Ein Hausbootbewohner über Bürokratie: „Nie wieder an Land wohnen“

Jan „Rockfisch“ Ebel lebt mit seiner Familie in einem Hausboot. Als Spreemüllsammler hat er auch bei den Behörden eine gewisse Bekanntheit erlangt.

Ein Mann sitzt auf einem Hausboot

Jan Ebel auf seinem Boot in der Rummelsburger Bucht Foto: Doro Zinn

wochentaz: Herr Ebel, wie kommt man auf den Namen Rockfisch?

Jan „Rockfisch“ Ebel: Der Name kommt eigentlich von einer Zeichnung, die ich mal gemacht habe, von einem karierten Fisch. Eine Fantasiefigur, die ich bei den Konzerten meiner Band gern so als Label verwendet habe. Irgendwann habe ich mein Boot auch Rockfisch benannt. Mittlerweile firmiere ich sozusagen selbst unter dem Namen.

Der Mensch

Jan Ebel, 42, ist gebürtiger Berliner aus Pankow. Er arbeitet als Integrationserzieher in einer Kita mit Kindern mit Behinderungen. Zur Arbeit pendelt er täglich von seinem Hausboot auf der Rummelsburger Bucht nach Prenzlauer Berg mit Boot und Fahrrad. Er lebt mit seiner Partnerin und seinem Kind seit Jahren auf dem Hausboot. Mehrmals im Jahr rückt er mit seinem „Rockfisch“ aus, um mit Freunden zusammen Müll aus der Spree zu holen.

Das Engagement

Jan Ebel ist seit Anbeginn Mitglied der stadtpolitischen Initiative Spree:­pu­blik. Der Zusammenschluss der Berliner Kunst- und Kulturflößer*innen setzt sich für die Belange der Hausbootbewohner und generell für ein umweltfreundliches und kulturvolles Leben auf dem Wasser ein. Spree:­pu­blik möchte gesellschaftliche Freiräume in einer wachsenden Metropole schaffen und fördert Kunst und Kultur auf Flößen, von Konzerten bis Theater.

Also hat er auch ein bisschen mit Rockmusik zu tun?

Ja, ich habe 24 Jahre Musik gemacht, Bass gespielt in einer Band. Jonnie Rook. Knüppelharter Punk, aber mit melodischem Frauengesang, was die Sache ein bisschen entschärft hat. Corona war unser Bandtod.

Seit wann gibt es den Rockfisch auf dem Wasser?

Auf dem Ur-Rockfisch habe ich seit 2009 immer von April bis Oktober gewohnt. Damals war ich noch Single. Auf meinem Nachfolgerboot, Edgar Rockfisch, wohne ich seit siebeneinhalb Jahren mit Freundin und meinem fünfjährigen Sohn. Nicht um Miete zu sparen, sondern weil ich ein Wasserfreak bin.

Auf dem Wasser ist für Sie besser als am Wasser?

Ohne Frage. Ich weiß, dass ich nie wieder an Land wohnen werde. Das Leben auf dem Wasser ist voll meins, obwohl es super viel Arbeit bedeutet. Aber es macht mich auch komplett glücklich.

Was ist besser auf Wasser als an Land?

Erst mal der Platz, obwohl wir zu dritt auf nicht mal 40 Quadratmeter beheizbarer Fläche wohnen. Andererseits haben wir freie Sicht. Aber ich will jetzt keine Werbung dafür machen, denn das Leben ist auch nicht ganz einfach.

Die oft romantischen Vorstellungen vom Leben im Hausboot, die man sich gern macht, sind falsch?

Zum Teil schon. Es ist alles sehr teuer. Man kann sich bei Kleinanzeigen sogar ein Boot schenken lassen, aber dann geht’s ja erst los. Du brauchst Strom, einen festen Liegeplatz, der ordentlich Geld kostet. Genauso wie die Wartung der Motoren oder wie das Boot an Land zu holen für die regelmäßigen Anstriche gegen Algen. Dazu brauchst du eine Versicherung und, wenn man autark sein will, eine Solar- und Wasseraufbereitungsanlage. Ich stecke all mein Geld ins Boot, um hier autark und umweltfreundlich zu leben. Mit meiner Anlage mache ich aus Spreewasser Trinkwasser.

