Angst vor Hinterhalt

In der Rigaer reagieren 112 und 110 über Stunden nicht auf Notruf

Von Susanne Memarnia

Was, wenn man den Notruf 112 ruft und über Stunden keiner kommt? Einer Mitarbeiterin der taz ist genau dies passiert. Am Montagabend, berichtet sie, wurde im Haus Rigaer Straße 78, einem linken Wohnprojekt, ein guter Freund von ihr tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der Mann, der ihn fand, ebenfalls ein guter Freund, habe mehrfach Feuerwehr und ärztlichen Notdienst gerufen, zum ersten Mal gegen 22 Uhr, doch niemand sei gekommen. Die taz-Journalistin kam im Laufe des Abends dazu, sie wohnt selbst nicht in dem Haus. Bei einem erneuten Anruf beim ärztlichen Notdienst 116117 sei der Freund an die Polizei verwiesen worden, die ihm aber gesagt habe, sie käme nicht, aus Angst vor einem Hinterhalt.

Tatsächlich gab es am frühen Montagabend etwa 500 Meter entfernt, vor dem linksradikalen Hausprojekt Rigaer Straße 94, Ereignisse, die diesen Gedanken nicht abwegig erscheinen lassen. „Es war dort einiges los“, sagt die taz-Kollegin, es war der dritte Jahrestag der Räumung der Liebigstraße 34 direkt um die Ecke. Laut Polizei standen etwa 40 Menschen auf der Straße vor der Rigaer 94 und entzündeten Feuer. Eintreffende Beamte, so die Polizeimeldung, seien mit Steinen und Pyrotechnik beworfen worden, zehn Kollegen hätten „Atemwegsreizungen, Knalltraumata und Prellungen“ erlitten. Kurz darauf seien Polizisten in die Liebigstraße gerufen worden, im ehemals besetzten Haus sei eine leer stehende Wohnung aufgebrochen worden. Auch dort seien Beamte mit Pyrotechnik beworfen, aber nicht getroffen worden.

„Was wäre, wenn mein

Freund noch am Leben gewesen wäre?“

Der Beamte am Telefon empfahl dem Freund, er könne ja zur Ecke Rigaer/Proskauer Straße kommen, dort stünden viele Beamte und man könne reden, aber sie würden nicht in die Rigaer 78 kommen. Die taz-Mitarbeiterin berichtet, sie sei mit dem Freund dorthin gegangen, wo zahlreiche Polizeibeamte in Wartestellung standen. Sie hätten den Einsatzleiter inständig gebeten, einen Arzt zu schicken, und beteuert, dies sei kein „Fake“, man brauche Hilfe. Erst dann und nach Vorlage ihres Journalistenausweises habe man ihnen geglaubt. Schließlich seien zwei Polizisten und zwei Kri­mi­nal­be­am­t*in­nen mitgekommen. Nach deren Bestätigung, dass es tatsächlich eine Leiche im Haus gebe, sei gegen halb drei nachts der Arzt gekommen. Die Todesursache sei noch unklar, so die Journalistin. „Was wäre, wenn mein Freund noch am Leben gewesen wäre und Hilfe gebraucht hätte?“, fragt sie.

Eine Anfrage der taz, ob Rettungskräfte und Polizei wirklich einen Notruf ignorieren dürfen, weil es in der Nachbarschaft Konflikte gibt, wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. Die Polizei erklärte, die Vorwürfe erforderten eine gründliche Aufarbeitung, eine Stellungnahme könne frühestens am Mittwoch erfolgen. Auch die Feuerwehr erklärte, eine rasche Antwort am Dienstag sei nicht möglich.