Haushalts-Krise der Ampel: Der Trispalt

Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts hat die Regierung ein Milliardenproblem. Es verstärkt Fliehkräfte, die es in der Koalition seit Beginn gibt.

Viele Euro-Scheine vor schwarzem Hintergrund

Cash Money Baby: Wo will die Bundesregierung die fehlenden Milliarden auftreiben? Foto: Gottfried Czepluch/imago

BERLIN/KARLSRUHE taz | Um Worte ist Christian Lindner nie verlegen. Am Donnerstagnachmittag war es anders. Der FDP-Bundesfinanzminister hatte zum Pressestatement geladen. In dürren Sätzen erklärte Lindner, er werde reinen Tisch machen und in der nächsten Woche einen Nachtragshaushalt für 2023 vorlegen. Nicht mal eine Minute dauerte der Auftritt.

Lindners Pressestab musste anschließend erklären, was der Minister eigentlich gemeint, aber nicht ausgesprochen hatte: Die Ampelregierung werde für 2023 die Notlage erklären, um die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen. Jene im Grundgesetz verfügte Obergrenze für neue Staatskredite, die die FDP bislang so standhaft verteidigt hat. Lindner sah aus, als hätte man ihm sein Lieblingsspielzeug entrissen. Denn die Einhaltung der Schuldenbremse und das Mantra, keine Steuern zu erhöhen, waren die Prämissen für die Liberalen, überhaupt in die Koalition mit SPD und Grünen einzutreten.

Am Ende blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Seitdem das Bundesverfassungsgericht am 15. November die Umwidmung von 60 Milliarden Euro an Coronakrediten in den Klimafonds für nichtig erklärte, hat die Ampelkoalition nicht nur ein massives Geldproblem. Auch die Grundlage, auf der die drei Partner bisher operierten, wackelt. Ob die Koalition auseinanderfliegt, ist keine rein hypothetische Frage mehr. Scheitert der Haushalt, scheitert die Ampel.

Fliehkräfte gibt es in der Ampel von Beginn an. Während Grüne und SPD den Staat als aktiven Player begreifen, der investiert und umverteilt, sieht die FDP den Staat eher in der Schiedsrichterrolle, der über die Regeln wacht und sich zurückhält. Die im Grundgesetz hinterlegte Schuldenbremse, die die Regierung dazu diszipliniert, nicht mehr auszugeben, als sie eingenommen hat, ist ganz im Sinne der Liberalen. Ihr unterschiedliches Staatsverständnis klammerten die drei ungleichen Partner im Koalitionsvertrag mit einem Kniff zusammen.

Zunächst einmal geballte Konfusion

Sie legten in einem Sondertopf ein Polster aus 60 Milliarden Euro an, Kredite, die sich noch die Große Koalition genehmigt hatte, um die Folgen der Coronapandemie zu abzufangen. Die Ampel machte also Schulden in der Hoffnung, dass die nicht als Schulden zählten. So bekam Lindner einen ausgeglichenen Haushalt, Robert Habeck (Grüne) eine gut gefüllte Kasse für Klimaschutz und Transformation, und die SPD konnte für Herzensprojekte wie das Bürgergeld oder die Grundrente aus dem Vollen schöpfen, sprich aus dem Kernhaushalt.

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Doch nun sind nicht nur 60 Mil­liar­den futsch. Das Urteil könnte sich auch auf weitere Sondertöpfe auswirken, wie den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Aus dem hat die Ampel in diesem Jahr schon über 30 Milliarden Euro für die Energiepreisbremsen ausgezahlt. Wenn auch das illegal wäre, und die Union hat bereits angekündigt zu klagen, wäre nicht nur der nächste, sondern bereits der laufende Haushalt verfassungswidrig.

Statt eines Plans B zeigte die Ampel nach dem Karlsruher Urteil zunächst einmal geballte Konfusion. Lindner bezeichnete das Urteil als Chance, Robert Habeck (Grüne) schimpfte auf die Union, und SPD-Kanzler Olaf Scholz, ja, wo war er eigentlich? Ach ja, im Gespräch mit Italiens Ministerpräsidentin.

