Trauer um Torsun Burkhardt von Egotronic: Leben für den Augenblick

Torsun Burkhardt von der Band Egotronic ist tot. Seine Texte waren radikal ehrlich, feierten das Leben und kritisierten die deutschen Verhältnisse.

Torsun wird von Fans getragen, man sieht viele zu ihm hochgereckte Hände, sein Schuh ragt vorn links ins Bild.

Torsun wird beim Sound of Forest Festival, 2017, von seinen Fans getragen Foto: Dita Vollmond/HMB Media/imago

Sein letztes Foto für Instagram hat sich Torsun noch selber ausgesucht. Ein junger Mann in Jeans, Bomberjacke und einer gelben Brille, die Gläser haben die Form von Herzen. Er sitzt auf der Schwelle eines Hauses, irgendwo, vielleicht in der Provinz, die Tür steht halb offen. Er fährt sich mit der Linken durchs kurze Haar und lacht jemanden an. Darunter nur ein Wort: „Adieu.“

Im Interview mit der taz, das im vergangenen Mai erschien, hatte der Egotronic-Sänger von seiner Krebserkrankung berichtet und gesagt: „Ich habe keinen Bock auf eine lange Leidensgeschichte. Ich habe ein sehr gutes Leben gehabt, das reicht dann auch irgendwann.“ Am vorletzten Tag des eben vergangenen Jahres hat es gereicht. Torsun starb friedlich im Schlaf, wie seine Frau Selina mitteilte.

Wenn etwas Neues in die Welt kommt, dann meist an verschiedenen Orten zugleich. Ravepunk war zu Beginn des neuen Millenniums dieses neue Ding. Es entstand in einem alchemistischen Prozess aus dem Hardcorepunk der Jugendzentren und den elektronischen Sounds von Techno und Videospielen an mindestens zwei Orten, Bensheim und Zürich. Aus Bensheim kamen Egotronic, aus Zürich Saalschutz – und die Welt der deutschsprachigen Popmusik war auf einen Schlag eine andere. Diese Energie war vorher nicht dagewesen.

Kritik an der sogenannten Mitte

Thorsten Burkhardt alias Torsun war das charismatische Zentrum von Egotronic. Seine Texte handelten von ihm selber, seinen Beziehungen zur Welt, radikal ehrlich und verletzlich. Sie formulierten eine Kritik an der deutschen Mehrheitsgesellschaft, also der sogenannten Mitte, und an der Linken.

„Exportschlager Leitkultur“ hieß das Lied auf ihrem ersten Album, das 2006 erschien, bei vielen sofort einen Nerv traf und Begeisterung auslöste, weil es die Überlegungen der antideutschen Linken in Form eines eingängigen Popsongs vermittelte: „Mit der Mitte in die Zukunft heißt Tradition pur. Der Exportschlager aus Deutschland heißt für immer Leitkultur.“

Als ich wegen des ersten Egotronic-Albums einigermaßen aus dem Häuschen war, schmuggelte ich mich auf der Geburtstagsparty der Zeitschrift Bahamas ein, die sich damals noch dem linken Spektrum zurechnete: Denn Egotronic sollten spielen. Sie waren grandios auf der kleinen Bühne im ersten Stock des Berliner Acud, und ein Mob voller junger Leute, die T-Shirts trugen, die sie aus dem Israelurlaub mitgebracht hatten, ging steil. Auch die eine oder andere blauweiße Fahne mit Davidstern wurde geschwenkt.

„Ganz ehrlich“, sagte Torsun ein paar Jahre später, „das ewige Wimpelgeschwenke, das Identitäre war mir immer ein bisschen fremd.“ Aber trotzdem waren sich er und seine Freunde einig, dass die antideutsche Botschaft seit den Neunzigern so notwendig wie erfolgreich gewesen war.

Kein Staat ohne Gründungsverbrechen

Als sich aber Gruppen wie „Artists against Apartheid“ formierten (denen später, nach dem 7. Oktober, nur der Irrsinn einfiel, bei diesem Pogrom habe es sich um „legitimen militärischen Widerstand“ gehandelt), initiierte Torsun „Artists against Antisemitism“ mit. Er hatte längst seine nüchterne Analyse zum Hass auf Israel formuliert: Jeder Staat basiere auf einem Gründungsverbrechen. Israel sei der einzige, dessen Existenz deswegen bekämpft werde.

Erfolgreich wurden Egotronic aber, weil sie nicht nur gewitzt Kritik übten, sondern das Leben feierten. Die Revolution war fürs Erste nicht zu erwarten, aber man konnte gemeinsam tanzen, singen, sich verausgaben, durchdrehen, psychedelische Pilze schlucken und sich beim Arzt einen gelben Schein holen, um sich der Lohnarbeit zu entziehen.

„Genieß die Sonne, lehne mich zurück, noch ein Stück. Ich lebe nur für den Moment, für diesen Augenblick. Es tut so gut hier zu sitzen. Ich muss gar nichts tun. Außer vom Müßiggehen auszuruhen“, sang Torsun in „Die richtige Einstellung“. Dann pfiff er die Melodie wie einen proletarischen Schlager aus dem Wedding.

Ein besserer Planet durch Raven

In seinem Buch „Raven wegen Deutschland“, das er mit Daniel Kulla schrieb, versammelte Torsun Anekdoten aus seinem Raver­leben und erzählte über den Exzess als Form des kollektiven Rauschs, als Verschwendung von Humanressourcen, um dem Hier und Jetzt möglichst viel Energie zuzuführen und die an sich unhintergehbaren Konkurrenz- und Gewaltverhältnisse zumindest temporär auszusetzen. Wären alle so stramm wie die Raver beim Raven, meinte Torsun, wäre dieser Planet ein besserer Ort.

Von Anfang an wurden Egotronic gefeiert, wo immer sie auftraten. Erst von wenigen, dann von immer mehr jungen Leuten mit Grips und Widerstandsgeist. Egotronic spielten in den Jugendzentren von Ost und West, fuhren noch ins „hinterletzte Nazikaff“, wie sie sagten, um diejenigen zu unterstützen, die von den ach so demokratischen Mitte-Bürgern unter dem Banner des Hufeisens im Stich gelassen wurden. Bald spielten sie auch in größeren Hallen. Der Mainstream, der sich in den nuller Jahren einer bräsig-verstockten neuen deutschen Rock­musik hingab, registrierte nichts davon.

Lange schon kämpfte Torsun mit einer Rheuma-Erkrankung, er quittierte sie mit der Zeile: „Die Natur ist dein Feind.“ Dann kam der Krebs, doch Torsun veröffentlichte noch ein sehr schönes psychedelisches Album mit seinem neuen Bandprojekt Torsun & The Stereotronics.

Wer für eine bessere Welt kämpft, muss Torsun und seine Musik lieben. Deswegen werden weder er noch sie vergessen werden.

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