Welttoilettentag 2023: Das Problem wisch und weg

Noch immer haben viele Menschen keinen Zugang zu sanitären Anlagen. Doch wo Toiletten Standard sind, gibt es ein Problem: den Wasserverbrauch.

Toilette mit Spülkasten.

Einmal gespült und rund 10 Liter Trinkwasser verschwinden durch den Abfluss Richtung Kläranlage Foto: Jonathan Browning/plainpicture

BERLIN taz | Sogar der jetzige spanische König hat einen bekommen, 2004, als Felipe, damals noch Prinz, seine Letizia heiratete. Vielleicht war es so ein Topf aus weißem Porzellan mit einem elegant geschwungenen, vergoldeten Stützrand und Blumenmuster; der Griff eine stilisierte Schlange mit grünen Schuppen. Er steht direkt unter dem Foto des Paares. Und ist einer der schönsten Nachttöpfe in der über 1000 Stück zählenden Sammlung des Jose del Arco Ortiz im spanischen Ciudad Rodrigo.

Seit der Antike gibt es Nachttöpfe, im Mittelalter waren sie weit verbreitet. Aus gutem Grund: Toiletten gab es gar nicht, oder höchstens außerhalb der Behausung. Aber nicht nur deshalb – vor allem der Urin wurde als wertvolle Ressource gesammelt, für Gerbereien oder zum Färben.

Trotzdem: Niemand möchte zu dieser Zeit zurück. Aber mit den Nachttöpfen gab es zwei Probleme nicht, die die heutigen Sanitärsysteme haben: Sie verschwenden Trinkwasser. Im Schnitt spült jeder Mensch jeden Tag 40 Liter bestes Trinkwasser weg. Und mit den menschlichen Hinterlassenschaften gehen Ressourcen wie Phosphor im Urin oder in den Fäkalien weitgehend verloren.

Spültoiletten seien zwar „wesentlicher Baustein für den erreichten Hygienestandard“, sagt Christian Wilhelm, Fachreferent bei der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA). „Vor dem Hintergrund des Klimawandels, zumindest lokal angespannten Wasserressourcen und vor allem der Notwendigkeit der Ressourcenrückgewinnung und -nutzung müssen wir andere Lösungen verstärkt einsetzen.“ Er ist Experte für solche Lösungen: neuartige Sanitärsysteme, kurz NASS.

Technik zum Wassersparen

Bestes Beispiel dafür ist der neue Wohnblock Jenfelder Au in Hamburg, in Europa bisher einzigartig. Verbaut wurden hier in über 800 Wohnungen zwei statt ein System: Das Toilettenwasser, im Fachbegriff Schwarzwasser, wird durch wassersparende Unterdrucktoiletten abgeführt. Die Vakuumtoiletten brauchen gerade mal einen Liter Wasser statt bis zu neun. Alles weitere Wasser – sogenanntes Grauwasser – geht durch die zweite Leitung und wird teilweise für Beregnung genutzt. Aus den Fäkalien wird Biogas für die Anlage erzeugt. Betreiber Hamburg Wasser bekommt ständig neugierigen Besuch, der das Projekt sehen will.

Allerdings ist die Jenfelder Au ein einsamer Leuchtturm für die NASS-Verbreitung, nur in Lübeck gibt es eine kleinere Variante. Das könnte sich ändern: „Bislang hat der Handlungsdruck gefehlt. Der steigt aber mit den Dürre-Sommern der letzten Jahre.

Jetzt werden sehr viele Ideen entwickelt – aber sie werden noch zu selten umgesetzt“, sagt Wilhelm. Zudem sind sie noch teuer, eine Förderung gibt es kaum. Technisch sei das alles machbar, sagt Wilhelm, auch in Altbauten, wenn kernsaniert wird. Hindernisse seien Vorschriften bei Planung und Bau: „Sie müssten angepasst werden.“

Wilhelm sitzt für die DWA in einer frisch gegründeten Allianz von StadtplanerInnen, ArchitektInnen und WissenschaftlerInnen namens „Wasserbewusste Stadt“, die die Idee vorantreiben wollen. „Wir haben im Verband gemerkt: Wenn wir was verändern wollen, dann müssen wir mit anderen zusammenarbeiten. Wir müssen aber auch Mobilität mitdenken – wer befürwortet schon den Wegfall von Parkplätzen für eine Versickerungsanlage?“

Ideen für die Kläranlage

Es muss aber nicht gleich der Einbau neuer Systeme in Gebäuden sein – auch in Kläranlagen gibt es Innovationspotenzial. In Braunschweig schickt die speziell dafür ausgerichtete Kläranlage das gereinigte Abwasser nicht, wie sonst, in die Gewässer – sondern auf die Felder von Landwirten, die Energiepflanzen anbauen.

In der Dürre 2022 waren dort die Maisfelder saftig grün. Da ginge mehr: In Deutschland werden auf über 2 Millionen Hektar Energiepflanzen angebaut, sie müssten nicht mit Grund- und Oberflächenwasser versorgt werden. In der Region um das spanische Murcia werden mit Abwasser auch Nahrungsmittel bewässert (die dann via Export auch nach Deutschland kommen).

Auch für die Rückgewinnung der in Fäkalien und Urin enthaltenen Nährstoffe gibt es längst Lösungen: Trenntoiletten, die vor allem den Urin mit dem Phosphor trennen, oder wasserlose Urinale. Auf der schwedischen Insel Gotland will man mit diesen Urinalen in drei Jahren 70.000 Liter Urin vor allen in der Tourismuszeit sammeln, und mit dem daraus gewonnenen Phosphor Gerste düngen. Für Bier.

Über solche Experimente wird man sich zukünftig mehr Gedanken machen müssen. Denn die Klärschlammverordnung der EU von 2017 sieht vor, dass zumindest der Phosphor aus dem Klärschlamm bis 2029 in größeren Kommunen zurückgewonnen werden muss. Eine schwierige Aufgabe, bei der wieder Hamburg vorangeht mit der ersten großtechnischen Anlage zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche.

Ob König Felipe an sowas denkt, wenn er seinen Nachttopf unterm Bett hervorzieht? Wahrscheinlich steht der Topf da nicht. Aber Felipe und Letizia haben sich sehr artig bei Ortiz bedankt. Das Geschenk sei „ein Zeichen der Wertschätzung, an das man sich mit Zuneigung erinnern werde“ steht auf dem Dokument, das im Nachttopfmuseum an der Wand hängt.

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