Ein linker Orbán für die Slowakei?

Kurz vor der Parlamentswahl führen in den Umfragen drei sozialdemokratische Parteien. Doch die sprechen ganz unterschiedliche Wäh­le­r*in­nen an. Das Ergebnis könnte die Ukrainepolitik der EU verändern

Von Alexandra Mostyn, Prag

Vor mehr als fünf Jahren brachte der brutale Doppelmord am Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová in der Slowakei mafiöse, gewaltbereite Strukturen innerhalb des Staats ans Licht, die bis in Justiz und ins Regierungsamt reichten. Damals gingen Zehntausende „für eine anständige Slowakei“ auf die Straße. Das bereitete der sechsjährigen Regierungszeit von Ministerpräsident Róbert Fico innerhalb von vierzehn Tagen ein eher abruptes Ende. Die Morde an Kuciak und Kušnírová standen im Frühjahr 2018 für das Scheitern Ficos als Politiker und Mensch: Unter seiner Herrschaft entstanden die Bedingungen dafür.

Mit Ficos Abgang als Ministerpräsident und im Jahr darauf der Wahl der Bürgerrechtsaktivistin Zuzana Čaputová zur Präsidentin schien die Forderung nach einer anständigen Slowakei zu erfüllen. Allerdings folgte auf Ficos Regierung nur noch Chaos, vor allem unter dem konservativen Ministerpräsidenten Igor Matovič, das an diesem Samstag einen neuen Höhepunkt erfahren könnte: Bei vorgezogenen Wahlen wählt die Slowakei ein neues Parlament.

Übrig vom Traum einer neuen Slowakei ist nur noch Präsidentin Čaputová. Die hat allerdings angekündigt, im Interesse ihrer Lebensqualität nicht erneut kandidieren zu wollen, wenn ihre Amtszeit im kommenden Jahr ausläuft. Doch da ist noch etwas aus den fast revolutionären Tagen im März 2018, an das sich dieser Tage viele Slowakinnen und Slowaken mehr oder weniger gerne erinnern: das Grinsen Robert Ficos bei seinem Rücktritt, begleitet von den Worten: „Ich gehe ja nicht weg“.

Heute, fünf Jahre später, gilt Fico als Favorit der Wahlen. Mit seiner populistisch-sozialdemokratischen Partei Smer führt er die Wahlumfragen an. Demnach würde die Smer mit etwa 19 Prozent den höchsten Stimmanteil einfahren.

Dicht auf den Fersen ist die relativ neue Partei „Progressive Slowakei“ (PS). Ihr gehörte früher auch Zuzana Čaputová an, bis sie Präsidentin wurde. Die sozialdemokratische PS liegt in Umfragen bei mehr als 16,5 Prozent. In manchen holt sie den höchsten Stimmanteil. Ihr Vorsitzender und Mitbegründer Michal Šimečka ist noch keine 40 Jahre alt, studierte in Oxford und wurde 2019, frisch gewählt, einer der stellvertretenden Vorsitzenden des Europaparlaments.

Auf dem dritten in den Umfragen rangiert derweil die Hlas (Stimme), die der ehemalige Fico-Günstling Peter Pellegrini 2020 gegründet hat. Sie ist der Smer immer noch nahe, aber etwas liberaler.

An vierter Stelle im Rennen um die 150 Sitze im Nationalrat der Slowakischen Republik steht zurzeit die OľaNO, die Partei von Igor Matovič, die die letzten regulären Wahlen 2021 für sich entscheiden konnte. Dessen chaotischer Führungsstil und seine Konflikte mit Koalitionspartnern, führten dazu, dass in der Slowakei eine Interimsregierung und eine Neuwahl nötig wurden. Trotzdem bekommt Matovič in Umfragen immer noch knapp zehn Prozent der Stimmen.

Übrig vom Traum einer neuen Slowakei ist nur noch Präsidentin Zuzana Čaputová

Zwei weitere Ein-Mann-Parteien aus der unglücklichen Regierungskoalition von 2021 könnten es auch dieses Mal über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen: die SaS (Freiheit und Solidarität) des Wirtschaftsliberalen Richard Sulík liegt bei 7,3 Prozent. Für die „Wir sind Familie“ des elffachen Vaters, Milliardärs und ehemaligen Schwarzmarkthändlers Boris Kollar könnte es bei einem derzeitigen Stimmanteil von 5,1 Prozent jedoch knapp werden.

Wahrscheinlich ist, dass es bei diesen Wahlen zu einem Showdown zwischen Smer und der PS kommen wird. Wobei dann auch zwei Welten aufeinandertreffen. Die PS präsentiert sich als progressiv, liberal und proeuropäisch. Ihr größtes Wählerpotential hat sie bei jungen Menschen in größeren Städten.

Für den Rest des Landes, unter wertkonservativen bis klerikalen Katholiken, die bis heute den Charakter der Slowakei bestimmen, gilt sie als Schreckgespenst. Forderungen nach gleichgeschlechtlicher oder geschlechtlicher Selbstbestimmung, wie sie die PS vertritt, gelten in weiten Teilen des Landes noch immer als inakzeptabel.

Robert Fico bedient hingegen mit seiner Wahlkampagne die prorussische Desinformation, die die Slowakei in diesen Wahlen im Griff zu haben scheint. Immer wieder erklärt er öffentlich, Russland müsse sich gegen eine NATO-Erweiterung wehren. Er lehnt Hilfe für die Ukraine und ukrainische Flüchtlinge ab. Viktor Orbán nennt er als Vorbild. Mit seinem Ritt auf der Desinformationswelle spricht Fico rund 46 Prozent der Slowaken an, die lieber an Verschwörungstheorien als an eine „anständige Slowakei“ glauben.