Dresden liest Victor Klemperer: In Sprache verbunden

Zum 9. November fanden zwei Lesungen von Victor Klemperers „LTI“ statt. Das Staatsschauspiel und die Freien Wähler widmeten sich der NS-Sprache.

Der Kabarettist Uwe Steimle mit dem Buch "LTI - Notizbuch eines Philologen" von Victor Klemperer

Stets auf der Suche nach dem rechten Anschluss: Kabarettist Uwe Steimle im Saal des Stadtmuseums Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Am Ende war nicht alles gut, und ein Ende kann es bei Betrachtungen der Sprache sowohl als Herrschaftsinstrument als auch als Mittel zur Entlarvung ihres Missbrauchs ohnehin nicht geben. Aber der Verlauf einer von den Freien Wählern im Dresdner Stadtrat veranstalteten Lesung aus Victor Klemperers Hauptwerk „LTI“, der Sprache des „Dritten Reiches“, rechtfertigte nicht die sich überschlagenden Feuilletondebatten.

Am 9. November dominierte im Saal des Dresdner Stadtmuseums tatsächlich die Ehrung der jüdischen Pogromopfer von 1938 und der Respekt vor der Geistes- und Sprachschärfe des jüdischen Philologen. Bei der anderen, sechs Wochen früher veröffentlichten, aber im Medienecho kaum beachteten „LTI“-Lesung des Staatsschauspiels gemeinsam mit der neuen jüdischen Besht-­Yeshiva-Gemeinde in Dresden konnte man das voraussetzen.

Beide Lesungen gingen auf ein Anschreiben von Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) zurück, ob die Stadt­ratsfrak­tio­nen etwas zur Gestaltung des „Schicksaltags“ 9. November beitragen wollten. Clever und als Einzige reagierten nur die Freien Wähler und bekamen vom Kulturrathaus den Saal zugesprochen. Über Inhalte war nichts bekannt.

Das Staatsschauspiel veröffentlichte seine Lesung Mitte September. In der letzten Oktoberwoche raunten plötzlich Literatenkreise: Die Freien Wähler wollen auch „LTI“ lesen, voran mit dem zum Rächer der frustrierten Ossis heruntergekommenen Kabarettisten Uwe Steimle! Das Kulturrathaus fühlte sich überrumpelt, Bürgermeisterin Klepsch hielt dagegen, der Reclam-Verlag wollte seine Zustimmung verweigern, besann sich anders.

Verständigungsoptionen über Landesgrenzen hinweg

Der Verdacht einer Instrumentalisierung lag nahe, hat sich doch sogar die Bundesvereinigung Freie Wähler von ihrem als besonders rechts geltenden Dresdner Ableger distanziert. Dessen Exponentin, die Buchhändlerin Susanne Dagen, ist nicht nur für ihre Provokationen, sondern auch für enge Verbindungen zum ultrarechten Verlag Antaios bekannt.

Und Steimle hatte in seiner an die DDR-Fernsehnachrichten „Aktuelle Kamera“ angelehnten Youtube-Sendung die Richtung vorgegeben: „Von der LTI zur Sprache des Grünen Reiches“. Doch solche fatalen Analogien zogen nicht. Lesende wie die frühere Grüne Antje Hermenau und Arnold Vaatz (CDU) machten nicht den Eindruck, sich vor einen Karren spannen zu lassen.

Im Publikum saßen neben Steimle-Fans und ewig gekränkten Sachsen auch kundige Bürger, die über eine Benutzung Klemperers wachen wollten. Dessen unbestechlicher Humanismus war der Gewinner beider Lesungen. Und der moderate Ton ließ Verständigungsoptionen über Lagergrenzen hinweg aufkeimen.

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