Unterwegs zum Jazzfestival in Wien: „Da muss man flexibel bleiben“

Ein Norddeutscher fährt nach Wien fürs Kick-Jazz-Festival. Das präsentiert „vielversprechende heimische Jazzformationen“. Ein akustischer Rundgang.

Blick auf die Mariahilfer Straße in Wien; aufgenommen am ersten Einkaufssamstag im Advent. Es hat geschneit. Die Leute tragen dicke Wintersachen.

Sound of Snow: Wien im Schnee, hier die Mariahilfer Straße, am ersten Einkaufssamstag im Advent Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

Gleich in der U-Bahn begegnet sie einem, die berühmte Wiener Grantigkeit. „Steigen Sie nicht mehr ein“, tönt die kühle Frauenstimme aus den Lautsprechern, ehe die Türen schließen. Ein „bitte“ hätte die Ansage vermutlich unnötig verlängert.

Es gibt unzählige Anekdoten über die berühmte Schroffheit der WienerInnen. Man erzählt von einem Piefke, der mit einem „Und da geh’ma gleich wieder“ aus einem der Kaffeehäuser vertrieben wurde, nachdem er sich erdreistet hatte, einen „Latte macchiato“ zu bestellen. Erst Ende 2022 wurde die Donaumetropole zum wiederholten Male zur „unfreundlichsten Stadt der Welt“ gekürt. Was zu überprüfen wäre.

Winter in Wien, in den Straßen Schneematsch. Rund um den Stephansdom sind die Touristen noch enger gedrängt als üblich. Die Westseite der Kirche ist weiträumig abgesperrt, um Passanten vor herabfallenden Eiszapfen zu schützen. Nur ein paar hundert Meter entfernt liegt das „Porgy & Bess“, ein ehemaliges Erotikkino, heute unbestritten der wichtigste Jazzclub der österreichischen Hauptstadt. Im unterirdischen Saal ist an sieben Tagen die Woche Programm; demnächst kommen die US-Stars John Zorn und Fred Wesley. Aber jetzt ist erst einmal Wien dran.

Das zweitägige „Kick Jazz“-Festival hat sich auf die Fahnen geschrieben, die „vielversprechendsten heimischen Jazzformationen“ zu versammeln. Die MacherInnen um Helge Hinteregger machen keinen Hehl daraus, dass dies auch eine Verkaufsveranstaltung ist. PromoterInnen, BookerInnen und FestivalbetreiberInnen aus ganz Europa sollen für eine Szene zwischen Jazz, Pop und improvisierter Musik begeistert werden.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„It’s my kind of city!“

Amr Salah ist der einzige Nicht-Europäer in der Delegation. Der künstlerische Leiter des Cairo Jazzfestival zeigt sich überraschenderweise begeistert von Wien. „It’s my kind of city!“ Die Leute seien warm und freundlich. Salah ist nicht nur von der Stadt angetan. Er möchte auch Anna Anderluh und ihr Trio für sein Festival gewinnen.

Die gebürtige Klagenfurterin spielt eine eigens umgebaute Autoharp, ihre helle Sopranstimme bildet einen Kontrast zum metallischen Klang ihrer Zither. In ihren Ansagen hinterfragt Anderluh auf humorvolle Weise übliche Musikbusiness-Rollen, indem sie sich als ihr eigener Manager ausgibt. Als „Franz“ spricht sie dank voice pitchings mit tiefer Stimme, dazu mit breitem Kärntner Dialekt. „I discovered her“, poltert „Franz“, um gleich danach das einmalige Talent seiner Entdeckung Anna zu preisen.

Keine der 7 Bands an den beiden Kick-Jazz-Tagen passt genau in ein Raster; man gibt sich sanft experimentell. So auch Simon Raab, der für sein melodisches Solo-Piano-Set viel Applaus bekommt.

Projektleiter Helge Hinteregger spricht von der erdrückenden Größe von Jazzmetropolen wie Berlin. Er meint: „Wien ist nicht so groß, da muss man flexibel bleiben. Man probiert sich in verschiedenen Gruppen und Stilen aus. Es geht hier nicht um Skills oder um Coolness, es geht um die Ideen.“

Davon hat der Gitarrist Peter Rom jede Menge. Sein Quartett Wanting Machine ist die wohl aufregendste Band des Festivals. Rom verfremdet und dämpft den Klang seines Instruments. Das könnte lupenreiner Pop sein, würde es nicht immer wieder auf entzückende Art stolpern. Funky ist es dennoch.

Die Kolumne „Großraumdisco“ schaut ab und an über den Tellerrand, diesmal ins Nachbarland, denn in der österreichischen Jazz­szene tut sich was. Und im Jazzclub Porgy & Bess gibt es das ganze Jahr über ein feines Programm: www.porgy.at.

Für Verblüffung sorgt Bandmitglied Pamelia Stickney: Sie erzeugt ohne jede Berührung hohe, singende Töne. Die US-Amerikanerin spielt die Theremin, mit minimaler Veränderung der Fingerhaltung verändert sie elektromagnetische Felder. Die Musikerin hat New York City lange vermisst – heute schätzt sie die kurzen Wege und die verlässliche U-Bahn. Stickney ist längst eine Wienerin.

Die Stadt hat sich freundlich gezeigt in diesen Wintertagen. Das darf man selbst als Kühle gewohnter Norddeutscher zugeben. Man hat gelernt, der berüchtigten Kellner-Grantigkeit flexibel zu begegnen – und hat statt eines Cappuccinos eine Melange bestellt. Der Lohn: der Hauch eines Lächelns.

Transparenzhinweis: Die Recherche wurde durch Music Austria unterstützt.

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Freier Journalist in Hamburg. Liebste Arbeit: Interviews führen; übelste Arbeit: Interviews abtippen. Studierter Amerikanist, Teilzeit-Veganer, Musiknerd. Erste Kassette: Roxette - "Tourism". Krautrock, afrikanischer Blues und Souljazz waren da noch fern. Schätzt "Handgemachte Musik", und hört natürlich trotzdem HipHop, Dub und Ambient.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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