Pseudodoku „Safe Word“ auf DVD: Lust am Befreien

Dem Genuss der Demütigung und weiteren Übertretungen gilt ein Club, um den sich alles in dem japanischen Pseudodokumentarfilm „Safe Word“ dreht.

Von drei Personen in einem Raum kniet einer unbekleidet und mit gefesselten Händen am Boden, eine lacht im Pelzmantel, die dritte schaut schüchtern

Im Lehrsaal der Fesselkünste, Szene aus„Safe Word“ (Japan 2022, Regie: Kôji Shiraishi) Foto: Busch media group

Misa steht auf der Bühne und rappt über ihre Undergroundkarriere als Wrestlerin. Nicht dass man sie jemals im Kampf sieht, aber ihr Ruhm reicht immerhin, dass sich eine Dokumentarfilmregisseurin für sie interessiert. Sie filmt alles mit.

„Safe Word“ ist ein Pseudodokumentarfilm, was zu heftig wackelnder Kamera und dem Schein von Unmittelbarkeit führt. Gelegentlich kommt es auch zu kurzen Interaktionen zwischen den Beteiligten und der Im-Film-Regisseurin, die man nur in einer Szene auch vor der Kamera sieht. Nach dem Konzert kommt eine Frau namens Tsubaki auf die Wrestlerin/Rapperin zu und drückt ihr eine Visitenkarte in die Hand. Sie betreibt einen Club namens H, sie sieht in Misa ein großes Talent.

Aus dem Kleingedruckten, das Misa zunächst übersieht, geht hervor: H steht für Hentai. Im Westen ist das eher ein Pauschalbegriff für Manga- oder Anime-Pornografie, im Japanischen bedeutet es dagegen spezifischer – und so wird es hier auch übersetzt – „Perversion“. H, der Club, ist ein Tempel der Lüste, in dem alle ihrem Begehren dahin folgen dürfen, wohin es sie treibt, solange es bei allen Beteiligten bei den vorab getroffenen Verabredungen bleibt.

Weil das Übertreten der Untersagung die Lust steigern kann, heißt Nein hier nicht Nein. Jedes Wort, jeder Befehl wird zu Spielmaterial, einzig das „Safe Word“ – so gewählt, dass es im Spiel keinen Ort haben kann – bedeutet eindeutig: „Stopp“.

„Safe Word“ (Japan 2022, Regie: Kôji Shiraishi). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.

Auftritt eines berühmten Schauspielers, der sich im Club mit Freude auspeitschen lässt; nebenbei wird in „Safe Word“ die Geschichte seiner Selbstbefreiung erzählt. Er folgt seiner Lust, und zwar auf Befehl seiner Domina nackt auf der Straße, das führt zum Skandal. In der einberufenen Pressekonferenz nimmt er die Maske ab und man sieht, er hat sich das Bekenntnis zum Hentai-Sein, zum Genießen der eigenen Demütigung, auf die Wangen tätowiert.

Versteckte Talente

Auftritt einer geheimnisvollen Frau namens Kanon; deren Aufforderung zur Intimrasur folgt Misa erst zögerlich, auch gegenüber der ersten Golden Shower vor Publikum ist sie noch sehr ambivalent. Die Mockumentary-Kamera ist immer dabei, im Internet, in dem sie als Influencerin agiert, schweigt Misa zunächst, aber nicht bis zuletzt, von der Sache.

Die Spielart der „Perversion“, auf die sich der Club H vor allem spezialisiert hat, ist BDSM. Misa erlebt ihre Initiation ins sexuelle Spiel mit Geknechtetwerden und Knechten, mit Gefesseltwerden und Fesseln, Club-Chefin Tsubaki hat das versteckte Talent zur Domina in ihr ganz richtig erkannt.

Von der dunklen Vorderbühne geht es ins helle Hinterzimmer des Clubs, hier steht der eine oder andere Diwan, vor allem aber sind rote Stränge ziemlich kunstwerkhaft quer durch den Raum dekoriert. Hier nun lässt sich Misa von Kanon in die Fesselkünste einführen und kunstvoll verschnüren, bis sie die Orgasmen weniger durchzittern als schütteln.

„Safe Word“ ist narrativ und auch sonst nicht in erster Linie stringent, aber das ist ziemlich egal. Die filmische Lust am Befreien, der Aufruf, sich nicht durch die rigiden Konventionen der Gesellschaft im Bekenntnis zur eigenen Lust (und zur eigenen Identität) einengen zu lassen, sind glaubhaft und echt. Und bitter nötig, auch in Japan, wie das Schicksal von Ryu­chell zeigt, der*m Dar­stel­le­r*in der Club-Chefin Tsubaki.

Ryuchell war (Genderless Fashion) Model, Influencer*in, Ak­ti­vis­t*in für LGBTQ-Belange und seit 2022 offiziell nicht mehr als Mann identifiziert. In diesem Jahr hatte Ryuchell begonnen, sich, wie im Film, als Frau zu präsentieren, ohne sich öffentlich als trans zu bezeichnen. Der Hass, der Ryuchell in den sozialen Medien entgegenschlug, war enorm. Am 12. Juli hat Ryuchell sich das Leben genommen. Ekkehard Knörer

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