Protest gegen Castor-Transporte: Atommüll-Fahrten unnötig

Wegen Erdbebengefahr sollen Dutzende Atommülltransporte von Jülich nach Ahaus rollen. Doch die Gefahr existiert offenbar gar nicht.

Gelbe Atommüll-Fässer

Atommüll im Jülicher Forschungszentrum Foto: Mathias Graben/Imago

BOCHUM taz | In Nordrhein-Westfalen gibt es neue Proteste gegen Dutzende unnötige Transporte von hochradioaktivem Atommüll aus dem Forschungszentrum Jülich ins Zwischenlager Ahaus. Am Zielort im Westmünsterland demonstrierten am Montagabend Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen und Land­wir­t:in­nen gegen die Castor-Atommüllbehälter, deren Lkw-Anlieferung in der Nacht von Dienstag auf diesen Mittwoch – noch ohne radioaktive Beladung – geprobt werden sollte.

Vor Ort war auch die parteilose Ahauser Bürgermeisterin Karola Voß. Die Stadt klagt vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen die geplanten Autobahntransporte. Dennoch ist für die Nacht vom 21. auf den 22. November ein weiterer Probelauf geplant, bei dem auch die Atomaufsicht des grün geführten NRW-Wirtschaftsministeriums teilnehmen will.

Bei dem Atommüll handelt es sich um den Brennstoff des ersten deutschen Hochtemperaturreaktors (HTR), der seit 1966 auf dem Gelände des Forschungszentrums im rheinischen Jülich betrieben wurde. Nach massiven Störfällen, die etwa zu einer übermäßig starken radioaktiven Kontamination des Reaktors und einer Verstrahlung des Bodens darunter geführt haben, wurde der HTR 1988 stillgelegt.

Seit 1992 lagert der Atommüll in Form von 192.000 Brennelementkugeln in 152 Castoren auf dem Gelände des Forschungszentrums. Bereits seit 2009 wird darüber gestritten, was mit den Behältern passieren soll. Nachdem die Genehmigung für den Verbleib in Jülich schon 2013 ausgelaufen war, hatte der damalige NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) als Atomaufsicht bereits 2014 eine unverzügliche Räumung des dortigen Atommülllagers wegen angeblicher Erdbebengefahr angeordnet.

Keine sicherheitsrelevante Erdbebengefahr

Allerdings: Diese Erdbebengefahr gibt es offensichtlich gar nicht. Bereits im Oktober 2022 sei das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zu der Einschätzung gekommen, „dass der Gesamtkomplex der seismischen Bemessung und der davon abhängigen sicherheitstechnisch zu bewertenden Auswirkungen mit positivem Prüfergebnis abgeschlossen werden“ konnte, ließ Duins Nachnachfolgerin Ende Oktober mitteilen.

Das ist Nordrhein-Westfalens Vizeministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin, die grüne Mona Neubaur. Auch bei einem Treffen mit Umweltverbänden wie dem BUND und überregionalen wie lokalen Anti-Atom-Initiativen am 30. Oktober habe Neubaur noch einmal bestätigt, dass es in Jülich keine sicherheitsrelevante Erdbebengefahr gebe, erfuhr die taz.

Doch die geplanten Probetransporte in Richtung Ahaus zeigen: Die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH will den Atommüll möglichst schnell loswerden – und schafft so ein Problem, besonders für Neubaur. Denn: „Wir setzen uns für eine Minimierung von Atomtransporten ein“, heißt es im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen NRW-Landesregierung von CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst unmissverständlich. Und weiter: „Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben.“

Gründe dafür gibt es viele: Nicht nur gelten die zum Transport nach Ahaus 40 bis 50 notwendigen Lkw-Fahrten mit hochradioaktivem Atommüll mitten durch das dichtbesiedelte NRW als gefährlich. „Wie alle deutschen Zwischenlager ist Ahaus nicht ausreichend gegen Terroranschläge und Flugzeugabstürze gesichert, hat deshalb nur eine Betriebsgenehmigung bis 2034“, sagt außerdem Felix Ruwe von der Bürgerinitiative Kein Atommüll in Ahaus.

Castoren nur für 40 Jahre ausgelegt

Auch seien die Castor-Behälter nur für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt, kritisiert Ruwe. Angesichts der völlig ungeklärten Endlagerfrage müsse der Atommüll also absehbar umgepackt werden. Dies sei aber nicht in Ahaus, wohl aber in Jülich möglich. Das sieht selbst Jülichs parteiloser Bürgermeister Axel Fuchs genauso: „Ich könnte mir auch ein Zwischenlager in Jülich vorstellen“, meinte er Mitte Oktober im WDR.

NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur erklärt dazu, noch sei „keine Entscheidung für eine der beiden Optionen“ Jülich oder Ahaus getroffen worden. Allerdings halte die Bundesregierung die Ahaus-Option für „grundsätzlich vorzugswürdig“. Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen aber lassen das nicht gelten: „Als Chefin der NRW-Atomaufsicht hat Mona Neubaur alle Hebel in der Hand“, meint etwa Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen: „Neubaur muss endlich die Räumungsverfügung für Jülich aufheben und alle Beteiligten zum Bau eines neuen, sicheren Zwischenlagers in Jülich drängen.“

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