„Größter politischer und persönlicher Rückschlag“

Innenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock loben die Einigung zur EU-Asylreform. Kritik kommt aus Grünen- und SPD-Fraktion sowie aus der Zivilgesellschaft

Geflüchteten soll es künftig noch schwerer gemacht werden: Kontrolle der Bundespolizei an der Grenze nach Polen    Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Frederik Eikmanns

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) haben die Einigung bei der Reform der gemeinsamen EU-Asylpolitik begrüßt. Von Grünen und SPD im Bundestag kam dagegen Kritik. Men­schen­recht­le­r*in­nen sind ohnehin entsetzt von der Verschärfung des EU-Asylrechts, auf die sich Parlament, Kommission und Rat geeinigt haben.

Faeser sagte, sie freue sich über das Ergebnis: „Jeder muss künftig an den EU-Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden.“ Die Einigung sei nötig, denn: „Wenn wir das Europa der offenen Grenzen im Inneren bewahren wollen, müssen wir die Außengrenzen schützen und funktionierende Verfahren erreichen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf X, vormals Twitter, von einem „ganz wichtigen Beschluss“. Außenministerin Baerbock nannte die Einigung „dringend notwendig und längst überfällig“.

Baerbock verschwieg, dass die Einigung vielen migrationspolitischen Grundüberzeugungen der Grünen zuwider läuft. So ist etwa geplant, dass viele Geflüchtete künftig sogenannte Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen durchlaufen sollen. Dafür sollen die Geflüchteten wohl in großen Lagern unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden. Wer abgelehnt wird, soll direkt von dort abgeschoben werden. Und wer aus einem sogenannten sicheren Drittstaat einreist, soll ohne Asylverfahren zurückgezwungen werden.

Die Außenministerin erwähnte ebenfalls nicht die zahlreichen Punkte, mit denen sich die Grünen in den Verhandlungen auf nationaler und EU-Ebene nicht einmal mit Minimalforderungen durchsetzen konnten. So hatten die Grünen etwa Ausnahmen für minderjährige Geflüchtete gefordert, die Bundesregierung hatte sich dafür in den Verhandlungen starkgemacht. Ohne Erfolg. Baer­bock sagte nun lediglich, die Einigung sei ein „Kompromiss“, der nötig sei.

Annalena Baerbock nennt die Einigung „dringend notwendig und längst überfällig“

Teile der Grünen-Bundestagsfraktion und auch einige SPD-Abgeordnete sehen das ganz anders. Der Grünen-Parlamentarier Julian Pahlke sagte: Die geplante Reform ändere am „brutalen Alltag“ an den Grenzen nichts und schaffe nur weitere Probleme: „Weitere Entrechtungen führen nicht zu weniger ankommenden Geflüchteten, sondern zu mehr Leid.“ Für ihn sei die Reform „der größte politische und persönliche Rückschlag“. Hakan Demir von der SPD nannte die Einigung gegen­über der taz zwar prinzipiell richtig, sagte aber auch: „Mit Sorge sehe ich die Ausweitung von Grenzverfahren auch auf Kinder. Außerdem fehlt mir ein klares Signal für Seenotrettung und gegen Pushbacks und Gewalt an den Außengrenzen.“ Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger sagte, die Beschlüsse seien „der massivste Angriff auf das individuelle Recht auf Asyl, den es in der EU je gegeben hat“.

Ähnlich scharf klang die Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, sagte der taz: „Diese Einigung ist fast schlimmer als befürchtet.“ Das Europaparlament habe seine menschenrechtlichen Positionen weitgehend aufgegeben. „Damit ist die Einigung ein schwerer Schlag für den Flüchtlingsschutz in Europa.“ Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty Internatio­nal in Deutschland, sagte: „Die heute erzielte Einigung ist ein menschenrechtlicher Dammbruch.“ Der Beschluss drohe, „die Rechtlosigkeit an den Außengrenzen zur Norm zu machen“. Felix Braunsdorf von Ärzte ohne Grenzen sprach am Mittwoch von einem „katastrophalen Tag“ und einem „Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte“.