Die Verherrlicher des Terrors

Das propalästinensische Netzwerk Samidoun feiert die Angriffe der Hamas auf Israel. In Berlin ist die Gruppe klein, aber lautstark. Nun mehren sich die Stimmen für ein Verbot

Versammlung in Solidarität mit den Angriffen der Hamas am Samstag auf der Sonnenallee Foto: Jürgen Held/imago

Von Susanne Memarnia
und Uta Schleiermacher

Er hätte bei seinem Amtsantritt 2022 nicht erwartet, „dass die Straßen von Neukölln denen von Gaza derart ähneln“ hatte der israelische Botschafter Ron Prosornoch im Juni bei Twitter geschrieben. Mit dieser Äußerung reagierte er auf einen Bericht der B.Z. über Plakate des propalästinensische Netzwerks Samidoun an der Sonnenalle. Auf diesen hatte die Gruppe Bomben-Angriffe auf Israel gefeiert und um Spenden für palästinensische Ter­ro­ris­t*in­nen gebeten.

Eben jenes Netzwerk soll auch am Samstag auf der Sonnenallee die Raketenangriffe der Hamas auf Israel sowie die Massaker an Zivilisten gefeiert haben. Auf Fotos in den sozialen Medien war zu sehen, wie ein Mann mit Palästina-Flagge auf dem Rücken süßes Gebäck verteilte. Die Gruppe postete das Foto bei Instagram und schrieb: „Es lebe der Widerstand des palästinensischen Volkes.“ Die Polizei bestätigte den Vorfall, drei Personen hätte sie dort überprüft, die Personalien aufgenommen und Strafanzeigen erstattet. Außerdem hatten sich am Samstagabend rund 50 Menschen an der Ecke Sonnenallee/Reuterstraße versammelt und – entgegen den Auflagen – pro-palästinensische Sprechchöre skandiert. Als die Polizei die Kundgebung auflösen wollte, flogen Flaschen. Von etwa 40 Personen wurden die Personalien aufgenommen und im Umfeld mehrere Plakate mit arabischen Schriftzügen, der palästinensischen Flagge und Maschinengewehren entfernt.

Der Bezirk beobachtet die Propaganda von Samidoun schon länger. Die Gruppe sei „dauerhaft in diesem Bereich der Sonnenallee, zwischen Fuldastraße und Pannierstraße, unterwegs“, sagte Christian Berg, Sprecher des Bezirks Neukölln auf Nachfrage der taz. „Das Ordnungsamt ist regelmäßig auch mit Dolmetschern dort und nimmt Plakate ab.“ Auch eine Statue auf dem Hermannplatz werde immer wieder auch mit Hassbotschaften beschmiert, vermutlich ebenfalls von dieser Gruppe. Auch davon teilt Samidoun fleißig Fotos bei Instagram. Der Bezirk habe diese mehrmals übermalt. Teils sei sie „binnen 48 Stunden“ wieder beschmiert worden. „Wir haben in den vergangenen Wochen allerdings keine auffällige Zunahme an Plakaten festgestellt“, sagte Bezirkssprecher Berg.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hatte sich bereits vor Monaten für ein Verbot des Netzwerks ausgesprochen. Am Wochenende, noch unter dem Eindruck der Provokationen auf der Sonnenallee, forderte er Bildungsangebote und Begegnungen an Schulen langfristig zu verstärken und auszuweiten. „Wir müssen prüfen, wie wirksam bisherige Projekte zur Prävention sind“, sagte er.

Laut Berliner Verfassungsschutzbericht organisiert Samidoun in mehreren Städten in Deutschland, vor allem in Berlin immer wieder Plakataktionen und Demonstrationen. Mit denen fordert das Netzwerk Freiheit für palästinensische Gefangene. Gegründet wurde es demnach 2011 in den USA. Samidoun gilt als Unterstützerorganisation der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). Diese Organisation ist sozialistisch und nicht islamistisch orientiert. Die PFLP steht seit 2002 auf der europäischen Liste terroristischer Organisationen. In Israel ist Samidoun als terroristische Organisation eingestuft. Weil Samidoun international agiert, müsste ein Verbot aus dem Bundesinnenministerium ausgesprochen werden.

Wegen ihrer ideologischen Unterschiede agieren Hamas und PFLP im Nahen Osten getrennt. In Berlin ist das laut Verfassungsschutz anders: Auf der Basis ihrer Israel-Feindschaft würden die Anhänger beider Organisationen in Berlin bei öffentlichen Veranstaltungen gemeinsam auftreten, die verschiedenen Ideologien „spielen dabei in Berlin keine Rolle“.

Laut Amadeu Antonio Stiftung ist das Mobilisierungspotential der PFLP und Samidoun und die Anschlussfähigkeit an sich als links verstehende Gruppen auch in Deutschland nicht zu unterschätzen. „Im Januar 2022 war Samidoun bei der jährlich stattfindenden Demonstration zum Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg präsent. Auch bei Demonstrationen der linken antizionistischen Gruppe „Palästina Spricht“ oder der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ war Samidoun mit Fahnen sichtbar“, heißt es von der Stiftung. Bisher traf das nur vereinzelt auf Kritik. Regelmäßig würde die Gruppe Terroristen glorifizieren.

Auch im Verfassungsschutzausschuss am Montag war der Hamas-Angriff und die feiernden Pa­läs­ti­ne­ne­r*in­nen aus Neukölln Thema. Diese Bilder, „mit denen der Tod vieler Menschen gefeiert wurde, sind beschämend“, erklärte der Staatssekretär für Inneres, Christian Hochgrebe (SPD). Etwas überraschend erklärte er, man könne noch nicht sagen, wer für die Aktionen von Samstag, dem Süßigkeiten-verteilen und der Pro-Hamas-Demonstration, verantwortlich sei, die Rolle der Samidoun dabei müsse noch geklärt werden.

„Wir müssen prüfen, wie wirksam bisherige Projekte zur Prävention sind“

Martin Hikel, Neuköllns Bürgermeister

Dennoch war auch der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Michael Fischer, in den Ausschuss gekommen, um über Samidoun zu berichten. Die Organisation habe in Berlin eine Anhängerschaft „im unteren zweistelligen Bereich“, so Fischer. Viel mehr könne auch die PFLP, als deren „Vorfeldorganisation“ Samidoun gilt, nicht für sich beanspruchen: bei ihr gehe man von etwa 40 Anhängern in Berlin aus. Weiter erklärte Fischer, dass Samidoun, „seit langem klar antisemitisch und antiisraelisch“ ausgerichtet sei. Darum werde sie in Berlin auch als verfasssungsfeindliche Organisation beobachtet.

Nicht nur der SPD-Staatssekretär, sondern auch die Vertreter der anderen demokratischen Parteien, zeigten sich im Ausschuss entsetzt über die Ereignisse von Samstag in Neukölln. Es sei „beschämend, was wir gesehen haben“, bekundete der Grünen-Abgeordnete Ario Mirzaie. Sein Kollege Niklas Schrader (Linke) nannte es „erschreckend, wenn Menschen in Berlin das feiern oder als legitimen Widerstand betrachten“.

Damit könnte es schon bald weitergehen. Für Mittwoch rufen verschiedene Palästinenser-Organisationen zur Demo am Neuköllner Richardplatz auf. Mobilisiert wird unter dem Motto „Für ein freies Palästina“.