Kersten Augustin
Materie
: Was hilft gegen die AfD? Noch mehr Empörung ist es nicht

Jetzt AfD“, steht auf Plakaten an den Straßenlaternen Berlins. Mehr nicht. Hier hat jemand kein Wort zu viel zu verlieren, so klingt das. Es ist Wahlkampf in Berlin, mal wieder. Ein Dienstagnachmittag vor einer Schule, einen Tag bevor das Recherchenetzwerk Correctiv den sogenannten Geheimplan der AfD veröffentlicht. Drei Mädchen sind auf dem Weg zum Bus, eine von ihnen zeigt auf das Wahlplakat der AfD: „Wenn die gewinnen“, sagt sie, „musst du nach Marokko. Und ich in die Türkei.“

Die Mädchen wissen: Es ist kein Geheimplan, den die AfD verfolgt. Es ist alles bekannt. Taten statt Worte, das ist das alte Motto der Rechtsextremen. Und das scheint auch das Motto der AfD zu sein. Wenn jedes Schulkind mit Mi­gra­tions­ge­schich­te in Berlin weiß, was die AfD will, warum ist dann die Aufregung über diese neue Recherche so groß?

Ich ertappe mich dabei, die Recherche der KollegInnen vor allem als ziemlich gut verkauft zu betrachten. Die pixeligen Bilder der versteckten Kameras machen neugierig, nächste Woche gibt es das Ganze als szenische Lesung am Berliner Ensemble, Restkarten an der Abendkasse. Journalismus und Aktionskunst gehen Hand in Hand.

Nun mag man mir vorwerfen, dass es falsch ist, die Recherche und die Reaktionen einer Stilkritik zu unterwerfen und die Gefahr, die durch die AfD droht, herunterzuspielen. Denn ein Tag, an dem solche Veröffentlichungen keinerlei Reaktion verursachten, wäre gruselig. Aber immer nur noch mehr Empörung, das kann es auch nicht sein.

Was ist schlimmer: die folgenlose Empörung, die sich nun allerorts ausbreitet über die Pläne der Rechten, massenhaft Menschen zu deportieren, oder meine abgeklärte Resignation? Letztlich zeigt sich darin wieder einmal die Hilflosigkeit im Umgang mit der AfD. Die Stimmenanteile der AfD nehmen laut Umfragen trotz oder wegen jedes neuen Skandals zu. Und niemand scheint zu wissen, was noch hilft.

Kersten Augustin ist stell­ver­tretender Ressortleiter der wochentaz.

Selbst die Wannseekonferenz wird nun hervorgeholt. Wenn sich ein paar Rechtsextreme in einer Villa bei Potsdam treffen, ist das naheliegend. Aber haben wir nicht vor drei Wochen noch über die Singularität des Holocausts gestritten? Solche Vergleiche freuen vermutlich vor allem die neuen Nazis, die sich dort trafen. Schreibt es ihnen doch eine Handlungsmacht zu, die sie nicht haben. Als wären ein pensionierter Zahnarzt, ein Fastfoodinvestor, ein Neonazi aus einer Splittergruppe und ein AfD-Fraktionsvorsitzender aus Sachsen-Anhalt vergleichbar mit ihren Vorbildern im Jahr 1942.

Es ist nicht 1942. Aber es hat sich etwas verschoben. Man konnte das beobachten, als Bauern, Rechtsextreme und rechtsextreme Bauern die Fähre stürmen wollten, auf der Robert Habeck aus dem Urlaub zurückkam. Wobei gar nicht die Protestform das Schlimmste war, sondern der politische Hintergrund der Demonstranten und die Reaktionen darauf: Friedrich Merz, der wissen ließ, Habeck solle sich mal nicht so haben, und der Chefredakteur des selbst ernannten bürgerlichen Teils der Springer-Medien, der nahelegte, Helmut Kohl hätte halt zurückgehauen. Auf das deutsche Bürgertum kann man sich im Zweifel offenbar auch nach dem rechtsextremen Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke nicht verlassen.

Die demokratische Mehrheit sollte cool bleiben – und handeln

Was tun, außer Empörung? Ich würde mir wünschen, dass die demokratische Mehrheit auf neue Enthüllungen über die AfD endlich anders reagiert. Dass sie cool bleibt und nüchtern und endlich handelt: Es braucht antifaschistische Selbstorganisation, eine Machtdemonstration der Zivilgesellschaft wie bei Unteilbar, es braucht linke Politik als echte Alternative zur Tristesse der Ampel. Und zusätzlich, aber bloß nicht nur: endlich ein Verbotsverfahren gegen die AfD.