Bund-Länder-Treffen zu Asylpolitik: Geiz statt Reiz

Die Länder und der Bund haben sich im Streit über Migrationspolitik geeinigt. Ihre Beschlüsse sollen vor allem Kosten sparen und Flüchtende abschrecken.

Ein Mann trägt ein Kleinkind auf dem Arm

Rostock, März 2022: Ein junger Mann mit einem Kleinkind wartet an der Messehalle in der Kälte auf Einlass Foto: Mark Mühlhaus/Agentur Focus

BERLIN taz | Weit nach 2 Uhr war es am Dienstagmorgen, als Bundeskanzler Olaf Scholz mit den beiden Ministerpräsidenten Boris Rhein und Stefan Weil vor die Presse trat. Stundenlang hatten sich die Verhandlungen der Ministerpräsidentenkonferenz hingezogen. Nun aber liegt eine Einigung auf dem Tisch: Mehr Geld für die Kommunen zur Unterbringung und Versorgung Geflüchteter – und deutliche Kürzungen und noch mehr Restriktion für Geflüchtete.

Es sei ein „sehr historischer Moment“, konstatierte Scholz zufrieden. Konkret vereinbart haben Bund und Länder eine Reform der Flüchtlingsfinanzierung: Statt starrer Pauschalbeträge sollen die Länder vom Bund ab dem kommenden Jahr eine Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro jährlich bekommen. Dieses „atmende System“ passt sich also der tatsächlichen Zahl ankommender Asylsuchender an. Gefordert hatten Länder und Kommunen eine Pro-Kopf-Pauschale von 10.500 Euro, der Bund hatte eigentlich nur rund 5.000 Euro geben wollen.

Um die Kommunen weiter zu entlasten, soll gespart werden – und zwar bei den Geflüchteten selbst. Asyl­be­wer­be­r*in­nen und Geduldete bekommen in Deutschland nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ohnehin schon rund 18 Prozent weniger Sozialhilfe als Deutsche. Auch die Gesundheitsversorgung ist deutlich eingeschränkt. Erst nach 18 Monaten werden die Leistungen weitestgehend angeglichen. Dieser Zeitraum soll nun von anderthalb auf drei Jahre ausgeweitet werden. Auch anerkannte Schutzsuchende und Ukrai­ne­r*in­nen sollen gekürzte Leistungen bekommen, wenn sie in Gemeinschaftsunterkünften leben, in denen etwa die Verpflegung gestellt wird.

Kommen sollen auch die von Union und FDP lautstark geforderten bundesweit einheitlichen „Bezahlkarten“ statt Bargeld für Menschen im Asylverfahren oder Geduldete. Eine Arbeitsgruppe soll bis Ende Januar 2024 ein Modell für ein solches Bezahlsystem erarbeiten.

Asylverfahren in Drittstaaten

Asylverfahren sollen schneller, die umstrittene Reform des europäischen Asylrechts soll vorangetrieben und es soll mehr abgeschoben werden. Die deutschen Grenzen zu Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz würden über „lange Zeit hinweg“ weiter kontrolliert werden, sagt Scholz, am liebsten schon auf dem Gebiet der Nachbarstaaten selbst. Die Digitalisierung in den Ausländerbehörden soll vorankommen, ebenso wie Migrationsabkommen mit den Herkunftsstaaten und die bereits angeschobene Aufweichung bei Arbeitsverboten.

Der Beginn der Verhandlungen mit Scholz hatte sich am Montag enorm verzögert, weil die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen untereinander in einem Punkt nicht einig wurden: bei der Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten. Die unionsgeführten Länder beharrten auf diesem Punkt, unterstützt von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Auch die FDP ist dafür, ebenso wie einige wenige SPD-Bundestagsabgeordnete. Im MPK-Beschluss heißt es nun etwas weicher – und im Einklang mit dem Koalitionsvertrag: die Bundesregierung werde das Vorhaben „prüfen“.