Die grünen Mi­nis­te­r:in­nen Baerbock und Habeck sitzen neben SPD-Kanzler Scholz am Kabinettstisch

Gute Miene am Kabinettstisch: die grünen Mi­nis­te­r:in­nen Baerbock und Habeck neben SPD-Kanzler Scholz Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Anschließend fragten italienische Jour­na­lis­t:in­nen, ob Deutschland noch ein verlässlicher Partner sei. Die Verunsicherung, ob die Regierung die Lage noch im Griff hat, reicht bis ans Mittelmeer. Kommende Woche will Scholz im Bundestag erklären, wie es weitergeht.

Die Ampel rettet sich zunächst in eine weitere Notlage, die es ihr erlaubt, die Schuldenbremse für 2023 auszusetzen. Dass sie dazu acht Tage brauchte, zeigt, wie schwer es ihr gefallen sein muss, zusammenzufinden. Für das kommende Jahr deutet sich ebenfalls an, dass die Regierung bestimmte Versprechen, etwa die Strompreisermäßigungen für energiehungrige Unternehmen, nur halten kann, wenn sie auch 2024 zum Krisenjahr erklärt. Ob die Liberalen mitziehen, ist unklar.

Zusätzlicher Druck aus der FDP

Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Markus Herbrand, schlägt die Tür immerhin nicht zu: „Egal welchen Weg die Ampel beschreitet, darf es hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit keinen Zweifel geben“, so Herbrand zur taz. Doch schon sein Einknicken am Donnerstag war vermutlich der schmerzlichste Moment in Lindners Leben als Finanzminister. Noch im Juli hatte er erklärt, dass eine solche Notlage nicht bestehe. Nun also doch und ausgerechnet in einer Zeit, in der es in der FDP ohnehin rumort. 26 Landes- und Kommunalpolitiker stellen nach den Wahlschlappen in Hessen und Bayern den Verbleib in der Koalition infrage. Lindner setzt das in seiner Rolle als FDP-Vorsitzender zusätzlich unter Druck.

Auch aus den Reihen der Grünen kommt Kritik an der Ampel. „Ich bin sehr enttäuscht über die Koalition, auf der Habenseite steht zu wenig“, sagte eine Delegierte auf dem Bundesparteitag, der am Donnerstag begann. Die Grünen ließen sich von SPD und FDP „am Nasenring durch die politische Manege ziehen“, kritisierte ein anderer. Ein dritter sprach von „ständiger Schönrednerei von schlechten Kompromissen.“

Über 1.000 Parteimitglieder hatten im Vorfeld des Parteitags ­einen offenen Brief an die Grünen-Spitze unterschrieben und die vielen Zugeständnisse in der Koalition scharf kritisiert. Doch der Drang, zusammenzubleiben, überwiegt. Er sei FDP-Finanzminister Lindner „sehr dankbar“ für diese Entscheidung, sagt Grünen-Chef Omid Nouripour bei seiner Auftaktrede – und da bekommt Lindner bei den Grünen tatsächlich Applaus.

Die Grünen hatten ihre Tagesordnung kurzfristig umgebaut, um am ersten Tag mehr Zeit für die Debatte zur schwierigen Haushaltslage zu haben. Die Parteiführung, Habeck und andere Spitzen-Grüne machten dreierlei klar: dass die Grünen nicht gedenken, in der Ampel nun frustriert die Segel zu streichen, sondern zu ihrer Regierungsverantwortung stehen. Dass die Schuldenbremse dringend reformiert gehört. Und dass ein sozialer Kahlschlag mit ihnen nicht zu machen sei.

Globaler Wettbewerb mit China und USA

Sie alle hätten sich das vor zwei Jahren ganz anders vorgestellt mit dem Regieren, sagt die grüne Umweltministerin Steffi Lemke. Aber die Realität sei eben heute eine andere. „Und deshalb können auch unsere Antworten in Regierungsverantwortung auch nicht mehr die gleichen sein wie vor zwei Jahren.“ Durch die Blume fordert Lemke also auch Zugeständnissen. Aber welche kommen infrage? Tempo rausnehmen auf dem Weg zu Klimaneutralität?

