Ermittlungen gegen Anwalt: Besser verkaufen mit McEigenbedarf

Ein früherer Syndikusanwalt der Immobilienfirma McMakler ist in einen mutmaßlichen Betrugsfall verwickelt – zu vorgetäuschtem Eigenbedarf an Wohnraum.

Dächer aus der Luft fotografiert

Häusermeer in Charlottenburg: Der Wohnungsmarkt ist hart umkämpft Foto: imago stock&people

BERLIN taz | Die Firma McMakler wirbt mit der einfachen Abwicklung von Immobiliengeschäften: „Der Verkauf mit McMakler lief wirklich unkompliziert. Der Makler war immer da und der Prozess sehr transparent“, sagt eine ältere Frau in McDonald’s-gelbem Pullover grinsend in die Kamera. Die Image-Filme des Unternehmens versprechen viel: „McMakler steht für Rundum-sorglos-Service“, lautet ein Slogan, „für persönliche und umfassende“ Beratung ein anderer. Gemeinsam mit über 100 Experten entwickle man eine „individuelle Vermarktungsstrategie“.

Wie eine solche Strategie aussehen kann, interessiert in einem Fall, den die taz recherchiert hat, auch Polizei und Staatsanwaltschaft. Nach einem Räumungsprozess und dem darauf folgenden Wohnungsverkauf im Jahr 2021 ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Philipp T., einen damaligen Syndikusanwalt von McMakler. Syndikusanwälte beraten ihren Arbeitgeber in sämtlichen Rechtsfragen. Im Fall von T. lautet der Vorwurf: Prozessbetrug. Zusammen mit den Eigentümern, dem Ehepaar K., soll er bei deren Charlottenburger Wohnung in der Wernigeroder Straße bewusst Eigenbedarf vorgetäuscht haben. Das geht aus polizeilichen Unterlagen und zahlreichen Belegen hervor, die der taz vorliegen.

Obwohl es sich um eine Straftat handelt, kommt es äußerst selten zu Verurteilungen wegen Betrugs aufgrund vorgetäuschten Eigenbedarfs. Zwar lässt sich meist leicht belegen, ob Vermieter nach dem durchgesetzten Eigenbedarf tatsächlich eingezogen sind. Aber Eigentümer können geltend machen, dass sich die Lebenspläne geändert haben, um ein vorsätzliches Handeln abzustreiten. Die Vorteile für Vermieter sind klar: Das Mietrecht wird so ausgehebelt, und beim Verkauf einer leeren Wohnung lässt sich ein höherer Preis erzielen. Wie häufig diese illegale Praxis ist, darüber lässt sich nur spekulieren.

Die Zahl der Beratungen wegen einer Eigenbedarfskündigung ist jedenfalls in den letzten Jahren laut dem Berliner Mieterverein stark gestiegen. Der Verein geht auf taz-Anfrage auch davon aus, dass Vermieter wissen, wie selten die Zivilgerichte Verdachtsfälle von Betrug an die Staatsanwaltschaft melden. Zu vorgetäuschtem Eigenbedarf gebe es einige Dutzend Beratungsfälle. Allerdings „dürfte die Dunkelziffer jährlich in die Tausende gehen, da viele nach Auszug mit dem belastenden Thema abschließen möchten und sich nicht mehr darum kümmern, wer in die frühere Wohnung gezogen ist“, erläutert Sebastian Bartels vom Mieterverein.

Auch Senat und Staatsanwaltschaft haben auf taz-Anfrage keine Zahlen. Der Berliner Richter Sven Kersten sagt auf Anfrage: „Die letzten veröffentlichten Gerichtsentscheidungen dazu datieren auf Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre.“ Aus seiner Sicht liegt es daher nahe, dass viele Strafverfahren mit einer Einstellung endeten.

Im vorliegenden Fall ist die Beweislage jedoch etwas anders: Denn lange bevor sie Eigenbedarf anmeldeten, teilten die Eigentümer, das Ehepaar Andreas und Gabriela K., ihren Mietern mit, dass sie die Wohnung mithilfe von McMakler verkaufen wollten. Und schon vor ihrer Räumungsklage wegen Eigenbedarfs am 27. 11. 2020, am 3. August 2020 nämlich, kauften sie sich ausweislich eines der taz vorliegenden Grundbuchauszugs ein Haus mit Garten im Landkreis Oberhavel, in dem sie bis heute leben. Ganz offenkundig hatten sie nie vor, selbst in ihre Charlottenburger Wohnung einzuziehen. Dass sie zum Zeitpunkt des Räumungsprozesses das Haus bereits gekauft hatten, stellte sich allerdings erst später heraus.

