Kein Geld, kein Plan, kein Weg

Die vom schwarz-roten Senat versprochene Beschleunigung beim Bau neuer Radwege lässt ordentlich auf sich warten

Von Claudius Prößer

Der Herbst ist da, auch das ist eine verkehrspolitische Nachricht. Nicht nur, dass Radfahrende dringend Bremsen und Beleuchtung überprüfen sollten. Wenn der Winter kommt, wird auf den Straßen auch weniger gebuddelt. Wer jetzt keinen Radweg baut, baut bald erst recht keinen mehr. Und die Bilanz in Sachen „Ausbau der Radinfrastruktur“ stimmt auch mit Blick auf die kommenden Jahre wenig optimistisch.

Dabei sieht es an manchen Stellen gar nicht so schlecht aus: Größere geschützte Radwege im sogenannten Vorrangnetz entstehen gerade in der Tempelhofer Boelckestraße, auf der Chausseestraße in Mitte oder der Müllerstraße in Wedding. Wie viel Kilometer neue Radinfrastruktur es dieses Jahr werden, darüber lässt sich aber, so die Senatsverkehrsverwaltung vor gut zwei Wochen, „keine valide Aussage“ treffen.

Angesichts der Tatsache, dass das Jahr zur Neige geht, klingt das nach einem Offenbarungseid. Aber die Lage ist eben unübersichtlich, schon weil sich Senatsverwaltung, Bezirke und die landeseigene infraVelo GmbH die Verantwortung in unterschiedlichen Konstellationen teilen.

Zu hoffen ist, dass es nach knapp 20 Kilometern 2021 und 26,5 Kilometern 2022 ein wenig mehr werden. Den im Berliner Radverkehrsplan vorgesehenen 60 Kilometern wird man sich aber kaum nähern.

Dass es 2024 dann laut Plan sogar 100 Kilometer werden (zuzüglich der dieses Jahr nicht erreichten), hält Oda Hassepaß, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, für ausgeschlossen – jedenfalls nicht mit den von Schwarz-Rot im Haushalt 2024/2025 eingeplanten Mitteln. Dabei hatte der Senat nach seinem Amtsantritt im April angekündigt, er werde das Tempo gegenüber den Vorgängerregierungen deutlich steigern. Und nun? „Mit weniger Geld lassen sich nicht mehr Radwege bauen. Das ist eine simple Rechnung“, sagt Hassepaß.

„Für das Jahr 2023 kann noch keine valide Aussage getroffen werden“

Verkehrsverwaltung

Die Grünen-Politikerin erläutert gegenüber der taz, wieso sie die Finanzierung für völlig unzureichend hält: Das von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) im Sommer verhängte Moratorium zur Überprüfung der Radwegeplanung habe Maßnahmen verzögert, für die die Bezirke bereits Finanzierungszusagen vom Senat erhalten und eine Fertigstellung im laufenden Jahr geplant hätten. Viele dieser Projekte könnten nun erst 2024 umgesetzt und abgerechnet werden.

Hassepaß nennt als Beispiel die Radwege auf der Neuköllner Sonnenallee, der Schöneberger Grunewaldstraße und der Siegfriedstraße in Lichtenberg. Der Mittelabfluss werde damit den Haushalt für 2024 über Gebühr belasten: „Die Summe der Zusagen für ins Folgejahr verschobene und für neu eingeplante Projekte übersteigen den Haushaltsansatz für 2024 für Radverkehr bei Weitem.“

Für Unruhe sorgte zuletzt die Schrumpfung einer Liste von 30 Projekten über insgesamt 32 Kilometer Länge, erstellt von der „Projekteinheit Radwege“, die Schreiners Vorgängerin Bettina Jarasch (Grüne) geschaffen hatte. Das Gremium, das die Abstimmung der Verwaltungsebenen beschleunigen sollte, hatte sich unter anderem Radwege an der Brandenburgischen, der Kaiser-Friedrich- und der Lewishamstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf, an der Allee der Kosmonauten und der Märkischen Allee in Marzahn-Hellersdorf sowie an der Königin-Luise-Straße in Steglitz-Zehlendorf vorgenommen – alle sechs sind nun wieder raus.

Auf die Frage nach den Gründen antwortet die Verkehrsverwaltung vage: „Aus der laufenden, vertiefenden Prüfung, Planung und Koordination der ausgewählten Maßnahmen durch die Projekteinheit Radwege ergaben sich kontinuierlich Konkretisierungen für die Umsetzung.“ Es hätten sich „größere Sanierungsbedarfe oder zeitintensivere Abstimmungserfordernisse ergeben“, die Planung habe sich „als komplexer erwiesen als ursprünglich angenommen“ oder der Sanierungsaufwand sei höher als erwartet.

Fraglich ist, was man von einer Liste, die die Senatsverwaltung als „lebendig“ bezeichnet, erwarten darf. Auch BezirkspolitikerInnen hatten da schon Zweifel: „Wir haben uns zur Nord-Süd-Verbindung an der Kaiser-Friedrich- und der Lewishamstraße viele Briefe hin- und hergeschrieben, und ich habe nicht damit gerechnet, dass da in den kommenden Jahren etwas passiert“, sagt der Verkehrsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoffeneger (Grüne), zur taz. Dass es nun offiziell ist, schockiert ihn kaum: „Es ist zwar die kürzeste Nord-Süd-Route, aber sie ist auch extrem verkehrsreich. Schön zum Radfahren ist das nicht.“

Hindernisse und Probleme: Der Radwegeausbau kommt kaum vom Fleck Foto: Chromorange/imago

Auch ein anderes lang ersehntes Projekt in Mitte wurde gerade zurückgestellt: der Umbau der Torstraße, in der es aktuell gar keinen Radweg gibt. Hier will die Verkehrsverwaltung die fertigen Pläne überarbeiten: Als Antwort auf Fragen aus dem Abgeordnetenhaus zum Haushaltsentwurf teilte das Haus von Manja Schreiner mit, eine Umplanung sei „im Hinblick auf eine ausgewogene Verteilung des Straßenraums für alle Verkehrsarten erforderlich“. Deshalb gehe es nicht wie vorgesehen 2024, sondern erst 2025 los.

Offenbar verträgt es sich nicht mit Schreiners Idee des neuen „Miteinanders“ von Fahrrad und Auto, dass die Parkstreifen beidseitig wegfallen sollen. Mittes Verkehrsstadträtin Almut Neumann (Grüne) bedauert gegenüber der taz die Verzögerung: Die Torstraße sei „derzeit sehr gefährlich für Radfahrende“.

Auch werde der Bezirk bald Fahrradstraßen in der Gartenstraße und der Kleinen Hamburger Straße umsetzen, „entlang derer große Mengen Radfahrende die Torstraße queren müssen“. llerdings, so Neumanns resigniert klingende Aussage, liege die Planung bei der Senatsverwaltung für Verkehr und sei „fachlich von ihr zu bewerten“.