Bodo Ramelow über die AfD: „Sich nicht erpressen lassen“

In Nordhausen konnte ein AfD-Bürgermeister verhindert werden – dank Zivilgesellschaft, sagt Thüringens Ministerpräsident. Wagenknecht gibt er einen Rat.

Bodo Ramelow

„Faschistische Positionen sind zu einer Normalität geworden“, so Thüringens Regierungschef Ramelow Foto: Imago/Jacob Schröter

taz: Herr Ramelow, in Nordhausen ist es gelungen, die Wahl des sehr aussichtsreichen AfD-Kandidaten zum Oberbürgermeister zu verhindern. Was lässt sich daraus ableiten, wenn es darum geht, die AfD kleinzuhalten?

Bodo Ramelow: In Nordhausen hat die Zivilgesellschaft sich aufgemacht, alle anderen und damit eine Mehrheit zu mobilisieren. Es gab Menschen, die vor Ort gewirbelt haben, mit Gottesdiensten, mit Veranstaltungen und mit einer hohen Präsenz an den Haustüren und in der Nachbarschaft. Das hat dann den Unterschied ausgemacht. Das Entscheidende ist, es musste vor Ort geschehen. Es hilft nicht, von Erfurt oder von Berlin aus öffentlich Ratschläge zu geben, die werden dann vor Ort oft nicht als Rat, sondern nur als Schläge wahrgenommen.

Es war also richtig, auf eine Wahlempfehlung für den demokratischen Gegenkandidaten zu verzichten?

Ja. Dass wir es in Sonneberg getan haben, hat letztlich nur auf die Legende eingezahlt: alle gegen einen.

Dort stellt die AfD nun den Landrat. In Thüringen ist sie in Umfragen stärkste Kraft. Was läuft schief?

Nicht nur rechtspopulistische, auch faschistische Positionen sind in Deutschland mittlerweile zu einer Normalität geworden. Ein Friedrich Merz von der CDU redet nicht ernsthaft über die Gesundheitsversorgung im Land, sondern betreibt mit seinen Äußerungen zu Asylbewerbern, die deutschen Bürgern die Zahnarzttermine wegnehmen würden, lieber das Geschäft der AfD. Ich kann mir vorstellen, wie die sich auf die Schenkel gehauen haben. Die AfD ist in Thüringen eine offen faschistisch agierende Partei. Sie bedient ausländerfeindliche Ressentiments, die es auch schon zu DDR-Zeiten gab, die aber nie so massiv und offen zutage getreten ist. Das heißt aber nicht, dass wir uns deshalb in Hilflosigkeit ergeben sollten. Wir müssen diese Herausforderung annehmen.

Wie groß ist die Herausforderung, wie mächtig ist die AfD mittlerweile in Thüringen?

Sie ist eine relevante Größe. Die AfD spielt mit den formalen Elementen unserer Verfassung. Es liegt an uns, sich als demokratische Mehrheit nicht erpressen zu lassen.

67, ist Linken-Politiker und mit kurzer Unterbrechung seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen

Was meinen Sie konkret?

Es gibt ja immer wieder die Diskussion, warum ich 2020 dem AfD-Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten im Landtag meine Stimme im Parlament gegeben habe. Das war einfach eine Entscheidung gegen einen Erpressungsversuch der AfD. Die hätten sonst keinen Vertreter in den Richterwahlausschuss geschickt. Ohne einen Vertreter aus jeder Fraktion ist dieses wichtige Gremium aber nicht beschlussfähig, und in Thüringen hätten keine Richter mehr ernannt werden können. Deshalb wundert mich auch nicht, dass die AfD bei der nächsten Landtagswahl 33 Prozent der Mandate erreichen will. Sie würde nicht regieren, könnte aber wichtige demokratische Prozesse blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern.

Wo ist denn der Unterschied? Sie geben Ihre Stimme der AfD, damit Richter ernannt werden können. Die CDU setzt auf die AfD-Stimmen, damit die Grundsteuer sinkt.

Im ersten Fall hat die AfD alle anderen Parteien im Parlament erpresst. Bei der Entscheidung über die Grunderwerbssteuer hat die CDU bewusst die Stimmen der AfD in Kauf genommen, um ein Gesetz durchzubringen, das durch finanzielle Ausfälle für den Landeshaushalt sogar schadet und trotzdem jungen Familien nicht hilft.

Hat die CDU nicht Ihre rot-rot-grüne Koalition erpresst? Sie hätten statt der AfD ja dem Gesetz der CDU zustimmen können.

Von der Zielsetzung der Familienförderung habe ich mich nicht erpresst gefühlt.

Tatsächlich?

Ich bin seit über einem Jahr mit dem CDU-Fraktionschef Mario Voigt im Gespräch und habe ihn gefragt, worum es ihm eigentlich gehe. Herr Voigt sagte mir stets, das Ziel sei es, jungen Familien zu helfen. Dieses Ziel teile ich, das hätten wir unterstützt, dann wären die AfD-Stimmen egal gewesen. Nur gegen seinen Weg hatte ich Bedenken, denn erstens ändert der Bund gerade die Regeln für die Grunderwerbssteuer. Und zweitens ist eine solche Steuersenkung keine gezielte Familienförderung, sondern vor allem eine Unterstützung der Immobilienwirtschaft.

