Sarah Mohamed über die Jusos in der SPD: „Ich möchte nicht in den Bundestag“

Sarah Mohamed will Juso-Vorsitzende werden. Ein Gespräch über Otto-Filme, ihren rassistischen Zahnarzt und den Kapitalismus.

Portrait

Sarah Mohamed Ende August auf dem Dach der taz in Berlin Foto: Wolfgang Borrs

wochentaz: Frau Mohamed, sind Sie ein konfrontativer Mensch?

Sarah Mohamed: Als migrantische junge Frau, die politisch aktiv ist, ist man schnell in der Rolle, sehr konfrontativ zu sein. Ich scheue auf jeden Fall die Konfrontation nicht. Aber innerhalb der Jusos bemühe ich mich immer, ausgleichend zu wirken. Team­arbeit ist mir sehr wichtig.

31, lebt in Bonn. Sie tritt zur Wahl der neuen Juso-­Vorsitzenden an.

Sie bewerben sich für den Juso-Bundesvorsitz mit dem Zitat „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf“. Wen oder was wollen Sie bekämpfen?

Den Kapitalismus. Es wird oft über multiple Krisen gesprochen, aber meine Überzeugung ist, es geht um eine Krise, die unterschiedliche Facetten hat, den Kapitalismus nämlich. Die Überschrift habe ich gewählt, um deutlich zu machen, dass wir als Jusos mit unseren Bündnispartnern auch den Kampf auf der Straße führen und wieder sichtbarer als aktivistische Jugendorganisation werden müssen.

Welche Bündnispartner meinen Sie?

An erster Stelle stehen für uns weiterhin die Gewerkschaften. Mir ist aber auch wichtig, dass wir als Jusos wieder mehr Anschluss finden an die Klima­bewegung, an antirassistische und feministische Bewegungen. Denn diese Kämpfe gehören zusammen.

Klimakrise, Sexismus oder Rassismus – das Grundproblem ist immer der Kapitalismus?

Ja, darauf ist es zurückzuführen.

Aber die Gewerkschaften sind nicht besonders klassenkämpferisch drauf. Wann wurde auf einer DGB-Demo das letzte Mal die Abschaffung des Kapitalismus gefordert?

Mit der Gewerkschaftsjugend sind wir uns einig. Manche darunter stellen das laut vornan, manche lassen eher Taten, den Arbeitskampf, sprechen. Wir treiben da gleichermaßen unsere Mutterorganisationen.

Auch die SPD hat sich längst mit dem Kapitalismus arrangiert.

Ja, zumindest galt Kritik am Kapitalismus lange Jahre als veraltet, nur noch vorgetragen von linken Randgruppen. Mittlerweile ist Kapitalismuskritik wieder verbreiteter. Ausschlaggebend ist die Klimakrise als reale Bedrohung. Viele Menschen finden, dass es Grenzen für Wachstum und die Ausbeutung des Planeten geben muss.

Wir leben in einer polarisierten Gesellschaft, die durch Kulturkämpfe auseinandergetrieben wird. Ist es nicht angezeigt, auf mehr Zusammenhalt im demokratischen Spek­trum zu setzen?

Ich finde, die pauschale Forderung greift zu kurz. Mir ist wichtig, dass linke und progressive Kräfte sich zusammenschließen gegen rechte Kulturkämpfe. Die werden von der CDU gerade auch unter Friedrich Merz stark befeuert.

Es gibt auch eine linke Agenda für Kulturkämpfe, Stichwort Wokeness. Diese Kämpfe von links und rechts können sich wie in den USA gegenseitig hochschaukeln. Muss man da nicht vorsichtiger sein?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich würde die sogenannte Wokeness eher als Anerkennungspolitik bezeichnen und finde es wichtig, dass man diese Kämpfe führt und sensibilisiert für Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit und Sexismus. Ich sehe hier keine Cancel Culture. Das ist ein rechtes Narrativ, das immer dann angewendet wird, wenn marginalisierte Gruppen für Gleichberechtigung kämpfen. Dann heißt es, jetzt darf man gar nichts mehr sagen. Dabei ist es doch gut, sich nicht rassistisch zu äußern. Denn Rassismus spaltet – nicht die sogenannte Wokeness.

