Israels Dilemma: Es geht ums Überleben

Kein Land der Welt muss sich so für sein schieres Überleben rechtfertigen wie Israel. Selbst im Angesicht des absoluten Terrors durch seine Feinde.

Soldaten vor einem Panzer.

Dürfen keine Schwäche zeigen: Israelische Soldaten in der Nähe des Gazastreifens am 13. Oktober Foto: Violeta Santos Moura/reuters

Seit dem 7. Oktober hat es eine beinahe nie dagewesene Welle der Solidarität für Israel gegeben. Aber selbst jetzt hat es auch die Reaktionen gegeben, mit denen Israelis seit jeher konfrontiert werden: Die Ansicht, bei Terrorangriffen gehe es um Freiheitskampf, oder um von Gewalt gesäte Gewalt. Man kann es auch einfach Antisemitismus nennen. Dazu gehören die Reaktionen vieler linker Parteien in ganz Europa.

Es gehören auch Fragen von Journalisten dazu, die bei einer Pressekonferenz am Donnerstag mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog gestellt wurden. Die CNN-Moderatorin Becky Anderson fragte ihn nach Israels „kollektiver Bestrafung“ der Palästinenser, was ein „Kriegsverbrechen“ sei. Ein anderer britischer Journalist warf Israel vor, „die Menschen in Gaza für Hamas verantwortlich zu machen.“ Der sonst so sanftmütige Präsident reagierte wütend: „Wenn sie eine Rakete in Ihrer verdammten Küche haben und sie auf mich schießen wollen, darf ich mich dann verteidigen? Das ist hier die Situation!“

Das Bombardement von Teilen des Gazastreifens als kollektive Bestrafung zu bezeichnen zeugt von einer völligen Fehlinterpretation der Situation: Es geht hier nicht um Rache (obwohl israelische Politiker diese Rhetorik verwenden). Der grundlegende Unterschied wird völlig außer Acht gelassen: Hamas ermordet gezielt israelische Kinder. Israel hat nie die Absicht, auch nur ein einziges Kind töten und, sollten Kriegsverbrechen verübt werden, wird Israel sie ahnden.

Unbesiegbar oder leichte Beute

Israel verteidigt sich selbst, wie es jeder Staat angesichts eines solch grausamen Terrorangriffs dieser Dimension tun würde. Warum aber, fragen sich viele, wird dafür Gaza bombardiert? Abgesehen davon, dass die Hamas, die sich hinter ihrer Zivilbevölkerung versteckt, entmachtet werden soll, gibt es noch eine simple Antwort: Abschreckung. Es muss eine ganz klare Nachricht nach Norden, an die Hisbollah gesendet werden – und noch weiter, nach Iran: Israel ist militärisch überlegen.

Ein Israel, das Schwäche zeigt – wie zuletzt – wirkt verletzlich und macht sich sofort angreifbar, und zwar von ringsherum: Hamas im Süden und Westen, Hisbollah im Norden. Um zu überleben, muss Israel als unbesiegbar wahrgenommen werden. Und genau das ist sein Dilemma.

Denn hinter den oben aufgeführten Reaktionen steckt ebendiese Wahrnehmung von Israels Stärke – militärisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich – im Gegensatz, beispielsweise, zu den Palästinensern. Diese Wahrnehmung von Israel als unbesiegbare Macht im Nahen Osten wird auf beiden Seiten des pro- und anti-israelischen Grabens geteilt, ja sogar von den Israelis selbst, denn sie brauchen sie zum Überleben.

In den letzten paar Tagen sagten Freunde zu mir: „So schrecklich das alles ist, wir haben kein Zweifel daran, dass Israel siegen wird.“ Und die Botschaft, mit der sich Israelis in diesen Tagen gegenseitig bestärken – egal ob sie von Politikern, Journalisten, Militärsprechern, Trauernden oder normalen Bürgern kommt – ist: „Wir sind stark und wir werden das zusammen durchstehen.“

Israelis haben wirklich Angst um ihre Existenz

Was viele außerhalb Israels jedoch überhaupt nicht wahrnehmen ist die echte Fragilität von Israels Existenz. Wenn auch an der Nordfront der Krieg mit der Hisbollah ausbricht – die militärisch viel mächtiger ist als die Hamas – ist die Möglichkeit, dass Israel zerstört wird, sehr real. Im Schatten dieser furchtbaren Bedrohung liegt Iran mit seiner potenziellen Fähigkeit, eine Atombombe einzusetzen. Israelis haben wirklich Angst um ihre Existenz. Das Dilemma ist, dass sie es ihren Feinden nicht zeigen dürfen.

Nach den grausamen Verbrechen der Hamas, den kaltblütigen Massentötungen, der Entführung von Kindern nach Gaza, scheint es fast zynisch, dass ausländische Journalisten den Präsidenten nach israelischen Kriegsverbrechen fragen. Aus israelischer Sicht kommt das einer Aberkennung von Israels Recht, sich selbst vor Zerstörung zu schützen, gleich.

Das bedeutet längst nicht, dass man hier nicht versucht, das Leid der Palästinenser zu lindern oder, trotz aller Hindernisse, weiterhin an einer Lösung für die Zukunft ihres Volkes zu arbeiten. Aber wenn Israelis ihre Situation der Welt erklären, ringen sie auch nach 75 Jahren oft um die bloße Anerkennung ihres Daseins. Ich wage zu behaupten, dass kein Bürger eines anderen Staates der Welt diese Empfindung zu teilen vermag.

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