Max Annas Roman „Berlin, Siegesallee“: Attentat bei der Kaiserparade

In Max Annas Roman rächt eine Terrortruppe die Verbrechen in den deutschen Kolonien. Auf blutige Weise wird Gerechtigkeit gefordert.

Ein Reiterzug reitet an einer jubelnden Menschenmenge vorbei.

Rückkehr von der Kaiserparade am 24.8.1910 in Rastenberg, Ostpreußen Foto: akg

Wirklich? So war das? Es ist so eine Sache mit historischen Krimis. Nicht nur die Fälle müssen stimmig sein, die Zeit, in der sie spielen, sollte so korrekt wie möglich gezeichnet werden. So gesehen ist am besten, wenn sich die Lesenden am Ende vorstellen können, dass es genau so gewesen sein könnte. Wenn sie sich gar die Frage stellen, ob es vielleicht wirklich so gewesen ist.

Wie war es also anno 1914 in Berlin für schwarze Menschen? Friedrich Smith, der als Bote für einen Schneiderbetrieb regelmäßig durch die ganze Stadt zu fahren hat, bekommt täglich den finstersten Alltagsrassismus zu spüren, wenn man ihn wieder einmal nicht mitfahren lässt in der Straßenbahn etwa. So schildert es Max Annas in seinem neuen Roman „Berlin, Siegesallee“. Das wird schon so gewesen sein, ist ja heute auch nicht anders.

Max Annas: „Berlin, Siegesallee“. Rowohlt, Hamburg 2024. 288 Seiten, 22 Euro

Dann ist da noch ein anderer Schwarzer, mit dem der Hausherr eines stolzen Anwesens im vornehmen Steglitz so gerne parliert. Nebenan macht ein Schwarzer die Gartenarbeit. Den hat sich der Hausherr einst aus Südwest mitgebracht, von einer Reise, deren Eindrücke jetzt in ein monumentales Gemälde fließen sollen, das zeigen soll, wie Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich Afrika untertan macht. Der Herrscher war zwar nie in den Kolonien, aber darum geht es dem Maler nicht. Propaganda eben. Wird schon so gewesen sein. Ist heute ja auch wieder ein Thema.

Faszination Suffragetten

Die drei Männer lernen sich kennen und die Tochter eines angesehenen Hauses ebenso. Eine jener höheren Fräuleins, die sich nicht länger mit der Rolle abfinden wollten, die die Gesellschaft ihnen zugedacht hatte. Eine, die nicht darauf wartet, vom Vater verheiratet zu werden. Eine, die fasziniert auf die Taten der Suffragetten in England schaute. Eine, die die Welt verändern wollte, und wenn es sein muss, mit Gewalt.

Mit Gewalt? Klar, es ist ein Krimi, nicht nur ein Sittengemälde jener Zeit, in der es für viele noch undenkbar war, dass Frauen mal das Wahlrecht erhalten.

Das Blut spritzt nur so, auch mal in einer wahren „Springflut“, wie es heißt. Mal führt der eine das Messer, mal die andere. Eine irre Terrortruppe hat Annas da zusammengestellt. Ein Fanal wollen die drei Männer und die Frau setzen, wie sie sagen. Ihre Opfer sind Militärs, die in den Kolonien an genozidalen Verbrechen beteiligt waren.

Gerechte Rache?

Wer das liest, soll wohl zum Sympathisanten werden und sich wie die Rachemörder wundern, warum die Taten alles andere als Aufmerksamkeit erregen. Es gibt schlicht kein Interesse dafür, was die Deutschen in den Kolonien treiben. Gerechte Rache?

Und wenn das nicht reicht, muss eben der Kaiser dran glauben. Oje! Das kann aber wirklich nicht so gewesen sein. Jetzt übertreibt der Autor aber. Das Attentat scheitert letztlich am Alltagsrassismus. Die tapferen Rachetäter werden einfach nicht vorgelassen in die erste Reihe bei der Kaiser­parade. Ha! So wäre es vielleicht gekommen, wenn es wirklich zu einem solchen Attentat gekommen ware. Das ist dann doch Krimikunst.

Da wird ein Fall konstruiert, um die Gesellschaft zu beschreiben. Das kommt in diesem Fall ohne große Marktschreierei daher und ohne den bisweilen so gern genommenen Hinweis, dass die Geschichte auf einem wahren Fall beruhe.

Als Max Annas einst den Fall des in Brandenburg zu Tode gekommenen Vertragsarbeiters Manuel Diogo zum Stoff für einen Krimi gemacht hat, erzählte er die Geschichte des Mosambikaners als finsteren Nazi-Mord, der von der Polizei in der DDR vertuscht worden war.

Zu viel Wirklichkeit

Der gute antiras­sistische Wille war jeder Zeile anzumerken. Heute ist bekannt, dass Dio­go bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Wirklich. So war das. Annas’ „Morduntersuchungskommission“ war am Ende dann kein Krimi, auch weil er zu viel Wirklichkeit wollte.

Bei „Berlin, Siegesallee“ ist das anders. Die Geschichte ist stimmig, antirassistisch und so blutig, wie ein gut ausgedachter Krimi ruhig sein darf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.