„Gehen Sie hin, hören Sie zu“

In der Türkei soll ein Wald für die Braunkohle­ weichen. Die Anwohner leisten Widerstand, nun gab es eine Sondersitzung im Parlament

Von Jürgen Gottschlich, Istanbul

Erstmals in der Geschichte der türkischen Republik ist das Parlament am Dienstag zu einer Sondersitzung in der Sommerpause zusammengekommen, um über einen Umweltkonflikt zu debattieren. Auf Antrag der oppositionellen sozialdemokratischen CHP war das Treffen einberufen worden, um über die Abholzung eines großen Waldgebietes, unter dem Braunkohle abgebaut werden soll, debattieren zu lassen. Mehrere Busse voller AktivistInnen, vor allem DörflerInnen aus der betroffenen Region, die sich seit Jahren gegen den Braunkohleabbau wehren, waren nach Ankara gefahren.

„Gehen Sie hin und hören Sie zu“, rief der Vorsitzende der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, im Parlament den VertreterInnen der Regierungsfraktionen zu. Als es am Ende der Aussprache zur Abstimmung darüber kam, ob das Parlament das Thema mit dem Ziel einer Neubewertung des Braunkohleabbaus in der Türkei auf die Agenda setzen soll, lehnte die Regierungsmehrheit den Antrag der CHP ab.

Dennoch werteten die AktivistInnen aus Akbelen die Sondersitzung als Erfolg. „Wir haben gezeigt, dass wir uns dagegen wehren, wenn der Staat und einige Großunternehmer uns unsere Lebensgrundlage wegnehmen wollen“, sagte Nejla İzci, Olivenbäuerin und Sprecherin des Widerstands. „Kohle kann man nicht essen, wir brauchen unsere Oliven und den Honig, von dem wir leben.“

Die Auseinandersetzung schwelt seit Langem: Es geht um ein Braunkohleabbaugebiet im Hinterland der Ägäisküste, das auf Kosten des Akbelen-Waldes und der Olivenplantagen von vier Dörfern ausgeweitet werden soll. Seit Jahren setzt sich die Mehrheit der DorfbewohnerInnen dagegen zur Wehr, seit Sommer 2021 gibt es ein Widerstandscamp am Rande des Waldes, wo DorfbewohnerInnen und AktivistInnen aus den umgebenden Städten Bodrum, Milas und Muğla Wache halten.

Vor zwei Wochen wurde dennoch mit der Rodung begonnen – begleitet von einem Großaufmarsch von Polizei und Gendarmerie. Mit massivem Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas hinderten Einsatzkräfte die AktivistInnen daran, sich den Sägekolonnen entgegenzustellen.

Wie Kılıçdaroğlu im Parlament betonte, geht es aber nicht nur um den Fall Akbelen. Überall in der Türkei, sagte er, werde die Umwelt von Kohle- und Bergbauunternehmen gefährdet, die eng mit der Regierung zusammenarbeiten. Dabei bieten erneuerbare Energien längst bessere und billigere Alternativen. Speziell an der Ägäis werden zwar auch viele Windkraftwerke gebaut. Die Regierung hält aber aus Profitgründen – und weil sie die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten möglichst schnell verringern will – an der besonders umweltschädlichen Braunkohle als heimischem Energieträger fest.