In der Vorwoche hatten Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Asylverfahren in Drittstaaten noch eine Absage erteilt. Vieles, was gerade öffentlich diskutiert werde, sei unter anderem mit EU-Recht „nicht vereinbar“ und auch „praktisch sehr schwierig“, sagte Scholz nun. Die Debatte aber liege „in der Luft, und es wäre doch ganz absurd, sich damit nicht zu befassen“.

Vorbild sind etwa Pläne Großbritanniens, Asylverfahren in Ruanda durchführen zu lassen. Bremen, Niedersachsen und Thüringen wiesen in einer Protokollerklärung darauf hin, dass Asylverfahren außerhalb der EU aus ihrer Sicht nur in Ländern infrage kommen, in die Schutzsuchende sich „freiwillig begeben haben“. Man könne sich „schwer vorstellen“, dass Menschen „gegen ihren Willen in irgendeinen Teil der Welt verbracht“ würden, erklärte Niedersachsens Regierungschef Stefan Weil am Dienstagmorgen. Doch auch bei Transitstaaten müsse erst ein Land gefunden werden, das dazu bereit sei. Die Beschlüsse sind den Forderungen der Union weit entgegengekommen. So hat Scholz kurzerhand ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einkassiert: Es soll nun doch keinerlei Verbesserungen bei der Familienzusammenführung für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz geben. Doch CDU und CSU sind offenbar keineswegs zum Burgfrieden bereit.

Das Beschlossene sei nur „ein Schritt in die richtige Richtung“, dem weitere folgen müssten, erklärte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. „Wir müssen die irreguläre Migration stoppen.“ In einer Protokollerklärung der Freistaaten Bayern und Sachsen heißt es, die Maßnahmen seien bloßes „Klein-Klein“. Stattdessen brauche es unter anderem eine „Integrationsobergrenze“, das Grundrecht auf Asyl müsse überdacht und Sonderaufnahmeprogramme – wie das für Afghanistan – müssten eingestellt werden.

Dass ihre eigenen Ministerpräsidenten mit am Verhandlungstisch saßen, war für die Union kein Hindernis, die Einigung bereits wenige Stunden später fundamental auseinanderzunehmen. „Die MPK hat kein ausreichendes Ergebnis gebracht“, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Dienstag in Berlin. Er kritisierte die Einigung bei der Finanzierung als „ernüchternd“, begrüßte es aber grundsätzlich, dass Bund und Länder hier eine gemeinsame Position gefunden hätten.

Auch CDU-Parteichef Friedrich Merz gehen die Ergebnisse nicht weit genug. Schnell gehen soll es trotzdem: „Ich erwarte von der Bundesregierung, dass diese Beschlüsse noch vor dem Jahresende im Bundestag beschlossen werden“, so Merz. Eine zumindest punktuelle Zusammenarbeit mit der Regierungskoalition kündigte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, an: Die Ausweitung der Asylbewerberleistungen werde man „im Bundestag unterstützen“, so Frei.

Die FDP ist zufrieden mit dem MPK-Beschluss. Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Johannes Vogel sprach von „mehr Realpolitik“ bei der Regelung von Migration. In einem Hintergrundpapier aus Kreisen des FDP-geführten Finanzministeriums wurde nicht an Eigenlob gespart. „Geldleistungen dürfen nicht als Pull-Faktor wirken“, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt. „Deshalb ist es ein großer Erfolg, dass die von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgeschlagene Einschränkung beim Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen worden ist.“ Nach Berechnungen des Finanzministeriums würden Länder und Kommunen dadurch 1 Milliarde Euro pro Jahr einsparen.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten diskutierten die Beschlüsse am Dienstagnachmittag mit Olaf Scholz auf ihrer Fraktionssitzung. Fraktionschef Rolf Mützenich bezeichnete sie vorab als gut und wegweisend. Asylverfahren in sichere Drittstaaten auszulagern halten viele in der SPD jedoch für Unfug. „Rechtsstaatliche Verfahren und Menschenrechtsmonitoring werden dadurch erschwert“, meinte etwa Hakan Demir. Andere glauben, dass man mit dem Prüfauftrag dem Koalitionsvertrag Genüge getan und das Thema zugleich politisch begraben habe.