Geht nicht, bekräftigte Habeck auf dem Parteitag. „Deutschland steht unter Druck, alle spüren ihn“. Klimaneutralität sei zu einem globalen Wettbewerb geworden, den die USA und China mit viel Geld führten. Deutschland müsse sich behaupten. Dabei sei Sinn der Transformation „nicht ein abseitiges Nischenthema“, sondern die Erhaltung des Wohlstands. Parteichefin Ricarda Lang betonte: „Einen sozialen Kahlschlag werden wir nicht mitmachen.“

Auch die SPD will weder Abstriche bei der Modernisierung des Landes machen noch im Sozialen kürzen. Posten, die große Begehrlichkeiten wecken, sind das Bürgergeld (fast 40 Milliarden) und der staatliche Rentenzuschuss (über 100 Milliarden). Kürzungen erteilt Arbeits- und Soziaminister Hubertus Heil eine Absage. Noch, muss man sagen, denn bis hin zu den kämpferischen Jusos fordert keine Ge­nos­s:in ein Ende der Ampel. Ein SPD-Kanzler nach 16 Jahren Merkel ist ein Wert an sich.

Aus Mangel an Sparvorschlägen versuchen SPD und Grüne die Debatte nun auf ein anderes Feld zu lenken: auf die Schuldenbremse selbst, die die Karlsruher Richter gerade juristisch gestärkt haben. Politisch ist sie umstrittener denn je. In ihrer jetzigen Form sei die Bremse „volkswirtschaftlicher Unsinn“, so der finanzpolitische Sprecher der SPD, Michael Schrodi. „Es ist völlig falsch, dass der Staat Investitionen allein aus dem Kernhaushalt tätigt.“ Die Milliarden seien weder durch Steuererhöhungen noch durch Einsparungen aufzubringen. Das ist Konsens in der Partei, Unterstützung kommt dafür selbst aus CDU-regierten Ländern.

Alle werden sich bewegen müssen

„Jeder, der ein Haus baut, jeder Unternehmer, der beispielsweise in neue Maschinen investiert, weiß: Natürlich sind Kredite für langlebige Investitionen sinnvoll“, wirft sich Berlins Regierender Kai Wegener am Donnerstag für eine Reform ins Zeug. Und damit auch Unionschef Friedrich Merz in den Arm. Auch die ostdeutschen CDU-Kollegen Michael Kretschmer und Reiner Haseloff sprechen sich nun für eine Reform aus.

Die Grünen, die 2009 ohnehin dagegen gestimmt hatten, als Union und SPD die Schuldenbremse im Grundgesetz verankerten, sehen sich heute bestätigt. Abschaffen wollen die Grünen die Bremse zwar nicht, aber lockern. Doch mit der FDP ist das derzeit nicht zu machen. Ohnehin bräuchte die Ampel eine Zweidrittelmehrheit und die Zustimmung der Union.

Bleibt also nur, das Geld an anderer Stelle zusammenzukratzen, etwa durch den Abbau von Subventionen. Auch hier sieht der FDP-Finanzexperte Herbrand Einsparpotzenzial, plädierte aber auch dafür, dass die Koaltionspartner „eigene substanzielle Einsparvorschläge aus ihren jeweiligen Ressorts“ unterbreiten sollten. „Wir werden alles daransetzen, die Ampelkoalition zum Erfolg zu führen.“

Am Ende werden sich wohl alle drei bewegen müssen. Die neue SPD-Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig mahnte am Freitag, sich jetzt zusammenzuraufen. „Denn die Verunsicherung bei Bürgerinnen und Bürgern und in den Unternehmen ist groß.“ Allzu viel Zeit für die Suche nach einer Lösung sollte sich die Ampel nicht lassen. Denn wozu es führt, wenn eine Regierung sich streitet und die Verunsicherung wächst, hat die Wahl in den Niederlanden gezeigt.

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