Pro und Contra: Strafe wegen Pro-Palästina-Posts?

Etliche Fußball-Profis positionieren sich auf Social Media. Sollen sie belangt werden, wenn sie im Nahost-Konflikt Partei ergreifen?

Noussair Mazraoui von Bayern München beim Kopfball

„Friedliebender Mensch“: Noussair Mazraoui, Verteidiger des FC Bayern München und Freund Palästinas Foto: Angelika Warmuth/reuters

Ja,

der Hass ist deutlich zurückzuweisen.

Fußballprofis mischen sich ein, wer sollte etwas dagegen haben? Der von Mainz 05 freigestellte Niederländer Anwar El Ghazi postete „From the River to the Sea / Palestine will be free“. Der Ex-Nationalspieler Mesut Özil unterzeichnete einen Post mit „#FreePalestine“. Gegen den Algerier Youcef Atal vom französischen OGC Nizza ermittelt die Polizei, weil er das Video eines Hasspredigers geteilt hat. Immerhin, der FC Bayern attestiert seinem Angestellten Noussair Mazraoui, „dass er als friedliebender Mensch Terror und Krieg entschieden ablehnt“. In die Kritik war der Marokkaner geraten, weil er ein Video mit einer Hasspredigt verbreitet hatte: „Gott, hilf unseren unterdrückten Brüdern in Palästina, damit sie den Sieg erringen.“

Ja, Fußballprofis sollen sich politisch äußern. Und sie sind ernstzunehmen, das heißt: zu kritisieren. Und gegebenenfalls sollten sie die Auswirkung der Kritik spüren. Was Noussair Mazraoui verbreitet hatte, war die Hoffnung, die Partei, die mit einem Pogrom gegen israelische Zivilisten einen Terrorkrieg begonnen hatte, möge ihre Kriegsziele erreichen. Nicht anders ist die von El Ghazi gepostete Forderung zu verstehen: Neben einem Palästina, das vom Jordan bis zum Mittelmeer reicht, gäbe es kein Israel mehr.

Wie reagieren die Arbeitgeber, die Fußballvereine auf diesen Hass? Meist argumentieren sie mit „Werten“, für die ihre Vereine angeblich stehen. Schaut man sich Bayern München an, das seinen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer in der Klubgeschichte mehrmals verjagt hat und das durch seine Ul­tras erst gezwungen werden musste, sich dessen Vermächtnis anzunehmen, klingt der Bezug auf die „Werte des Klubs“ nicht gerade glaubwürdig. Da muss man nicht einmal an die Sponsorendeals etwa mit Katar erinnern, um das Wohlfeile darin zu erblicken. Dass die Forderung, den Staat, der nach dem Holocaust Zufluchtsort für bedrohte Juden geworden ist, vernichten zu wollen, antisemitisch ist, sagen nämlich die Funktionäre nicht.

Entsprechend fehlt bei den Klubs auch die Perspektive der jüdischen Bevölkerung, was bei Bayern, das sich gern in eine jüdische Tradition stellt, besonders auffällt. Der Eröffnung des Terrorkriegs in Israel folgten international Angriffe auf jüdische und israelische Einrichtungen – und auf Menschen. Spiele jüdischer Sportvereine finden unter besonderem Polizeischutz statt, mehr als ohnehin (was man durchaus als Hinweis verstehen sollte, dass Judenhass nicht erst durch den Nahostkonflikt nach Deutschland gekommen ist). In Berlin versuchten Unbekannte, eine Synagoge anzuzünden, auf der Straße werden Israelfahnen verbrannt, Morddrohungen skandiert, und zu all diesen Hassorgien gehören die Parolen, die die Fußballprofis geteilt haben: „Free Palestine“, „From the River to the Sea …“ et cetera.

Solche Sprüche im aktuellen Klima, das von Todesdrohungen gegen Juden gekennzeichnet ist (bei gleichzeitigem – nicht zu vergessen – dramatischen Anwachsen der AfD) sind nichts anderes als Antisemitismus. Sophistische Überlegungen, ob mit „Free Palestine“ nicht ganz allgemein ein Freiheitswunsch verbunden sein könnte, sind verlogen, weil sie den eigentlich doch unübersehbaren Kontext einfach ausblenden. Und sie legen zugleich offen, warum alle Versuche, sie etwa mit den Mitteln des Arbeits- oder Strafrechts zu bekämpfen, nicht funktionieren können.

Was sollte juristisch gegen eine Palästinafahne, gegen das sogenannte Palituch oder gegen den Spruch „Free Palestine“ einzuwenden sein? Was nottut, und wozu der Sport – siehe Mainz 05, siehe Bayern München, siehe OGC Nizza – sich unfähig gezeigt hat, ist, den Hass so deutlich zurückzuweisen, dass er fürderhin geächtet ist. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, Antisemitismus zu erkennen.