In der Stadt ist Wohnen ein Riesenproblem, auch Verdrängung. Gibt es die auch auf dem Wasser?

Es gibt viele Versuche, die bunten Boote aus der Rummelsburger Bucht hier in Berlin zu verdrängen. Zum Beispiel vonseiten einiger Bürgervereine, die uns als Assis auf Wasser betrachten, die ihnen die schöne Sicht versperren. Aber auch Parteien machen gegen uns Stimmung. Leider sind da die Linken und die Grünen, mit denen ich ansonsten sympathisiere, ganz vorne dabei. Sie wollen, dass hier alles Naturschutzgebiet wird und keine Boote fahren. Bloß weil sich paar Leute verantwortungslos auf dem Wasser benehmen. So einfach geht das aber nicht, weil eine Bundeswasserstraße nicht dem Land untersteht. Wir vom Verein Spree:­pu­blik wollen zeigen, dass es hier auch engagierte Leute gibt, die sich verantwortungsvoll verhalten und die Freiheit auf dem Wasser nicht nur genießen, sondern auch etwas für die Umwelt tun und für Kunst und Kultur, die auf dem Wasser für alle umsonst zugänglich ist.

Was heißt das konkret?

Unser Verein möchte Ansprechpartner sein für Partizipation auf dem Wasser. Wir wollen ein Mitspracherecht für Menschen, die Leben auf dem Wasser kultivieren, bevor Gesetze beschlossen werden, die sie betreffen. Wir hätten gern einen selbstverwalteten alternativen freien Hafen, wo unsere kulturell und umweltschutzmäßig genutzten Boote einen günstigen Liegeplatz kriegen. Wir haben ja mehrere, auf denen Konzerte, Theater und Kinoabende stattfinden, wo man mit dem Paddelboot hinkommen kann oder geshuttelt wird. Wir veranstalten einmal im Jahr „Rummel in der Bucht“, wo richtig die Post abgeht. Wir organisieren auch viele kleine politische Veranstaltungen zum Beispiel über Sea-Watch oder Ausstellungen.

Sie sind auch bekannt als Spree-Aufräumer, der mehrmals im Jahr mit seinem eigenen Boot Schrott aus dem Wasser holt. Das finden viele bewundernswert.

Na ja, die Wasserpolizei ist über unser Müllsammeln weniger begeistert, weil sie Nachahmer befürchtet, die den Müll einfach ans Ufer stellen und dann keinen Container besorgen, sodass sich die Stadt kümmern muss.

Absurd?!

So ist es halt. Wer den Müll aus dem Wasser holt, ist auch dafür verantwortlich, dass er entsorgt wird. Richtig absurd ist die Bürokratie, die ich bei der Vorbereitung meiner Aktionen erlebe. Von überall brauche ich eine Erlaubnis: Grünflächenamt, Ordnungsamt, Wasserschiff­fahrts­amt, Denkmalschutzamt.

Warum denn von denen?

Falls ich irgendwelche archäologisch relevanten Sachen aus dem Wasser ziehe.

Und haben Sie schon mal?

Nö, aber ich habe mal ein Stück einer Skulptur aufgefischt, eine Steinhand. Ich hatte dann mal gegoogelt und rausgefunden, dass eine DDR-Künstlerin in Köpenick eine Statue aufgestellt hatte, der irgendwelche Vandalen den Arm abgerissen und ­offensichtlich ins Wasser geworfen hatten. Ich habe dann den Verein angerufen, wo sie begeistert waren über meinen Fund, aber dann haben sie sich nie wieder gemeldet. Die Hand liegt jetzt noch bei meiner Mutter im Blumentopf.

Jan Ebels Hausboot "Rockfisch"

Ebels Hausboot „Rockfisch“ auf der Spree Foto: Doro Zinn

Wo schippern Sie so auf der Spree lang auf Ihrer Unterwasserentrümpelungstour?

