Deutschland bekommt es nicht auf die Kette

Eigentlich war die EU-Lieferkettenrichtlinie bereits beschlossene Sache. Doch nun droht aus Deutschland eine Last-Minute-Blockade der FDP. Erinnerungen an den Streit um Verbrennermotoren werden wach

Am 24. April 2013 stürzte in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza ein. Mit Fotos suchten Menschen nach ihren Familienangehörigen. Ohne das Unglück hätte es Lieferkettengesetze wohl nicht gegeben Foto: Xinhua/imago

Von Eric Bonse
, Brüssel und Leila van Rinsum, Berlin

Kurz vor Abschluss will die FDP das EU-Lieferkettengesetz torpedieren. Nach zwei Jahren zähen Verhandlungen hatte sich der Trilog von Europäischer Kommission, Parlament und Ministerrat im vergangenen Dezember auf eine Richtlinie zu Verpflichtungen von Unternehmen zu Menschenrechten und Umweltschutz geeinigt. Die Erleichterung war groß, denn mit Abschluss der Verhandlung ist die finale Zustimmung von Parlament und Rat reine Formsache.

Auf den letzten Metern also kündigt die FDP am Montag per Präsidiumsbeschluss ihre Blockade an, sie will die „EU-Lieferkettenrichtlinie stoppen und den „Bürokratie-Burnout verhindern“. Die Richtlinie würde „unverhältnismäßige bürokratische Hürden und Rechtsunsicherheiten schaffen und erheblich über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinausgehen“, heißt es weiter. Die CDU solle auf „ihre Parteifreundin Ursula von der Leyen einwirken“.

Das FDP-geführte Bundesjustizministerium (BMJ) ist zusammen mit dem Arbeits- und Wirtschaftsministerium federführend für die Richtlinie und hatte die Beschlüsse bislang mitgetragen. Den FDP-Präsidiumsbeschluss wollte das BMJ bis Redaktionsschluss nicht kommentieren. Arbeits- und Wirtschaftsministerium (BMWK) unterstützen indes den ausgehandelten Text. Aus dem BMWK heißt es, die Bundesregierung habe „dazu beigetragen, dass der jetzt vorliegende Entwurf berechtigte Effizienzinteressen der Unternehmen berücksichtigt, ohne das übergreifende Regulierungsziel in Frage zu stellen“. Das abschließende Votum der Bundesregierung an der abschließenden Entscheidung des Rates sei „gegenwärtig Gegenstand von Gesprächen“.

Wenn die FDP es durchsetzen sollte, dass die Bundesregierung in Brüssel aktiv wird und Nachbesserungen fordert, droht das gesamte Verfahren aus dem Ruder zu laufen. Dies war bereits beim Verbot für Verbrennungsmotoren in Pkws passiert. Wegen des deutschen Widerstands in letzter Minute kam es zu wochenlangen Verzögerungen, am Ende konnte die FDP allerdings nur minimale Änderungen durchsetzen. Der Verbrenner-Streit gilt daher als abschreckendes Beispiel, keineswegs als Erfolgsmodell. Als wahrscheinlicher gilt, dass sich die Bundesregierung wegen des FDP-Widerstands in Brüssel enthalten wird.

Eine deutsche Enthaltung dürfte das Lieferkettengesetz jedoch nicht zum Sturz bringen. Zuletzt hatte nur noch die polnische PiS-Regierung Vorbehalte angemeldet – diese wurde jedoch Ende des vergangenen Jahres durch eine proeuropäische Führung ersetzt. Allerdings könnten einige Regierungen auch noch ihre Meinung ändern, wenn Deutschland wackelt. Kritik kommt von der grünen Europaabgeordneten Anna Cavazzini, die das Lieferkettengesetz mit ausgehandelt hat. „Die FDP gefährdet mit dem Präsidiumsbeschluss einen seit Jahren laufenden Gesetzesprozess“, sagte sie der taz. Müsste sich Deutschland im Rat enthalten, stünde das gesamte europäische Lieferkettengesetz auf der Kippe, da einige rechte Regierungen bereits mit Ablehnung gedroht haben, warnt Cavazzini. „Das wäre ein Desaster für die Menschenrechte. Es würde außerdem Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen bringen, da ein europäisches Gesetz gleiche Bedingungen überall in der EU schaffen würde.“