Finden Sie es angemessen, dass der WDR uralte Otto-Filme nur noch mit Triggerwarnung ausstrahlt: Vorsicht, enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden?

Es schadet zumindest nicht, darauf hinzuweisen, dass hier möglicherweise Rassismus reproduziert wird.

Sie kritisieren auch antimuslimischen Rassismus in der Gesellschaft. Sprechen sie da aus eigener Erfahrung? Ihre Nachname lautet zwar Mohamed, Sie sind aber keine Muslima.

Ich habe immer wieder Stigmatisierungen erlebt. Zum Beispiel beim Zahnarzt, der mir sagte, er hoffe, dass ich als nette und gebildete junge Frau nicht irgendwann zwangsverheiratet und weggesperrt werde. Das sind Kleinigkeiten, die machen aber deutlich, dass man irgendwie nicht dazugehört. Und es zeigt, dass antimuslimischer Rassismus nichts mit Religionskritik zu tun hat.

Als SPD-Innenministerin Nancy ­Faeser vorschlug, auch Angehörige von straffälligen Clanmitgliedern abzuschieben, haben Sie geschrieben: „Jetzt zeigt sich, wohin solche rassistischen Erfindungen wie die sogenannte Clankriminalität führen.“ Halten Sie Nancy Faeser für eine Rassistin?

Ich würde sie nicht als Rassistin bezeichnen. Aber in der Migrationspolitik bedient sie sich rassistischer Narrative. Das stört mich massiv.

In Hessen, wo sie Ministerpräsidentin werden will, kommt dieser Kurs ganz gut an: liberale Einwanderungspolitik, härtere Abschiebepolitik.

Mir kommt das vor wie ein Kuhhandel: einerseits öffnen, andererseits verschärfen. Das ist frustrierend. Es geht doch um Menschen. Ich finde es auch falsch, sie länger oder überhaupt in Abschiebehaft zu stecken. Damit treibt man rechte, rassistische Narrative an.

Sind Sie generell gegen Abschiebungen?

In meinem humanistischen Weltbild muss niemand abgeschoben werden. Das mag mancher naiv nennen. Aber auch aus ökonomischer Sicht ist Abschiebehaft sehr teuer. Lasst uns das Geld doch lieber investieren, um Menschen zu integrieren und auszubilden. Wir haben ja auch ein massives Fachkräfteproblem.

Sie wollen die EU-Grenzschutzagentur Frontex auflösen. Also offene Grenzen für alle?

Ja. Und lebenswerte Verhältnisse überall. Das muss langfristig das Ziel sein.

Wären Sie mit Ihren Positionen – Kapitalismuskritik, offene Grenzen – nicht besser in der Linkspartei aufgehoben?

Mit der Linkspartei habe ich größere Probleme, allein schon mit ihrem Verhältnis zu Russland.

Wieso haben Sie sich vor zwölf Jahren für die Jusos entschieden?

Als ich 2011 anfing, mich hochschulpolitisch zu engagieren, stand ich zwischen Jusos und Grüner Jugend. Mir hat gefallen, dass die Juso-Hochschulgruppen besser strukturiert und organisiert waren als die Grünen. Über die Jusos hatte ich dann auch Bock, die SPD zu verändern. Denn ich bin überzeugt, dass es die SPD für linke Mehrheiten in diesem Land braucht.

Die Bundestagsfraktion ist mit 49 Jusos so jung und divers wie nie. Auffällig ist aber, dass die jungen Leute sehr brav sind. Warum ist das so?

Nicht alle! Ich denke, das hat mit dem Verständnis zu tun, dass wir Kanzlerpartei sind und Einigkeit zeigen wollen. Es hätte ja niemand erwartet, dass wir die Bundestagswahl gewinnen!

Außer Olaf Scholz vielleicht …

Gut. Aber ich glaube, wir können uns nicht nur als Kanzlerpartei verstehen. Dadurch entkernen wir uns zu sehr inhaltlich. Es finden kaum noch Debatten statt, es gibt insgesamt wenig Reibung. An manchen Tagen kommt einem die SPD vor wie das Presseamt des Kanzlers.