Ich fahre Richtung Oberbaumbrücke, und erstmals war ich auch bis zum Regierungsviertel, wofür ich natürlich auch wieder eine Genehmigung brauchte. Gerade wo viele Touristen sind, liegt viel Müll im Wasser. An einem Spot haben wir mal über 50 E-Scooter rausgeholt. Wenn im Winter das Wasser extrem aufklart, hat man ja eine gute Sicht auf den Grund. Wir arbeiten mit Haken und sind ein eingespieltes Team, das ist alles harte Arbeit, drei, vier Stunden lang. Und dann kostet es ja auch noch Geld.

Wofür?

Für einen Container, den ich organisieren muss. Zweimal nur haben das E-Scooter-Firmen übernommen. Die eiern lieber erst mal rum, von wegen, da ist ja auch anderer Müll dabei. Ich denk dann, ach leckt mich, dann bezahle ich es selbst. Mittlerweile bekommen wir aber auch Spenden, mit denen ich zumindest die Reparatur meines Rockfisches bezahlen kann. Ich muss das Boot ja wieder auf Vordermann bringen, um es später wieder zu ramponieren (lacht).

Knackfrage sicher für viele: Warum machen Sie das eigentlich?

Weil es sonst keiner macht. Wenn ich sehe, dass Müll im Wasser liegt, auf dem ich wohne, ist es für mich selbstverständlich, etwas dagegen zu tun. Ich habe die Ressourcen und die Power und Freunde, die helfen. Also mache ich es halt so. Aber das ist eine echt mistige Arbeit, kein Spaß. Auch wenn es beim Müllsammeln selbst lustig zugehen kann, weil wir dann unsere Späße machen. Und wir kriegen ja auch viel Zuspruch, wenn unsere Aktionen publik werden.

Es gibt inzwischen einige Schrottfischer in Berlin?

Ja. Ich arbeite auch mit Magnetfischergruppen zusammen. Ganz patente Leute, die auch einen Ehrenkodex haben und das Schrottsammeln als Hobby betreiben. Die suchen eher so kleine Schätze. Für mich ist es kein Hobby. Da gehe ich lieber angeln oder trinke ein Bierchen mit Kumpels.

Bereuen Sie eigentlich manchmal, dass Sie anderen ihren Dreck wegräumen?

Nö, aber es ist doch schade, dass es nicht jemand macht, der dafür zuständig ist und dafür bezahlt wird.

Steigert es den Frust, dass man ihn schwer konkret adressieren kann?

Na ja, wem soll man die Schuld geben? Dem betrunkenen Partyvolk oder den eigentlich Zuständigen? Ich bin halt jemand, der lieber eher macht als jammert oder etwas beklagt.

Es ist ja auch ein übergreifendes Problem, dass es eine ­kollektive Verantwortungs­losigkeit gibt. Gerade in Berlin, oder?

Das Ding ist, wenn man nach Verantwortlichen sucht und einen Hinweis bekommt, wer es sein könnte, dann erlebst du Folgendes: Bevor sie irgendwas tun, checken sie zuerst, ob sie auch wirklich verantwortlich sind. So ist meine prägende Erfahrung mit Behörden und Scooter-Firmen. Jeder guckt erst mal, ob er mir bei Anträgen helfen muss oder ob er mir überhaupt Fragen beantworten muss. Niemand sagt, ey cool, was du da vorhast. Ich bin oft mir selbst überlassen, und wenn ich nicht hartnäckig am Ball bleibe, lässt man mich am ausgestreckten Arm verhungern.

Früher feierte sich Berlin als arm, aber sexy. Heute ist vieles Business und wird gern als Gemeinwohl verkauft. Siehe E-Scooter als Beitrag zur Verkehrswende, oder es wird Müll vor die Haustür gestellt mit dem Schild „zu verschenken“. Wie schaffen Sie es, an dieser Mentalität nicht zu verzweifeln?