Kritik kommt auch von der deutschen Zivilgesellschaft. Johannes Heeg, Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz, sagte: „Mit ihrer Kehrtwende kurz vor der Ziellinie setzt die FDP die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der EU in Sachen Nachhaltigkeit aufs Spiel.“ Heeg appeliert an Bundeskanzler Olaf Scholz, den Kompromiss beim EU-Lieferkettengesetz zu verteidigen. „Denn dieser leistet einen wichtigen Beitrag für Menschenrechte und Umwelt, ohne Unternehmen dabei zu überfordern.“

EU-Lieferkettenrichtlinie Die EU möchte Unternehmen verpflichten, ihr gesamtes Produktionsnetzwerk auf mögliche Verstöße gegen Menschenrechte und auf die Einhaltung der Pariser Klimaschutz­ziele hin zu überprüfen. Betroffen sind Firmen mit 500 und später mit 250 Beschäftigten. Auch Unternehmen außerhalb der EU sollen dem Gesetz unterliegen, wenn sie einen Nettoumsatz von 300 Mil­lionen Euro in der EU erwirtschaften. Sie alle müssten Maßnahmen ergreifen, um aufgedeckte Missstände zu beheben.

Sanktionen Ob Unternehmen die neuen Regelungen wirklich einhalten, sollen Aufsichtsbehörden kontrollieren, die von jedem EU-Staat eingerichtet werden müssen. Sie können Geldstrafen von bis zu 5 Prozent des weltweiten Umsatzes erheben.

Deutsche Vorabversion In Deutschland ist bereits seit Anfang 2023 ein nationales Lieferkettengesetz in Kraft. Es geht aber nicht so weit wie die europäische Vorlage. So können etwa Opfer von Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten von Unternehmen bislang nicht selbst eine Klage einreichen. Das deutsche Gesetz müsste entsprechend bei Einführung der europäischen Regelung nachgebessert werden.

Zustimmung zur FDP-Position kommt von Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Hier liegen komplett wirklichkeitsfremde Vorstellungen zugrunde, die den Unternehmen uneinlösbare Pflichten aufbürden würden“, sagte er bei der BDI-Jahresauftaktkonferenz am Dienstag in Berlin.

Bedenken kommen auch vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Der verwies gegenüber der taz auf einige Fälle, in denen große Unternehmen, die unter das deutsche Lieferkettengesetz fallen, ihre Dokumentations- und Kontrollpflichten auch auf mittelständische Handwerksbetriebe „abwälzen“, die als Zulieferer für sie tätig sind. Bei nur in Deutschland tätigen Handwerksbetrieben sei das Risiko, gegen Menschenrechtsverpflichtungen zu verstoßen, jedoch gering. „Viele Handwerksbetriebe empfinden solche undifferenzierten Codes of Conduct als sehr ärgerlich und völlig unnötige weitere bürokratische Belastung.“ Das für die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) hat die Weitergabe der Sorgfaltspflichten an Zulieferer allerdings untersagt.

Sollte Deutschland Nachbesserungen fordern, droht das gesamte Verfahren aus dem Ruder zu laufen

Das EU-Lieferkettengesetz wird im aktuellen Entwurf auch nicht für alle Unternehmen gelten, sondern für solche mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen. Nach dem deutschen Lieferkettengesetz sind ab 2024 Unternehmen mit mehr als 1000 Mit­­ar­bei­te­r*in­nen betroffen. Hinzugefügt werden müsste auch die Möglichkeit der zivilen Haftung und die Umweltpflichten, welche der FDP-Beschluss ebenfalls kritisiert. Die EU-Richtlinie würde zugleich die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Denn dann würden die Pflichten des Gesetzes für Unternehmen in der EU sowie für einige Firmen mit Sitz außerhalb der EU gelten, wenn sie einen Nettoumsatz von 300 Millionen Euro in der EU erwirtschaften. Außerdem gelten die Sorgfaltspflichten dann für die gesamte Wertschöpfungskette, also auch für Verkauf, Logistik und Entsorgung.

Es gibt jedoch auch eine Vielzahl von Unternehmen, sich für entsprechende Regelungen eingesetzt haben. Vergangenen Dezember riefen Unternehmen gemeinsam mit Gewerkschaften und Zivilorganisationen die EU-Poli­ti­ke­r*in­nen dazu auf, die Richtlinie zu Unternehmenspflichten zum Abschluss zu bringen.

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