnizität führt ja nicht zu einem anderen Polizeihandeln“, sagt Behr.

Natürlich könnten Po­li­zis­t:in­nen mit Migrationshintergrund in manchen Situationen zur Deeskalation beitragen. Wichtig sei ein größerer Anteil von Po­li­zis­t:in­nen mit Einwanderungsgeschichte aber vor allem deswegen, weil dadurch das Vertrauen der Bür­ge­r:in­nen in die Polizei wachse. „Hohe Anerkennung erfährt die Polizei bislang nur aus dem Teil der Bevölkerung, den sie repräsentiert, also aus der weißen Mittelschicht“, sagt Behr. Marginalisierte Gruppen wie BIPoC hingegen hielten „nicht so viel von der Polizei, weil sie sich öfter von ihr stigmatisiert fühlen“.

Der Polizeiwissenschaftler empfiehlt den Landespolizeien, die sich aktuell nicht um Nachwuchs mit Migrationshintergrund bemühen, „das Wort Diversität ernst zu nehmen“. Er rät, gezielt auf Menschen außerhalb der weißen Mittelschicht zuzugehen und sie so weit zu fördern, dass sie den Aufnahmetest schaffen. Nur zu sagen, dass keine Unterschiede zwischen Be­wer­be­r:in­nen mit und ohne Migrationsgeschichte gemacht würden und es einzig darauf ankomme, dass die Voraussetzungen erfüllt seien, sei „rückständig und naiv“. Denn unter diesen Umständen schafften es „nur ganz wenige Menschen mit Migrationsgeschichte“ in die Polizei.

Kritik an der sächsischen Praxis von Linken, Grünen und SPD

Die CDU-Landtagsfraktion verteidigt die Werbestrategie der sächsischen Polizei. „Die derzeitigen Kampagnen richten sich an die gesamte Bevölkerung und damit auch an die Menschen mit Migrationshintergrund“, teilte der innenpolitische Sprecher Ronny Wähner auf Anfrage mit. Gezielte Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationsgeschichte seien daher „nicht zwingend nötig“.

Ganz anders sehen das die Fraktionen der Linken, Grünen und SPD. „Es ist unverständlich, dass das Innenministerium jegliche Maßnahmen verweigert, die den Anteil von Menschen mit Migrationsbiografie erhöhen könnte“, erklärte die migrationspolitische Sprecherin der oppositionellen Linksfraktion im sächsischen Landtag Juliane Nagel. Der Anspruch der Polizei sollte es sein, „alle Teile der Gesellschaft“ zu repräsentieren.

Auch Valentin Lippmann, der innenpolitische Sprecher der Grünenfraktion, hält eine gezielte Ansprache von Menschen mit Migrationsgeschichte für „essenziell“. „Wir werden weiter darauf drängen, dass insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte für den Polizeidienst angesprochen werden.“

Aus der Landtagsfraktion der ebenfalls in Sachsen mitregierenden SPD hieß es, die Polizei bilde die Vielfalt der Gesellschaft nicht in ihren eigenen Reihen ab. Daher müsse sie „dringend“ aktiv um bisher unterrepräsentierte Gruppen wie Menschen mit Migrationsgeschichte, aber auch Frauen werben. „Die notwendigen Ressourcen dafür haben wir dem Innenministerium mit dem Haushalt zur Verfügung gestellt. Das kann also keine Ausrede sein.“

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