Keramik im Mies van der Rohe Haus: Gefäße und ihr elementares Gegenteil

In den 1930er Jahren stand im Mies van der Rohe Haus eine große Bodenvase von Otto Douglas-Hill. Sie ist die Inspiration für die aktuelle Ausstellung.

Blick von außen durchs Fenster ins Mies van der Rohe Haus, wo fünf bunte Vasen stehen

Blick in das Mies van der Rohe Haus auf Spindelvasen von Young-Jae Lee Foto: Michal Kosakowski

Ein Haus ist kein Gefäß. Und dieses Haus am wenigsten. Unauffällig steht Mies van der Rohes „Haus Lemke“ in Weißensee am Ufer des Obersees, der Ende des 19. Jahrhunderts aus den Fabrikabwässern einer Brauerei entstanden war. Wohl zeigt das Haus zur Straße rote Ziegel (Mies liebte die Lebendigkeit der Ziegel und ihrer Fugen). Nach innen aber öffnet es sich licht und leicht und weit durch große Glasfenster in feinen Metallrahmen auf einen zauberhaften Garten am Wasser, den eine große Linde überwölbt. Dieser verschwiegene Ort für nachmittägliche Ausflüge, an dem sich Architektur und Natur verbinden, ist immer wieder die Bühne von Kunstausstellungen. Derzeit ist dort eine zu sehen mit dem Titel: „Elementare Gefäße“.

Sie sind nicht alle so elementar wie das Gefäß des Japaners Ichiro Hori. Dickwandig, schwer, von gelber, toniger, ins Rostige spielender Farbe, der Rand ausfransend. Wie zufällig abgehauen steht dieses Gefäß da, wie ein Objekt gewordenes Loch in dunkler, lehmiger Erde, eine verrostete Weltkriegs-Bombe, fast unheimlich. Der Künstler Hori lebt abseits der Städte im Wald, in der japanischen Region Mino, die bekannt ist für ihre alte Keramiktradition. Dort betreibt er einen anagama-Brennofen, das ist ein länglicher Tunnelofen, zur Hälfte in den Berg hineingetrieben. Zweimal im Jahr nur feuert ihn der Künstler, vier Tage lang mit Holz, bis eine Hitze um die 1.400 Grad entsteht. Über 1.250 Grad aber schmilzt sogar die Asche von Holz und wird – zu Glas. Als Glasur legt es sich um die Tongefäße im Ofen, anders je nachdem, wo sie stehen, in vielfarbigen gelblichen Tönen (ki-seto) bis zu tiefem Schwarz (seto-guro).

Außer Ichiro Hori sind drei weitere japanische Meister in der Ausstellung zu sehen: Machiko Ogawa, Kenji Gomi, Shuroku Harada. Der Katalog im Booklet-Format – er ist selbst ein kleines Kunstwerk an überraschenden Bezügen! – stellt die Gefäße der vier Japaner neben die Abbildung einer Teezeremonie, also jenes endlosen Ein- und Aus- und Umgießens von heißem Wasser und Tee nach einem genau vorgeschriebenen Ritual. Die hohe japanische Kunst der Keramik erhält hier ihre höchste Weihe, die New Yorker Galerie Joan B. Mirviss widmete 2016 den modernen Keramikgefäßen der Teezeremonie eine ganze Ausstellung, Ichiro Hori und Harada Shuroku waren auch vertreten.

Rituale des Teetrinkens

In der kleinen Berliner Ausstellung sind es vor allem die schlichten blütenweißen, auf der Drehscheibe entwickelten Porzellangefäße der österreichischen Künstlerin Uli Aigner, mit ihren fein abgestuften Rändern, die an europäische Rituale des Teetrinkens erinnern und von den Be­su­che­r*in­nen sogar benutzt werden dürfen.

Elementare Gefäße. Eine andere Erzählung der Moderne“: Mies van der Rohe Haus. Bis 5. November www.miesvanderrohehaus.de

Im Kontext der Berliner Ausstellung freilich ist die Verbindung von Tongefäß und Teezeremonie etwas Besonderes. Das liegt am Ort der Ausstellung, dem letzten Privathaus, das Mies van der Rohe in Europa baute, bevor er nach Amerika emigrierte, um dann nur noch ein einziges Mal nach Deutschland zurückzukehren – für die 1968 eröffnete, kürzlich aus der Renovierung neu erstandene Neue Nationalgalerie. Zwischen Mies’ Haus Lemke und den ausgestellten Gefäßen baut sich eine elementare Spannung auf. Lange mag man nach dem Besuch der Ausstellung über sie nachdenken.

Ein Gefäß: Das hält, umschließt, es ist innen dunkel und öffnet sich zum Ein- und Ausgießen. Das Gefäß, auch wenn es so verschieden ist wie Schale, Kanne, Tasse, Vase, Krug, ist „das Fassende“. (So wusste es auch Martin Heidegger.) Aber das Haus Mies van der Rohes in seiner Leichtigkeit und Einfachheit – fast sind es nur drei in einen Garten gestellte Zimmer –, in seiner rechteckigen Klarheit und Transparenz, die nicht weit entfernt ist von den dünnen, verschiebbaren Wänden eines japanischen Teehauses: Ist dieses Haus nicht das elementare Gegenteil von Gefäßen?

Blick in die Ausstellung, vorne links die Fotografie einer Bodenvase

Ausstellungsansicht mit Fotografie „1937/2023“ von Michael Wesely

Die Inspiration, überhaupt Keramikgefäße in Mies' Haus und Garten auszustellen (eine zauberhafte flache, tiefschwarze und glänzende Schale von Thomas Bohle findet sich im Freien auf der Terrasse), kommt aus seiner Geschichte. In den 1930er Jahren, als das Haus von den Auftraggebern, dem Ehepaar Karl und Martha Lemke, bewohnt war, stand im Eingang eine große Bodenvase des Berliner Bildhauers und Keramikkünstlers Otto Douglas-Hill.

Eine erst voriges Jahr publizierte Serie von Schwarzweißfotografien des Hauses (von Howard Dearstyne) und seiner Einrichtung aus dieser Zeit zeigt die Vase, in der lange Zweige stecken. In der gegenwärtigen Ausstellung ist eine Gruppe hoher, schlanker und gewölbter Vasen von Young-Jae Lee mit tief glänzenden, blauen, grauen, weinroten Glasuren im ehemaligen Schlafzimmer des Hauses eine Art Echo auf die alte Vase.

Der Fotograf Michael Wesely hat die alte in einem Composite mit einer neuen Vase und einem Strauß rosaroter Blüten überblendet. Daraus entstand das Titelbild der Ausstellung. Wesely hat auch das ganze Haus fotografisch für ein wunderbares Buch porträtiert, dessen Text und Konzeption von der Direktorin des Hauses, Wita Noack, stammt. Sie ist seit 30 Jahren mit dem Haus verbunden und hat 1992 seine originale Rekonstruktion in die Wege geleitet. Dieses Haus, „das seine Bewohner vor der Alltagswelt abschirmt, vor Störungen schützt und so ein ruhiges und versunkenes Betrachten der ‚Welt‘ möglich macht“, wie Noack es „schlicht und ergreifend“ im Buch gleichen Titels schreibt.

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