Eine vermietete Wohnung verkauft sich schlechter

Zu Beginn versuchten die Eigentümer alleine, später gemeinsam mit dem McMakler-Anwalt, die Mie­te­r*in­nen zum freiwilligen Auszug zu bewegen. Es handelte sich um das Ehepaar H., beide Mitte 40. Ein Umzug war für sie zwischen Magen-OPs von Frank H. schwierig zu gestalten, der zudem unter einer chronischen psychischen Erkrankung mit Behinderungsgrad leidet. Doch vermietet verkauft sich eine Wohnung eben nicht so gut.

Tief blicken lässt die E-Mail einer McMakler-Mitarbeiterin an den beschuldigten Anwalt Philipp T., die sie offenbar versehentlich auch den Mie­te­r*in­nen schickte. Darin geht es auch darum, wie man die H.s zum Auszug bewegen könne. In der Mail fragt die Maklerin den Anwalt: „Soll ich die Mieter vorab kontaktieren, und ihnen sagen, dass du dich zeitnah melden wirst? Ich möchte aus taktischen Gründen versuchen, die Mieter auf meiner Seite zu behalten. Ich weiß ja nicht, wie sie das aufnehmen, wenn du sie anrufst.“

Dann teilt sie noch mit, dass der Mieter erkrankt sei und eine OP bevorstehe, weswegen sie nicht umziehen könnten. Gleichwohl seien die H.s kompromissbereit, schreibt die Maklerin – weil sie ihnen mitgeteilt habe, dass auch unter möglichen neuen Besitzern eine Eigenbedarfskündigung drohe. Die Mieter hätten vorgeschlagen, in Absprache mit neuen Eigentümern einen Auszugstermin nach der OP abzusprechen. Sie würden sich bereits nach Alternativen umschauen.

Dass in jedem Fall eine härtere Gangart bevorstünde, war offenbar auch der Maklerin bekannt. Abschließend schrieb sie: „Thema Mietanpassung steht auf meiner To-do-Liste.“

Der ehemalige Mieter, Frank H., sagt der taz: „Der Anwalt von McMakler hat uns dreist am Telefon angekündigt, dass es eine Eigenbedarfskündigung geben werde.“ Häufig sei er am Telefon ruppig gewesen, habe abgestritten, dass per Einschreiben mit Rückschein verschickte Briefe angekommen seien, habe keine Rücksicht auf ihre Krankheitsgeschichte genommen und sich unnachgiebig hinsichtlich eines Aufschubs gezeigt.

Dann verhärten sich die Fronten: Nach Drohungen mit Mieterhöhungen – auch über den McMakler-Anwalt –, Schriftwechseln und Widersprüchen melden die Eigentümer K. am 4. April 2020 kurzerhand Eigenbedarf an. Sie wollten die Wohnung doch nicht verkaufen, heißt es plötzlich, sondern selbst einziehen, unter anderem, weil sie in ihrer aktuellen Wohnung unter Baulärm litten. Die Kommunikation zu den Mie­te­r*in­nen läuft größtenteils über McMakler und den Syndikusanwalt. Die Mie­te­r*in­nen widersprechen, leiden aber sehr unter der ungewissen Situation.

Eine weitere Mail vom September 2020, die der taz vorliegt, lässt tief blicken: Die schickt der McMakler-Anwalt T. den Eigentümern, leitet sie aber – versehentlich oder gar zur Einschüchterung – an Frank H. weiter: Er werde nun zeitnah Räumungsklage erheben, heißt es darin, um möglichst zügig die Zwangsvollstreckung einleiten zu können. „Mit einer Prise Glück bei der gerichtlichen Terminierung werden die Eheleute H. noch vor Weihnachten durch den Gerichtsvollzieher aus der Wohnung entfernt werden und Sie können Weihnachten schon in den eigenen vier Wänden verbringen“, schreibt er darin.

