Die Revolution tanzen

Pisitakun Kuantalaeng erforscht Protestsongs aus Thailand und anderen Regionen und macht sie zu Clubtracks. Am Freitag präsentiert der Künstler bei der Eröffnung der CTM sein Projekt „The Three Sound of Revolution“

Pisitakun Kuantalaeng an der Khaen Foto: Courtesy of the Artist

Von Beate Scheder

Jede Protestbewegung hat ihren Sound, ihren Rhythmus, ihre Lieder. Eingängig klingen diese in der Regel, sodass man gleich mitsingen kann, hymnenartig, auch pathetisch manchmal. In Thailand, dem Land, in dem der Musiker und Künstler Pisitakun Kuantalaeng im Jahr 1986 geboren ist, trägt dabei oft die Khaen die Melodie, ein traditionelles Holzblasinstrument, eine Mundorgel, die aussieht wie eine in die Länge gezogene Panflöte. Zumindest dann, wenn am Protest Menschen aus dem Nordosten des Landes beteiligt sind, wie das etwa bei der Rothemden-Bewegung in den 2010er Jahren der Fall war. Seit einiger Zeit schon beschäftigt sich Pisitakun mit der Musik der Khaen, mit Protestsongs aus seinem Heimatland, aber nicht nur von dort.

„The Three Sound of Revolution“ heißt sein Projekt, für das er gemeinsam mit internationalen Musiker*innen, DJs und Pro­du­zen­t*in­nen Protestsounds aus Thailand, Myanmar, den Philippinen, aus Portugal und Brasilien, irgendwann vielleicht von überall her sammelt und remixt. Es ist ein umfangreiches Rechercheprojekt, einen Teil davon wird er jetzt, beim Festival CTM, in der Eröffnungsnacht diesen Freitag präsentieren.

Schon am vergangenen Samstag veranstaltete er dafür ein Open Studio in seinen Räumen im DAAD-Atelierhaus am Bundesplatz, vor allem um seine Malerei in Ruhe zu zeigen, die er am Freitag in den unteren Räumen des Berghains, genannt Säule, installieren wird. Die Ausstellung wird dort nur eine Nacht lang zu sehen sein, deshalb habe er sich überlegt, Interessierte vorher in sein Studio einzuladen, erklärt er. Besser sehen kann man die Bilder im Tageslicht in seinem Atelier definitiv, nur fluoreszieren die Farben da leider nicht. Den Effekt muss man sich dazudenken.

Die Bilder erzählen von den Konflikten und Protesten der vergangenen Jahrzehnte in Thailand. Auf einem breiten Querformat hat Pisitakun mit knallbunten Farben die vielen Unruhen aufgemalt. Comic­artig sind Ereignisse, Personen und Objekte festgehalten und beschrieben, vom Volksaufstand am 14. Oktober 1973, der die Militärdiktatur zum Sturz brachte, bis zu den prodemokratischen Protesten der jüngsten Geschichte. Kopfhörer lassen sich an der Arbeit befestigen für verschiedene Hörbeispiele. Ein anderes Bild, das im Studio hängt, zeigt Gesichter verschwundener Personen aus Thailand. Auf den übrigen sind die beteiligten Künst­le­r*in­nen des Projekts und Texte einzelner Songs zu erkennen. Für das Berghain plant er außerdem eine Siebdruckwerkstatt, wer da mitmachen möchte, sollte ein T-Shirt einstecken.

2015 kam Pisitakun zum ersten Mal nach Berlin und verbrachte viel Zeit in den Clubs der Stadt. Inzwischen lebt er hier, momentan ist er Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Sein Kunststudium hat er 2009 in Bangkok abgeschlossen, eigentlich in Bildhauerei, doch die wurde ihm schnell zu teuer. Er habe es sich nicht leisten können, so weiterzuarbeiten, erklärt er. Stattdessen konzentrierte er sich zunächst aufs Zeichnen, beschäftigte sich dabei auch inhaltlich mit dem Wert der Kunst: Für „We need to talk about money“ (2012) zeichnete er Geldnoten ab und tauschte sie gegen echtes Geld ein. Auch die politische Situation Thailands spielte schon früh eine Rolle: Mit der Macht der Geschichtsschreibung und dem Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha beschäftigte er sich etwa in „The unfinished history“ (2012). Das erste Projekt, in dem er Musik integrierte, war „Black Country“ im Jahr 2017. Ausgangspunkt war dabei die Staatstrauer und die Vorschrift, sich schwarz zu kleiden. Pisitakun mixte Techno, Noise und Found Footage mit Black-Metal-Ästhetik, veranstaltete Performances aus ausgedachten Ritualen. Humorvoll, dennoch kritisch und recht zugänglich wirken all die Projekte, die Pisitakun während des Open Studios nacheinander vorstellt.

Näheres über die kommende CTM-Clubnacht verrät auch die Website des Projekts. Dort sind einzelne Länder auf einer Weltkarte auswählbar, mit denen Hörbeispiele verknüpft sind. Etwa ein Song, den Teya Logos aus Manila mitgebracht hat. Ein funky Dance-Track, der die „Internationale“ auf Tagalog zur tanzbaren Budots-Version vermorpht. Teya Logos gehört zu den Projekt-Künstler*innen, die am Freitag ebenfalls dabei sind.

Auf einem breiten Querformat hat er mit knallbunten Farben die vielen Unruhen aufgemalt

Protest und Partys haben für Pisitakun vieles gemeinsam, energetisch vor allem. Dass er vom Berghain-Publikum keine näheren Kenntnisse der politischen Verhältnissen in Thailand erwarten kann, ist ihm bewusst. Primär gehe es ihm darum, „die Kraft der Proteste in die Clubszene zu bringen“. Politisches Potenzial sieht er in dieser jedoch durchaus: „In den Clubs wurde in der letzten Zeit schon viel, etwa über Genderfragen, diskutiert, ich fände es interessant, wenn auch solche Themen dort angesprochen würden.“

Auf eine Art passiert genau das gerade. Der Nahostkonflikt treibt auch die Clubszene um, polarisiert sie. Was Pisitakun erreichen möchte, ist jedoch genau das Gegenteil: Er will Menschen zusammenbringen und ihnen zeigen, wie Musik alle verbindet.

CTM: „The Three Sound of Revolution“. Säule, Berghain, 26. Januar, 23.59 Uhr