Waren Sie da nicht zu arglos, was die Motive der CDU angeht? Es ging ihr ja offenbar nicht in erster Linie darum, junge Familien zu fördern, sondern eigene Anliegen auch gegen Rot-Rot-Grün durchzusetzen.

Um mit einer Minderheitsregierung zu Ergebnissen zu kommen, und so haben wir es auch immer gehandhabt, redet man darüber, was man will. Wenn Herr Voigt mir sagt, es geht um Fami­lien­förderung, dann mache ich mir Gedanken darum, wie gute Familienförderung aussehen könnte. Ich gehe davon aus, dass er achtsam und redlich mit mir umgeht. Oder glauben Sie, ich gehe davon aus, dass ich belogen werde?

Die CDU stimmt gemeinsam mit AfD und FDP gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung: Gehen Sie davon aus, dass sich dieses Muster wiederholt?

Noch baue ich darauf, dass Demokraten miteinander reden können.

Linken-Fraktionschef Steffen Dittes sieht einen Strategiewechsel der CDU, die nun auch eine regierende Mehrheit mit AfD und FDP sucht. Und Matthias Hey von der SPD sagt, was gerade in Thüringen passiere, sei die Ouvertüre für ganz Deutschland.

Ich will dem nicht widersprechen. Matthias Hey war am Vorabend der Abstimmung noch mit der CDU verabredet und Herr Voigt ist nicht erschienen. Deshalb hat Matthias Hey am nächsten Tag im Landtag bitter beklagt, die CDU würde lieber mit der AfD stimmen, als mit der SPD zu reden.

Muss die rot-rot-grüne Koalition sich nicht noch stärker um die CDU bemühen? Es geht demnächst um die Verabschiedung des Haushalts.

Da bin ich als Ministerpräsident erst mal raus – der Haushalt ist das Königsrecht des Parlaments. Und der Landtag hat das Ziel, den Haushalt im Dezember abzustimmen. Da ist die CDU-Fraktion nicht weniger in der Verantwortung als die Koalitionsfraktionen.

Aber falls das scheitert – wäre es dann an der Zeit, dass Sie die Vertrauensfrage stellen und so den Weg für Neuwahlen freimachen?

Was habe ich damit erreicht?

Falls Sie verlieren und innerhalb von 70 Tagen kei­n:e Nach­fol­ge­r:in gewählt würde, dann gäbe es Neuwahlen. Und die Hoffnung auf klare Verhältnisse.

Ich bin sehr für klare Verhältnisse. Die hätten wir schon haben können, wenn die CDU 2021 wie zugesagt den Weg für Neuwahlen freigemacht hätte. Mir wäre außerdem der Vorwurf erspart geblieben, dass ich am Sessel kleben würde. In der Annahme, dass das Parlament keinen Haushalt hinbekommt, die Vertrauensfrage zu stellen, würde die Situation aber um kein My besser machen. Wir hätten immer noch keinen Haushalt und es könnten auch keine Minister mehr berufen werden, ich wäre ab diesem Moment nur noch geschäftsführender Ministerpräsident. Das hielte ich im Moment für verantwortungslos.

Umfragen sehen Linke und CDU gerade gleichauf, die AfD vorn. Wäre eine Koalition von Linken und CDU unter Führung einer überparteilichen Mi­nis­ter­präsi­den­t:in denkbar?

Über solche strategischen Fragen werde ich öffentlich keine Debatten führen.

2009 waren sie schon einmal bereit, auf das Ministerpräsidentenamt zu verzichten, für eine Koalition mit SPD und Grünen, beide damals weit hinter der Linken. Wäre ein solches Szenario also wieder denkbar?

Ich war zu allem Möglichen bereit, immer bezogen auf ganz konkrete Situationen, und das zeigt, dass ich flexibel im Denken und im Handeln bin. Aber jetzt werde ich solche Diskussionen nicht führen. Wie die Wahl in Thüringen tatsächlich ausgeht, werden wir im nächsten Jahr sehen.

Ihre Linken-Kollegin Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen. Was denken Sie, wird diese Partei eher Wäh­le­r:in­nen von der AfD abwerben oder gräbt sie der Linken das Wasser ab?

Ich bin es leid, über die Wagenknecht-Partei zu reden. Das ist eine Phantom-Debatte. Ich mache mir eher Sorgen, dass der CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen, der eine antisozialistische Politikwende will, zusammen mit den Bürgern für Thüringen und den Freien Wählern eine Listenverbindung bildet, die offenbar der AfD 2024 zu einer Minderheitsregierung verhelfen soll.

Aber das Phantom W. ist immer noch Linken-Mitglied. Deshalb die Frage: Wie sehr wird eine Wagenknecht-Partei die Linke schwächen?

Ich habe bereits auf unserem Landesparteitag gesagt: Wenn Frau Wagenknecht verhindern will, dass Björn Höcke in Thüringen an die Schalthebel der Macht kommt, kann sie gerne mit mir zusammen kandidieren.

Sie beide als Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen für die Linke in Thüringen?

Warum denn nicht, sie ist ja in Thüringen geboren und immer noch Mitglied der Linkspartei.

Hat Sahra Wagenknecht darauf schon geantwortet?

Nein. Sie kommt ja auch nicht auf Parteitage, sondern organisiert lieber Lesungen gegen Geld. Aber wenn Frau Wagenknecht eine Partei gründen will, dann bitte jetzt, dann soll sie aufhören, der Linken in Thüringen die Beine zu stellen.

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