Peter Unfried
Die eine Frage
: Können wir die Alles-wird-böse-enden-Kultur jetzt bitte mal abstellen?

Foto: Marco Limberg/X-Press

Der allerschönste Ort der westlichen Welt ist da, wo sie endet, an der Pazifikküste von Kalifornien. Da gibt es einen Fahrrad- und Fußgängerweg direkt am Meer, an dem die Leute aus dem Collegestädtchen Santa Cruz joggen, Fahrrad fahren oder den Surfern zusehen. Und nun ist dieser geteerte Weg an zwei Stellen weggebrochen und an seiner Stelle klaffen tiefe Löcher. Ein Menetekel! Dachte ich sofort brav, als ich die Löcher sah. Die Erwärmung des Pazifiks führt dazu, dass die kalifornische Küste erodiert, die strand- und steilküstennahen Häuser werden wohl irgendwann weggerissen werden, während die anderen abbrennen durch zunehmend unkontrollierbare Feuer.

Ich saß in dieser Woche am nördlichen Stadtrand von Santa Cruz mit dem großen Schriftsteller Jonathan Franzen (das Adjektiv ist hier wirklich angebracht). Franzen drehte sich um, zeigte auf einen ziemlich nahen Punkt und sagte: „Bis hierhin kam 2020 das Feuer.“ Es zerstörte 1.500 Gebäude im County. Im Big-Basin-Nationalpark über der Stadt brannten 97 Prozent der Bäume ab. Es ist deprimierend, die verkohlten Reste zu sehen und zu riechen. Es ist auch deprimierend, morgens in die Stadt zu radeln und die Straßen voller Obdachloser zu sehen.

Und dennoch habe ich den Menetekel-Gedanken verworfen, weil das einfach zu bequem und vor allem zu unproduktiv ist. Mich nerven die um sich greifenden publizistischen Menetekel-Serien, die Altlinken und neuerdings auch manche Liberale, die den Untergang des Westens beschwören.

Es ist wichtig, dass der Illusionismus, den wir viele Jahrzehnte pflegen konnten, jetzt schleunigst zumindest teilweise abgelöst wird von einem harten, unangenehmen Blick auf die Realität des 21. Jahrhunderts. Die Perspektive ist ganz und gar nicht beruhigend: geopolitisch, militärisch, wirtschaftlich, die liberaldemokratischen Errungenschaften betreffend. Und eben vor allem, was die Erderhitzung angeht, die verschwindenden Arten und fruchtbaren Böden, und dass es kein demokratisches Instrumentarium gibt, um die Interessenvielfalt der Weltbevölkerung, Staaten und global emittierenden Unternehmen in dieser zentralen Frage so zu bündeln, dass im Sinne einer Verringerung von Katastrophen gehandelt werden kann.

Genau deshalb darf man die bequeme Läuft-doch-Kultur der Nachkriegsbundesrepublik jetzt nicht mit einer Alles-wird-sowieso-böse-enden-Kultur ablösen. Aber was kann man tun, wenn man realistisch sein will und trotzdem weder defätistisch, noch auf eine neue Art naiv?

Peter Unfried ist Chefreporter der taz.

Schwierig, klar, aber ich schlage vor, neben der und zur Beförderung sozialökologischer Mehrheiten, eine kalifornische Kultur zu entwickeln. Das meint nicht staatsfeindlichen „Neoliberalismus“, IT-Milliardärs-Weltherrschaft, wenige Superreiche und viele Arme. Es meint – das ist ein Gedanke, der vom Stanford-Intellektuellen Hans Ulrich Gumbrecht inspiriert ist –, dass ein Ich keine arme Wurst ist oder nur noch von der Frührente träumt. Sondern dass das Ich etwas für sich und das bessere Ganze hinkriegen will und sich dafür tatsächlich volle Pulle – und politisch unterstützt – auf den Weg machen kann.

Deutschland müsste dringend etwas kalifornischer werden

Es gibt viel zu problematisieren an Elon Musk, aber der Junge hat etwas gemacht. Der Gedanke geht nun so, dass man nicht (nur) sagt, dass sein Werk gefährlich sei (was es ist). Progressive Kultur ist, selbst etwas marktwirtschaftlich oder nachbarschaftlich hin­kriegen zu wollen, was eine emissionsfreie Welt­gesellschaft befördert oder einen Unterschied macht für drei Leute – aber hier einen existenziellen.