BBC und Nahost-Konflikt: Wer auf die Straße darf

BBC-Mit­ar­bei­te­r:in­nen sollen von einer Demo gegen Antisemitismus fernbleiben. Das zeigt, wie absurd die Idee vom neutralen Journalismus ist.

Demo gegen Antisemitismus in London

Demo gegen Antisemitismus in London Foto: Susannah Ireland/reuters

In London läuft mal wieder die Erregungsmaschine heiß. Dass jüdische Mitarbeitende der British Broadcasting Corporation (BBC) am Sonntag nicht an der großen Demo gegen Antisemitismus in der britischen Hauptstadt teilnehmen sollten, hat zu Protesten und zu Rücktrittsforderungen an die Adresse von BBC-Chef Tim Davie geführt. Die Aufregung ist verständlich, denn natürlich erstreckt sich diese „No-Go“-Vorschrift auf alle BBC-Journalist*innen – zumindest so lange sie im weitesten Sinne bei ihrer Arbeit mit politischer Berichterstattung zu tun haben.

Die Spielregeln sind klar: Wer in den für Nachrichten und aktuelle Informationen zuständigen „factual journalism“-Redaktionen der BBC arbeitet, „sollte nicht an öffentlichen Demonstrationen oder Zusammentreffen zu kontroversen Themen teilnehmen“. So steht es in den redaktionellen Leitlinien der BBC, die qua Gesetz zu „Impartiality“, also einer Kombination von Ausgewogenheit und Neutralität, verpflichtet ist.

Dass es sich beim Krieg im Nahen Osten um so einen „controversial issue“ handelt, ist dabei genauso klar wie der Umstand, dass sich das für politisch denkende und handelnde Menschen mit der Neutralität bestenfalls auf dem Papier realisieren lässt. Die Praxis sieht anders aus, bedeutet aber natürlich auch, dass Pro-Palästina-Märsche für die BBC Kol­le­g*in­nen genau so tabu sind.

Doch das Thema am Sonntag hieß nicht Pro-Israel oder Pro-Netanjahu, sondern Anti-Antisemitismus, und jetzt wird’s natürlich philosophisch. Ja, eine Demo gegen Antisemitismus, wie er leider auch immer wieder bei vielen propalästinensischen Kundgebungen nicht nur in London laut wird, kann, ja muss in diesen Zeiten auch mit dem Krieg in Gaza zusammenhängen. Aber sie deshalb zur „Kontroverse“ zu erklären, erweist der Sache einen Bär*innendienst. Und ist nur Wasser auf den Mühlen der Äpfel mit Birnen vergleichenden Stri­che­zäh­le­r*in­nen auf beiden Seiten.

Hausgemachtes Dilemma

Dass die BBC auch anders kann, beweist sie bei den „Pride“-Märschen, die – ja, natürlich! – nicht als kontrovers eingestuft werden. Obwohl viele von denen, die jetzt aus der konservativen Ecke die BBC kritisieren, das vermutlich auch anders sehen.

Das Dilemma ist dabei hausgemacht: Die von der BBC verlangte und ihrem Director General Tim Davie ziemlich kleinkariert gelebte Impartiality ist für konkrete Anlässe wie Parteipolitik oder vergleichbare Themen vielleicht sogar ganz brauchbar. Aber für große gesellschaftliche Strömungen und Stimmungen kann das nicht funktionierten. Dazu kommt, dass auch die Differenzierung zwischen (nachrichten-) journalistischem Personal und anderen BBC-Gesichtern, für die diese Auflagen nicht gelten, nach außen schwer vermittelbar ist.

Und dann ist da noch Gary Lineker, der über seine privaten Accounts gerade mal wieder Beiträge empfiehlt, in denen Wissenschaftler im Zusammenhang mit Gaza von einem „Genozid“ Israels sprechen. Aber die Fußballlegende moderiert ja nur die wichtigste Sportsendung der BBC. Damit erreicht Lineker vermutlich zwar mehr Menschen als so manches Nachrichtenformat, gilt aber als unpolitisch.

Die ganze Mär vom unpolitischen oder neutralen Journalismus ist ohnehin überholt (falls sie überhaupt je gestimmt hat). Gerade die Zeiten, in denen Po­pu­lis­t*in­nen und Dem­ago­g*in­nen aller Couleur die Errungenschaften der Aufklärung wieder einreißen wollen, verlangen klare, transparente Kante. Jour­na­lis­t*in­nen sollten ihre Position offenlegen und gleichzeitig fair und ausgewogen arbeiten. Die Trennung von Bericht und Meinung hilft da schon eine ganze Menge weiter.

Nicht wählen gehen?

So zu tun, als stehe man außen oder über den Dingen, ist Quatsch. Wer das von sich behauptet, ist jedenfalls keinE Journalist*in. Was vor allem in den USA namhafte Medienmenschen nicht daran hindert, sogar zu postulieren, Jour­na­lis­t*in­nen sollten besser gar nicht erst wählen gehen.

„Es mag merkwürdig erscheinen, nicht an Wahlen teilzunehmen oder die eigene politische Präferenz nicht transparent zu machen. Das stimmt aber nicht. Wer Journalistin wird, gibt zu einem gewissen Grad seine Mitwirkung in der Öffentlichkeit auf, denn Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut des Journalismus“, argumentierte 2008 zum Beispiel Alicia C. Shepard vom öffentlich-rechtlichen National Public Radio.

Sorry, aber diese Haltung ist genauso absurd wie jetzt laut werdende Vorwürfe von interessierter Seite, die BBC fördere mit ihrer – um es noch mal klar zu sagen: falschen – Haltung den Antisemitismus.

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2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

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