Diese Kritik zielt eher auf die Parteiführung ab. Was muss denn debattiert werden?

Zum Beispiel die Kindergrundsicherung. Es kann doch nicht sein, dass man bei einem so kernsozialdemokratischen Thema das Gefühl hat, die SPD ist nur in der Vermittlerrolle zwischen Grünen und FDP. Wir hätten die sein müssen, die das Thema vorantreiben.

Ihre Familie lebte von Hartz IV. Wie haben Sie als Kind Armut erlebt?

Fehlendes Geld spielte bei uns eine riesengroße Rolle. Ich bin die älteste von sechs Schwestern, meine Mutter war alleinerziehend. Wir haben ständig über das Geld gesprochen, das wir nicht hatten. Das Geld für den Schulbus, für die neuen Schuhe, für den Ausflug. Oder die Freundinnen wollen ins Kino, und man möchte mit. Und man weiß schon, wenn man fragt, dann sieht man wieder das gequälte Gesicht der Mutter, aber man fragt halt trotzdem. Und jedes Mal heißt es dann, es ist leider kein Geld da. Und das spürt man dann natürlich von klein auf.

Wie haben Sie mit diesen Erfahrungen die Debatte über die Kindergrundsicherung wahrgenommen?

Sehr emotional. Gerade, als Christian Lindner sagte, es gehe doch bei Kindern von Geflüchteten eher um Integra­tions­kurse. Das war schlimm. Natürlich braucht man beim Kampf gegen Kinderarmut die ganze Bandbreite, auch gute Infrastruktur und gute Bildung. Aber es geht auch um ganz existenzielle Dinge, es geht auch um die neue Winterjacke. Es sollte Konsens sein, dass kein Kind in Armut aufwachsen darf.

Und wie finden Sie den Kompromiss, dass es für die Kindergrundsicherung nun 2,4 Milliarden Euro mehr gibt? Lisa Paus hatte ursprünglich 12 Milliarden gefordert.

Tja. Das macht mich sprachlos. Krass, wie Christian Lindner sich da durchgesetzt hat.

Der Finanzminister schien sich der Rückendeckung des Kanzlers sehr sicher zu sein.

Es ist auch meine Einschätzung, dass Olaf Scholz da näher bei Christian Lindner ist, auch was die Schuldenbremse angeht. Die halte ich sowieso für einen Kardinalfehler der ganzen Ampel.

Jessica Rosenthal ist gleichzeitig Juso-Chefin und Bundestagsabgeordnete. Ist sie zu nett zum Kanzler?

Sie hat auch rote Linien aufgezeigt und zum Beispiel gegen das Sondervermögen für die Bundeswehr gestimmt.

Aber es war irgendwie auch eine Sackgasse, oder?

Nö, so würde ich das nicht sehen. Aber unterschiedliche Zeiten erfordern unterschiedliche Rollen.

Sie wollen nicht Bundestagsabgeordnete werden?

Nein, das möchte ich nicht. Das gibt mir die Möglichkeit, die Ampelregierung, die Fraktion und die Partei lauter und kritischer zu konfrontieren.

Philipp Thürmer, der ebenfalls für den Juso-Vorsitz kandidiert, hat das ebenfalls ausgeschlossen. Was unterscheidet Sie eigentlich?

Wir bringen unterschiedliche Per­spek­ti­ven mit. Ich komme selbst aus der Armut – und aus der Antifa-Bewegung, dem Aktivismus – und bin erst seit einem Jahr im Bundesvorstand. Das muss nicht schlechter oder besser sein. Es ist einfach ein Angebot und eine Entscheidung, die der Verband fällen kann.

Und eine Doppelspitze wollten Sie nicht bilden?

Nee, ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, eine Doppelspitze zu bilden, nur weil es zwei Kandidaturen gibt.

Sind Sie gegen Doppelspitzen?

Grundsätzlich finde ich Doppelspitzen gar nicht schlecht. Was mich stört, ist, dass jetzt, wo mehr Frauen, mehr marginalisierte Gruppen an die Spitze wollen, Doppelspitzen eingeführt werden. Dann frage ich mich: Wie feministisch sind eigentlich Doppelspitzen?

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