Die Räumungsklage folgt Ende November. Im zivilrechtlichen Prozess vor dem Amtsgericht Charlottenburg kommt es im März 2021 zu einer Einigung: Das Ehepaar sagt zu, wenig später auszuziehen – es bekommt als Abfindung 25.000 Euro von den Eigentümern. Die H. nehmen das Geld an, weil sie unter der stressigen Situation leiden und nicht sicher sein können, ob die Eigentümer nicht doch tatsächlich Eigenbedarf haben – von deren Hauskauf in Brandenburg wissen sie zu dem Zeitpunkt ebenso wenig wie die Richterin.

Schwierige Wohnungssuche, teurere Miete

Die Wohnungssuche gestaltet sich schwierig für das nicht sehr mobile Ehepaar. Sie ziehen schließlich nach Karlshorst. Bis heute bedauern sie, ihren alten Lebensmittelpunkt mit Nähe zu Freun­d*in­nen und Arbeitsplatz verloren zu haben. Ihre neue Miete liegt um 200 Euro höher.

Auch deswegen prüft Frank H. nach dem Auszug, ob die Wohnung nicht doch inseriert wird. Und tatsächlich: Wenig später stellt sich heraus, dass die Eigentümer nicht selbst eingezogen sind. Zwar steht am Klingelschild vorübergehend ihr Name, aber rund zwei Monate nach dem Auszug der H.s wird die Wohnung auf einem Immobilienportal zum Kauf angeboten – zu einem deutlich höheren Preis: Statt 399.000 Euro wie im Herbst 2019, als die K.s sie schon einmal angeboten hatten, sind es nun 650.000 Euro – kurz darauf, im November, ist die Wohnung verkauft. Eine Melderegisterauskunft belegt, dass die ehemaligen Eigentümer in ihr Brandenburger Haus gezogen sind.

Die ehemaligen Mieter sind empört: Zusammen mit ihrem Rechtsanwalt Benjamin Raabe, einem Fachanwalt für Mietrecht, reichen sie Anzeige wegen Prozessbetrugs ein. Aber die Staatsanwaltschaft stellt das Strafverfahren trotz aller vorliegenden Fakten und Belege nach Einlassungen von Anwalt T. und den Eigentümern K. am 15. November 2022 zunächst wieder ein.

Raabe nimmt Akteneinsicht und legt mit Verweis auf das Datum des Hauskaufs Beschwerde gegen die Einstellung ein – die K.s hatten den Hauskauf während der Ermittlungen mit einem falschen Datum angegeben. Sein Widerspruch hat Erfolg: Die Staatsanwaltschaft ermittelt erneut – mit noch offenem Ausgang. Auf taz-Anfrage heißt es, die Ermittlungen seien in Kürze abgeschlossen.

Ein Schlussbericht der Kriminalpolizei liegt der taz vor. Für das LKA ist der Fall nun relativ klar: Herr und Frau K. hätten bei der Räumungsklage vor Gericht behauptet, ihre Wohnung selbst beziehen zu wollen – „tatsächlich aber beabsichtigten die beiden Beschuldigten, die Wohnung zu veräußern und ohne Mieter einen höheren Verkaufspreis zu erzielen“. Das ergebe sich daraus, dass sie seit August 2020 eine „notarielle Auflassung zum Kauf für ein neues Grundstück mit Haus“ in Brandenburg hatten – also über drei Monate vor der Räumungsklage. Zudem habe es bereits 2019 zahlreiche Besichtigungen über die Firma McMakler gegeben, „da die Beschuldigten bereits 2019 die bewohnte Wohnung verkaufen wollten.“

Anwalt T. habe sämtliche Vorwürfe im Juni 2023 zurückgewiesen. Auch auf taz-Anfrage sagt T., er sei „weder als Syndikusrechtsanwalt noch als Rechtsanwalt jemals bewusst in einen Prozessbetrug“ verwickelt gewesen. Er würde seine Karriere nicht für einen wohnraummietrechtlichen Fall aufs Spiel setzen, könne aber „aufgrund seiner berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht“ keine Auskunft zum Fall erteilen. Allgemein halte er es für nicht ratsam, eine Eigenbedarfskündigung ohne Nutzungsabsicht auszusprechen, sagt er: „Es wäre für Maklerunternehmen eine törichte Strategie, zu einer Eigenbedarfskündigung zu raten.“

War McMakler „nicht involviert“?