Zu den üblichen Politikerphrasen gehört, dass Judenhass in diesem Land keinen Platz habe. Ich fürchte, die traurige Realität lautet: Doch, den Sportplatz. Martin Krauss

Nein,

seit dem Angriff der Hamas und der fortlaufenden Bombardierung Gazas durch Israel hat die deutsche Gesellschaft den Raum für propalästinensische Stimmen dramatisch verkleinert: Demoverbote, mögliche Symbolverbote an Schulen, Verhaftungen und Unterdrückung israelkritischer Stimmen. Im Fußball hat sich diese Repression verselbstständigt: Anwar El-Ghazi von Mainz 05 („From the river to the sea“) ist rausgeflogen, ähnliches fordern viele für Noussair Mazraoui, der Palästina einen Sieg wünschte.

Der FC Bayern hat, als pragmatische und politisch desinteressierte Weltmarke, eine Strafe abgelehnt. Und Unions Aïssa Laïdouni muss schon wegen einer palästinensischen Flagge zum Rapport. Bayerns israelischer Torhüter Daniel Peretz hingegen, der aufrief, „gemeinsam gegen das Böse [zu] kämpfen“, blieb unbehelligt. Man muss die Statements nicht teilen, um zu erkennen, dass diese Dynamik falsch, populistisch und vor allem politisch opportun ist.

Freie Meinungsäußerung und freie Kritik sind ein hohes Gut. Um sie in einer Demokratie zu verbieten oder zu erschweren, muss schon mehr passieren als ein Siegeswunsch für eine Kriegspartei oder auch die Infragestellung der Existenz Israels. Natürlich muss man das dürfen. Es ist schlicht falsch, diese Kritik pauschal als Antisemitismus zu labeln. Natürlich darf man sie dann ebenso scharf kritisieren. Aber einseitige Strafforderungen sind gefährlich für eine Debatte, in der es gerade erst zwei Themen – Pandemie und Ukraine-Krieg, wo ebenfalls Militärinteressen durch linksliberale Werte legitimiert wurden – mit extrem verengtem akzeptierten Meinungsspektrum gab.

Der Verein als Arbeitgeber nimmt sich zunehmend heraus, seinen „Botschaftern“ auch in der Freizeit den Mund zu verbieten. Nicht umsonst waren die Posts fast alle schnell gelöscht. Für nur ansatzweise mündige Sport­le­r:in­nen darf es keine Kultur geben, wo ein Rauswurf oder eine Abmahnung derart leicht von der Hand gehen. Auch Fans haben hier eine Verantwortung.

Gleichzeitig lohnt es, bei der Analyse nicht naiv zu sein. Derzeit streiten zwei Lager der Linken darüber, ob Statements wie die der Profis widerständig oder antisemitisch, regressiv oder progressiv seien. Es ist natürlich oft eine Mixtur. Offenbar sind viele Deutsche überfordert davon, dass hier zwei Ebenen von Betroffenheit existieren: Betroffenheit durch wachsenden Antisemitismus und Vernichtungswünsche der Anti-Israel-Koalition aufseiten von Jüd:innen. Und die jahrzehntelange Besatzung, Vertreibung, Unterdrückung und Demütigung von Palästinenser:innen, jene alltägliche Gewalt, die Gewalt gebiert und sie nutzt, um neue Unterdrückung zu rechtfertigen, und zu der die meisten schweigen, wenn nicht gerade Bomben fallen.

Hinzu kommt eine spezifisch europäische Ebene: Der Konflikt zwischen arabischen, oft marginalisierten Minderheiten und der Mehrheitsgesellschaft, in Frankreich noch eine koloniale Vergangenheit. Ein Interesse an Eskalation dieser Klassenkonflikte haben die Rechten: In Deutschland begann die Schlacht um Fußballer-Postings die Bild-Zeitung, während rechte Politiker einander mit rassistischen Forderungen von Ausweisung (Mazraoui) bis Entzug der Staatsbürgerschaft (Benzema) überboten.

In dieser Lage ist es auch strategisch völlig unklug, einseitige Repression auszuüben. Wo nicht gesprochen werden kann, werden Spieler und ihre jugendlichen Fans in ihren Positionen unversöhnlich. Ein Klub kann einen gesellschaftlichen Konflikt nicht „raushalten“. Die demokratische Lösung ist Aushandeln. Freilich mit klaren Grenzen des Tolerierbaren. Sinnvoller als Standpauken wären teaminterne, moderierte Dialoge, unter in einer geschützten Atmosphäre für alle. Auch Weiterbildungsangebote für Spieler:innen. Stattdessen überlegt etwa Bayern, die Spieler „im Umgang“ mit dem Konflikt zu schulen. Das heißt: Öffentlich schweigen. Alina Schwermer

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