Demir kritisierte das fehlende Bekenntnis zum Familiennachzug. „Wir wollen nicht, dass Menschen auf Schleuser zurückgreifen oder Familien auseinandergerissen werden, weil der Nachzug rechtlich erschwert wird.“

Die Sprecherin der AG Migration, Rasha Nasr, lobte die Lösungen im Bereich der Finanzierung. Sie kritisierte aber, dass es wieder mal fast nur ums Geld gegangen sei. „Deutschland ist ein Einwanderungsland. Deshalb ist es mehr als ernüchternd, dass man sich in der MPK nur in einem Punkt mit der Integration zu uns geflüchteter Menschen auseinandergesetzt hat.“

Dissens bei Grünen

Bei den Grünen ist die Stimmung durchwachsen. Parteichef Omid Nouripour betonte, es gebe nun „deutlich mehr Planungssicherheit und deutlich mehr Geld“ für die Kommunen. Das sei „ein großer Schritt nach vorne“, sagte er in der ARD. Nun gelte es, „Ruhe“ in die Debatte zu bringen. Das findet auch Fraktionschefin Katharina Dröge. Asylverfahren in Drittstaaten zu prüfen stehe bereits im Koalitionsvertrag, so Dröge. Aber: „Wir Grünen haben da eine sehr klare Haltung zu.“ Soll heißen: Die Grünen (außer in Baden-Württemberg) lehnen das eigentlich ab.

Den Bundestagsabgeordneten Kassem Taher Saleh, der selbst als Geflüchteter aus dem Irak nach Deutschland kam, ärgern besonders die Bezahlkarten. „Populistisches Blendwerk“ sei das, sagte Saleh der taz. „Die Bezahlkarten führen dazu, dass ohnehin prekär lebende Geflüchtete noch stärker in die Armutsfalle gedrängt werden.“ Mit der Karte könne man nur Neuware kaufen, nicht aber billigere Secondhand-Produkte.

Die Grüne Jugend, ohnehin wegen migrationspolitischen Zugeständnissen der eigenen Partei auf der Zinne, ist „wütend“: „Die finanzielle Unterstützung für die Kommunen reicht nicht aus, die Verschärfungen sind unnötig und unmenschlich“, sagte Katharina Stolla, eine der beiden Vorsitzenden, der taz. „Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen ist außerdem weder realistisch noch mit dem Grundrecht auf Asyl vereinbar.“ Dass Kretschmann und andere grün mitregierte Länder das mittragen, sei „falsch“.

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linkspartei, Clara Bünger, nennt die Beschlüsse einen „Horrorkatalog“. Dass Scholz diesen das „Ergebnis einer historisch guten Zusammenarbeit“ nenne, sei bezeichnend: „Es ist längst Konsens aller Parteien von Grünen bis AfD, Geflüchtete zu bekämpfen, statt die Kommunen zu befähigen, Schutzsuchende angemessen aufzunehmen und zu versorgen“, so Bünger.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bezeichnete die Beschlüsse als „beschämend“. Es gebe keine Belege dafür, dass gekürzte Leistungen Menschen von der Flucht nach Deutschland abhalten würden. Vielmehr würden Menschen dadurch „gedemütigt und entwürdigt“ und Integration werde massiv behindert. Der Deutsche Städtetag begrüßte die Einführung des „atmenden Systems“ – bezweifelte aber, dass die 7.500 Euro pro Kopf ausreichen. Auch gelte sie nur für neu Ankommende. „Die dringend notwendigen Integrationsleistungen vor Ort, gerade für bereits hier lebende Geflüchtete, sind weiter nicht berücksichtigt.“

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