Weniger Randale, mehr Festnahmen

Innenverwaltung, Polizei und Feuerwehr ziehen eine überwiegend positive Bilanz einer vergleichsweise „normalen“ Silvesternacht

Von Rainer Rutz
und Erik Peter

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zeigte sich am Morgen nach der Silvesternacht zufrieden. Die „monatelangen Vorbereitungen von Berliner Feuerwehr, Polizei Berlin und meinem Haus in Sachen Prävention und konsequenter Intervention“ seien aufgegangen, lobte sich Spranger am Montag auch selbst.

Tatsächlich ging der Jahreswechsel für Polizei und Feuerwehr vergleichsweise glimpflich über die Bühne, auf jeden Fall weniger gewalttätig als vor einem Jahr. Ein Sprecher der Feuerwehr bilanzierte sogar ein „normales Silvester“. Insgesamt 30 Übergriffe auf Einsatzkräfte und Fahrzeuge der Feuerwehr seien registriert worden, niemand sei dabei verletzt worden, hieß es am Neujahrsmorgen. Im Vorjahr hatte es fast 70 Übergriffe gegeben, 15 Hel­fe­r:in­nen wurden damals verletzt.

Ähnlich das Bild bei der Polizei. Nach Angaben der Innenverwaltung wurden in der Nacht 54 verletzte Po­li­zis­t:in­nen gezählt, davon 34 im Rahmen des gesonderten Schutzeinsatzes für die Feuerwehr. Auch das war weniger als im Vorjahr, zeugt aber auch nicht unbedingt von einer friedlichen Nacht.

Berlinweit kam es laut Polizei weniger, aber eben doch immer wieder zu Randale. Am Neptunbrunnen etwa beschossen sich rund 500 Personen gegenseitig mit Raketen. Wie überhaupt in vielen Ortsteilen Raketen quer durch die Gegend und auf Busse geschossen und aus Schreckschusspistolen abgefeuert wurde. In der Gropiusstadt in Südneukölln wurde nach Polizeiangaben ein Einsatzwagen mit einer Kugelbombe beschossen. Verletzt wurde niemand.

Der eigentliche Blick der Öffentlichkeit richtete sich freilich auf Nordneukölln, wo es im vergangenen Jahr zu bürgerkriegsähnlichen Szenen gekommen war. Diesmal glich die Sonnenallee schon ab dem Nachmittag einer Hochsicherheitszone. Ab dem Hermannplatz war die Straße über eine Länge von etwa 600 Meter mit Gittern abgesperrt. Mehrere Buslinien waren eingestellt. In dem zur Böllerverbotszone deklarierten Bereich, einem von drei in Berlin, hatte die Polizei Dutzende Mannschaftswagen und mobiles Flutlicht postiert. Pas­san­t:in­nen wurden von Po­li­zis­t:in­nen auf Feuerwerkskörper abgetastet, ab dem späten Abend war gar kein Durchkommen mehr.

„Sprengstoff gehört nicht in die Hände böllerwütiger alkoholisierter Männer“

Vasili Franco, Grüne

Kurz vor und nach Mitternacht zerstreuten Eingreiftruppen am östlichen Rand des abgesperrten Bereichs kleine Ansammlungen von Demonstrant:innen, die immer wieder „Free, free Palestine“ riefen. Es wurden Platzverweise erteilt, vereinzelt wurden auch Menschen abgeführt. Der Hermannplatz dagegen war auch kurz nach 0 Uhr wie ausgestorben. Hier standen sich sächsische Po­li­zis­t:in­nen in voller Montur die Beine in den Bauch. Die große Knallerei entlud sich in den Seitenstraßen. Eine direkte Konfrontation mit den Po­li­zis­t:in­nen in der Verbotszone blieb aus.

Nicht nur in Neukölln, im gesamten Stadtgebiet war die Polizei letztlich mit einem Mammutaufgebot präsent. Über 4.000 Po­li­zis­t:in­nen aus Berlin und anderen Bundesländern sowie des Bundes waren im Einsatz. Mit am Ende des Tages fast 400 Festnahmen wurde wesentlich härter durchgegriffen als zum Jahreswechsel 2022/2023.

Schon im Vorfeld der diesjährigen Silvesternacht hatten sich Teile der schwarz-roten Koalition dabei für die ganz harte Tour ausgesprochen. So kündigte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am frühen Sonntagabend bei einem Besuch einer Polizeiwache in Neukölln an, dass diese Nacht „wenn's denn notwendig ist, die Nacht der Repression“ werde.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, hatte vor wenigen Tagen noch eine Hardliner-Schippe draufgelegt. Seine Forderung: Bei „Pyroexzessen, Angriffen und Gefährdungen von Einsatzkräften, Unbeteiligten oder Eigentum“ solle sich die Polizei nicht scheuen, auch Schlagstöcke und Reizgas einzusetzen.

Niklas Schrader, der Innenexperte der Linksfraktion, kritisiert Forderungen dieser Art als komplett inakzeptabel. „Wer kurz vor dem Jahreswechsel noch mit Knüppel-aus-dem-Sack-Rhetorik Öl ins Feuer gießt und gleichzeitig bei Jugend- und Sozialarbeit den Rotstift ansetzt, handelt verantwortungslos“, sagte Schrader am Montag zur taz. Auch wenn diese Silvesternacht ruhiger verlaufen sei: „Die sozialen Spannungen werden bleiben, der Versuch, diese mit Repression zu unterdrücken, wird scheitern“, so Schrader.

Silvester kann doch auch so zärtlich sein Foto: Sebastian Wells

Die Grünen erneuerten unterdessen ihre Forderung nach einem generellen Verbot der privaten Böllerei. Viele Ber­li­ne­r:in­nen trauten sich wegen der Knallerei an Silvester schon nicht mehr vor die Tür, sagte Vasili Franco, der innenpolitische Sprecher der Grünen, zur taz. Sprengstoff gehöre schlicht „nicht in die Hände böllerwütiger alkoholisierter Männer und Jugendlicher, auch das ließ sich gestern wieder an vielen Ecken in der Stadt beobachten“.

Und später dann auch in den Krankenhäusern: Allein im Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) mussten wegen Sprengstoffverletzungen 27 Menschen behandelt werden. Das UKB sprach von zum Teil „dramatischen Amputationsverletzungen“.

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