Die Firma McMakler teilt auf taz-Anfrage mit, T. sei bis Oktober 2023 Syndikusanwalt des Unternehmens gewesen, „zur Zeit“ aber nicht mehr für McMakler tätig. Die Eigentümer hätten den Maklervertrag für die Charlottenburger Wohnung gekündigt, bevor es zur Vermarktung gekommen sei, weil sie das Objekt selbst nutzen wollten. Danach habe T.s eigene Kanzlei die Eigentümer vertreten, McMakler sei nicht mehr involviert gewesen. Von einem Haus in Brandenburg sei ihnen zu keinem Zeitpunkt etwas bekannt gewesen. Man habe den Eigentümern nicht strategisch dazu geraten, Eigenbedarf vorzutäuschen, erfasse aber auch nicht die Wohn- oder Eigentumssituation der Verkäufer.

Auf eine taz-Anfrage haben die Eigentümer K. bisher nicht reagiert. Gegenüber den Ermittlungsbehörden haben sie sich dagegen ausführlich schriftlich geäußert. Aus dem Schlussbericht der Polizei geht allerdings nicht hervor, dass sie damit die Vorwürfe entkräften. Denn in ihren Erklärungen heißt es, sie hätte das Haus lediglich für ihre Tochter gekauft, weil diese keinen Kredit bekommen habe – sie aber mit der Wohnung in Charlottenburg schon. Allerdings behaupten sie gegenüber den Behörden, sie hätten das Haus erst Anfang 2021 gekauft und nicht, wie im Grundbuch steht, im August 2020. Nach den falschen Angaben wirkt dann auch ihre Erklärung für den Einzug in das Havelländer Einfamilienhaus wenig glaubwürdig: Erst als sich für die Tochter eine andere Wohngelegenheit ergeben habe, hätten sie sich dazu entschieden.

Dafür schimpfen die K.s gegenüber den Behörden noch einmal über ihre ehemaligen Mieter*innen: Man sei mit dubiosen Geschichten hingehalten worden. Obwohl mit der Einigung bei der Räumungsklage doch sämtliche Ansprüche abgegolten waren, seien „die krankhaften Belästigungen“ weitergegangen. „Wir wollen endlich unsere Ruhe und nicht alljährlich von Fam. H. belästigt werden“, steht fettgedruckt unter der schriftlichen Einlassung. Von Schuldbewusstsein keine Spur.

Entkräftet haben sie damit die Vorwürfe offensichtlich nicht – die Polizei hat den Fall aus ihrer Sicht ausermittelt, wie es im Schlussbericht heißt. Sie geht vom Vorliegen eines Betrugs aus und hat den Fall erneut der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt. Die dürfte in Kürze bevorstehen.

Aus Sicht von Benjamin Raabe, dem Anwalt der ehemaligen Mie­te­r*in­nen, ist klar, was die K.s vorhatten: „Ihr Plan hatte sich nie geändert, nämlich die Wohnung der Geschädigten zu verkaufen, um von dem Geld eine andere Immobilie zu erwerben.“ Wenn sie in die Charlottenburger Wohnung eingezogen wären, hätten sie den Hauskauf nicht realisieren können. Die Angaben in der Räumungsklage und in diversen Schriftsätzen seien also „Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Raabe geht von einem zusätzlichen Gewinn von rund 250.000 Euro für die Eheleute K. aus.

Darüber hinaus ist Raabe der Ansicht, dass Anwalt T. sich der Teilnahme am Betrug schuldig gemacht hat: „Es spricht vieles dafür, dass der Kollege von Anfang an wusste, dass die Beschuldigten vor allem das Interesse hatten, die Wohnung so gut wie möglich zu verkaufen.“ Schließlich habe es schon im Jahr 2019 über McMakler Verhandlungen über den Auszug gegeben.

Update, 15.2.2024: Das Ermittlungsverfahren gegen Anwalt Philipp T. ist mittlerweile eingestellt worden. Die anzeigenden Mie­te­r*in­nen können gegen die Entscheidung Beschwerde einlegen.

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