Ich befasse mich einfach nicht mit der Suche nach Schuldigen. Aus der Nummer ziehe ich mich einfach raus, indem ich zum Beispiel raus aufs Wasser entfliehe. Aber auch da sind ja meine Probleme nicht weg, die ich an Land habe. Meine Kita in Prenzlauer Berg, in der ich als Erzieher arbeite, wird jetzt weggentrifiziert, nach 20 Jahren. Wir müssen raus, weil die Miete verdoppelt wurde, und suchen neue Räume. Aber das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Den Trend zum Müll auf die Straße stellen und als Geschenk zu verkaufen, finde ich übrigens auch eine Frechheit. Das ist praktisch genauso, als würdest du auf einen Hundekackehaufen ein Fähnchen stecken: zu verschenken. Diese Leute denken vielleicht wirklich, sie tun anderen einen Gefallen, wenn sie eine zerwichste Couch rausstellen. Es gibt ja gerade eine Kampagne von Kita-Trägern „Berlin braucht Erziehung“. Vielleicht ist die gar nicht so verkehrt. Die Frage ist nur, wem gibt man die Verantwortung zum Erziehen: dem Staat, den Eltern, die es teilweise auch nicht besser gelernt haben? Schwierig.

Mit Zeigefinger und Verboten kommst du in Berlin nicht weit. Wie könnte eine klare Ansage anders aussehen?

Wenn ich das wüsste. Wir sind halt eine Millionenstadt. Wo es viele Menschen gibt, gibt es auch viele Idioten. Und die anderen müssen für die Idioten mit geradestehen. Wo viele Leute dumme Sachen machen, entstehen viele neue Gesetze, die die Grundfreiheiten wiederum zerstören. Gesetze entstehen ja nur aus den dummen Handlungen von Menschen. Ein Gesetz, dass man sich lange am Wasser aufhalten kann, war noch nie nötig. Umgekehrt gibt es jetzt aber Schließzeiten und Absperrungen von Parks, weil Leute permanent Mist bauen und keinen Respekt zeigen.

Paris hat E-Scooter verboten. Wären Sie in Berlin auch dafür, damit Sie nicht mehr so viele aus der Spree holen müssten?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eigentlich ja. Andererseits bin ich nicht prinzipiell gegen den Scooter, auch wenn das die Firmen sicher denken. Ich bin nicht gegen ihr Geschäft, allerdings muss die ganze Struktur überdacht werden, weil sich nun mal viele ihrer Kunden nicht an die Regeln halten. Es geht darum, sich Strukturen einfallen zu lassen, die man auf Berlin anpasst, damit selbst die größten Trottel es irgendwie hinkriegen, einen E-Scooter abzustellen. Man könnte zum Beispiel Abstellzonen einrichten, wo man den Scooter richtig einklicken muss. Sicher gäbe es Lösungen, die das Geschäftsmodell nicht abwürgen. Die Firmen bräuchten jedoch Mitarbeiter, die die Scooter aus dem Wasser, aus Parks und teilweise aus Bäumen holen. Sie müssen schlicht selbst Verantwortung übernehmen.

Wie sind Sie eigentlich an Land in der Stadt unterwegs?

Ich setze mit einem kleinen Boot rüber ans Ufer und fahre dann mit dem Lastenfahrrad zu meiner Kita. Wenn ich mal ein Spiel von Union besuche, fahre ich allerdings, zusammen mit ein paar Kumpels, mit dem Rockfisch über die Spree.

Wie kriegen Sie Ihre Post?

Die kommt bei meiner Mutter in Pankow an, und sie gibt sie mir. Wenn etwas Wichtiges dabei ist, ruft sie mich an.

Bald kommt die Winterzeit. Ist das die weniger schöne Zeit auf dem Wasser?

Kann man so nicht sagen. Jede Jahreszeit hat ihre tollen Seiten. Im Winter ist auf dem Wasser wenig los. Dann kann man mit seinen Nachbarn gemütlich an der Feuerschale auf dem Boot sitzen. Drinnen ist es auch gemütlich. Die Bude ist warm, denn Brennholz habe ich genug. Auf Baustellen frage ich immer nach Restholz, das reicht. Im Sommer kann man lange draußen sitzen und viel angeln. Ich bin ja leidenschaftlicher Angler.

Gibt es bei Ihnen zu Hause meistens Fisch?

Auf jeden Fall. Und wir kaufen keinen Fisch.

Ist Berlin eine tolle Stadt aus Anglersicht?

Ja, Barsche, Rapfen, Zander kann mag gut angeln, wenn man sich auskennt und zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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