Afghanistan-Treffen im Moskauer Format: „Für die Taliban entschieden“

Russland hofiert das Kabuler Islamisten-Regime und hofft auf Einfluss, die Taliban wollen Anerkennung. Bisher hat es sich für beide nicht ausgezahlt.

Bewaffnete Männer sitzen auf einem Fahrzeug auf einer städtischen Straße und schauen in die Kamera

Taliban-Kämper feiern am 15. August in Kabul die Machtübernahme ihres Regimes vor zwei Jahren Foto: Siddiqullah Alizai/AP/dpa

BERLIN taz | Moskaus Außenpolitik kann schon paradox sein: Seit Montag hält sich Amir Chan Mutaki, der Außenminister des Taliban-Regimes, in Russland auf, obwohl die Taliban dort als verbotene Terrororganisation gelistet sind. Offizieller Anlass seiner Reise sind Afghanistan-Gespräche im 2017 eingerichteten sogenannten Moskau-Format.

Deren fünfte Runde begann am heutigen Freitag in der Stadt Kasan in Tatarstan, 800 Kilometer östlich von Moskau, unter Beteiligung von China, Indien, Pakistan, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan. Dazu kommen die Taliban als „Gäste“.

Bei dem Treffen auf Ebene der Afghanistan-Sonderbeauftragten stehen laut russischen Angaben die Kooperation bei der Bekämpfung des Terrorismus sowie Wirtschaftsfragen im Mittelpunkt. Die beteiligten Länder sind vor allem wegen Aktivitäten des Terrornetzwerkes Islamischer Staat (IS) in Afghanistan besorgt. Die Taliban, so Moskau, wollen die Rehabilitierung früherer sowjetischer Infrastrukturprojekte besprechen.

Vor allem wünschen sich die Taliban von Russland die volle diplomatische Anerkennung, in der Hoffnung, dass dann weitere Staaten folgen. Wie alle anderen Staaten erkennt das Russland von Präsident Wladimir Putin das Taliban-Regime nicht an, hat aber einen Botschafter in Kabul. Der traf im August 2021 als erster ausländischer Diplomat Vertreter des neuen Regimes und nannte sie danach „vernünftige Kerle“.

Putin wünscht sich „inklusive Regierung“ in Kabul

Laut Putin versuche Russland, „mit jenen politischen Kräften Beziehungen herzustellen, die die Situation kontrollieren.“ Eine volle Anerkennung sei jedoch davon abhängig, dass die Taliban eine ethnisch und politisch „inklusive“ Regierung bilden. Dieses Thema steht auch in Kasan oben auf der Agenda, denn da bewegten sich die Taliban bisher nicht.

Auch wegen Ende 2022 vereinbarter russischer Lieferungen an verbilligtem Weizen, Öl und Diesel wollen die Taliban Druck machen. Die seien, so ist aus Kabul zu hören, bisher zumindest nicht vollständig angekommen. Sie sollten Versorgungsengpässe überwinden helfen, weil sich auch in Afghanistan infolge der russischen Ukraine-Aggression die Weizenimporte und damit das Hauptnahrungsmittel Brot verteuert hatten.

Das hat die ohnehin große humanitäre Krise noch verstärkt. Der bilaterale Handel ist marginal: Russlands Anteil an Afghanistans Importen liegt bei 4, Chinas hingegen bei 18 Prozent. Auch erhoffte russische Investitionen blieben bisher aus.

Immerhin sichtete der Korrespondent einer Schweizer Tageszeitung jüngst russische Ingenieure in Kabul, die dort Hubschrauber für die Taliban reparieren. In Sachen Ukraine geben sich die Taliban neutral und fordern „beide Seiten“ zu „Zurückhaltung“ auf.

Anti-Taliban-Führer durfte Moskau besuchen

Interessant ist, dass Moskau Mutaki vor dem Treffen in Kasan zwei Tage Zeit in der russischen Hauptstadt einräumte. In afghanischen Exilmedien kamen sofort Gerüchte auf, das solle Gespräche mit afghanischen Oppositionellen ermöglichen.

Ende Juli hatte Ahmad Massud, Chef der größten bewaffneten Anti-Taliban-Gruppe, auf Einladung von Duma-Vizepräsident Sergej Mironow Moskau besucht. Dort erhielt er zwar Gehör, traf aber keine Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen und erhielt keine konkreten Zusagen.

Die Taliban-kritische afghanische Exilzeitung Hascht-e Sobh konstatierte danach, Russland habe sich in Afghanistan „für die Taliban entschieden“.

Moskau will Einfluss des Westens weiter zurückdrängen

Ursprünglich versuchte Russland mit seinem Moskauer Gesprächsformat, die US-Dominanz in Afghanistan zu konterkarieren. Dass es den Taliban damit eine internationale Bühne bot, war Washington aber gar nicht unrecht. Die USA führten damals bereits selbst Gespräche mit ihnen, was 2021 zum Truppenabzug und deren Machtübernahme führte.

Heute geht es Moskau vor allem darum, westlichen Einfluss auf das Land weiter zu minimieren. Doch haben Putin und die Taliban bisher wenig Konkretes von ihrem Zweckbündnis. Aber sie scheinen darauf zu hoffen, dass es sich langfristig auszahlt: für die Taliban durch eine Diversifizierung ihrer Wirtschaftsbeziehungen, für Russland durch einen weiteren Partner in der losen Koalition mit China und Staaten des globalen Südens im strategischen Ringen mit den USA.

Wie der im Exil lebende russische Journalist Ruslan Suleymanov schreibt, „überlappt sich die auf Opposition zu westlichen Werten beruhende Ideologie der Taliban mit Russlands antiwestlichen Narrativen.“

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