Ampel-Streit um Mietrecht: Gefährdete Lebensräume in Berlin

Weil sich Justizminister und Innenministerin nicht einigen können, gibt es keine Mietrechtsnovelle. Viele Mie­te­r*in­nen bangen deswegen um ihre Zukunft.

Eine Straßenbahn fährt über die Kastanienallee in Berlin

In der Kastanienallee im Prenzlauer Berg kann man Gentrifizierung wie unterm Brennglas beobachten Foto: Jürgen Ritter/imago

BERLIN taz | Die Kastanienallee in Berlin Prenzlauer Berg ist ein Ort, über den sich einiges erzählen lässt. Nicht nur die Mütter, in der einen Hand den Latte Macchiato, mit der anderen Hand den Kinderwagen schiebend, haben diese Straße über Berlin hinaus bekannt gemacht. Jenseits dieser Klischees ist der Stadtteil im Nordosten Berlins, der einst zur DDR gehörte, vor allem eins: ein Ort, an dem sich der Gentrifizierungsprozess wie unter einem Brennglas beobachten ließ.

Der anarchistische Charme von Alternativen und Punks in unsanierten Häusern in den 80er Jahren ging nach der Wende allmählich verloren. Ein paar Ecken wirken heute wie eine blasse Überlieferung. Fast alle Fassaden der Altbauten sind mittlerweile schick gemacht. Die Mieten gehören zu den teuersten der Stadt.

Doch an manchen Orten, zum Beispiel der Kastanienallee 10, gibt es auch noch moderate ­Mieten. An einem frostigen Januartag sitzt Marco Kling­spohn in seiner 3-Zimmer-Wohnung im Quergebäude eines Altbaus, der eingebettet ist zwischen einem schicken Eisladen und einem langjährigen Fahrradgeschäft. Klingspohn regt sich über die Bundesregierung auf, die es nicht vermag, Mie­te­r*in­nen angemessen zu schützen.

7,38 Euro pro Quadratmeter zahlt Klingspohn derzeit, Traumpreise im Berliner Mietenwahnsinn. Die Frage ist aber, wie lange das noch so bleibt. Neben ihm sitzt sein Nachbar Tom Sello, geboren im sächsischen Meißen, der 1979 als Maurer nach Berlin zog und im Prenzlauer Berg in der Friedens- und Umweltbewegung aktiv wurde. Von 2017 bis 2023 war Sello in Berlin Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, heute ist er in Rente.

Klingspohn und Sello leben in der Kastanienallee schon seit über 20 Jahren. Sie bezogen ihre Wohnungen als das Land Berlin Fördermittel an Ei­gen­tü­me­r*in­nen gab, um die Häuser zu sanieren. Im Gegenzug wurden die Mieten für einen gewissen Zeitraum staatlich reguliert. Doch dieser Bindungszeitraum läuft nach ihren Angaben Ende Februar aus. Im Haus führe das zu großer Verunsicherung.

Knapp 5.000 Wohnungen fallen aus der Sozialbindung

Gewiss ist: Die Mieten werden steigen. Ungewiss ist: Was das im Einzelnen für die Be­woh­ne­r*in­nen bedeutet. „Ich durfte damals hier einziehen, weil ich meine alte Wohnung ein paar Straßen weiter entfernt wegen einer umfassenden Sanierung verlassen musste“, sagt Kling­spohn. „Ich habe mich auch schon um eine kleinere Umsetzwohnung bemüht, aber der Bezirk bietet in diesem Fall nur zwei statt drei Zimmer an, was für meine Frau und mich wegen Homeoffice nicht in Frage kommt.“

Das Land Berlin prognostiziert, dass in der Hauptstadt allein in diesem Jahr die Sozialbindung von 4.888 Wohnungen ausläuft. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) werden bundesweit bis 2035 durchschnittlich jedes Jahr 40.000 Sozialwohnungen aus der Bindung fallen. Das bedeutet: Diese Wohnungen können dann nach den üblichen Marktkonditionen vermietet werden.

In Wohnlagen, die als angespannt gelten, dürfen Mieten innerhalb von drei Jahren um 15 Prozent steigen, wenn sie noch unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. So ist die aktuelle Gesetzeslage. Die Ampelregierung hatte sich dagegen vorgenommen, die sogenannte Kappungsgrenze auf 11 Prozent zu senken, um den Mietenanstieg etwas abzubremsen. Nur bislang ist nichts passiert.

Gemeinsam mit 10 weiteren Nach­ba­r*in­nen aus dem Haus schrieben Klingspohn und Sello deshalb im Dezember 2023 einen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), er solle doch „seiner Pflicht nachkommen und den notwendigen Gesetzentwurf“ erstellen. „Wir sind ein sehr diverses Haus. Menschen mit Migrationsgeschichte, Familien mit kleinen Kindern und Rentner, Menschen mit mehr und weniger Geld, wir leben hier nebeneinander“, sagt Klingspohn.

FDP blockiert beim Mietrecht

Im Januar hat er eine Antwort vom Justizministerium erhalten: „Wenn sich alle Seiten an die Koalitionsvereinbarungen halten, kann die Umsetzung zügig vorankommen“, heißt es darin. Kein Wort des Bedauerns. Ein fester Zeitpunkt wird auch nicht genannt. Es ist quasi die Standardantwort des Ministeriums, die auch die taz schon mehrfach erhalten hat, wenn sie sich nach der ausstehenden Mietrechtsnovelle erkundigte.

Hintergrund, warum es mit dem Mieterschutz nicht vorangeht, ist ein regierungsinterner Streit. Der Justizminister hatte im Oktober 2022 alternativen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt – doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lehnt diesen Entwurf ab. Weil die beiden Mi­nis­te­r*in­nen bei dieser Frage nicht zusammenkommen, lässt auch die Mietrechtsnovelle auf sich warten.

„Das ist doch unerträglich. Diese Sachen haben doch nichts miteinander zu tun“, sagt Klingspohn. Sein Nachbar Tom Sello befürchtet, „dass dieser Punkt der Koalitionsvereinbarung ganz unter den Tisch fallen könnte“. Dabei würde die Umsetzung „nicht nur uns, sondern ganz vielen Menschen helfen.“ Die Miete mache schon jetzt 41 Prozent der Renteneinkünfte von ihm und seiner Frau aus, sagt Sello, „Der Anteil wird steigen. Die Regierung entscheidet in welchem Tempo und damit, wie lange wir noch in der Kastanienallee wohnen können.“

Das Problem ist: Einfach eine kleinere, günstigere Wohnung zu beziehen, ist auf dem Berliner Mietmarkt auch nicht so leicht. Sello erzählt dann von einer Nachbarin, die schon vor drei Jahren aus dem Haus gezogen ist: „Sie hat sich schon damals genau ausgerechnet, dass sie diese Miete mit ihrer Rente nicht mehr bezahlen kann.“ Die Geschichte aus der Kastanienallee Nummer 10 erzählt eben das, was Verdrängung im Kern bedeutet: Am Ende bleiben nur die, die es sich noch leisten können.

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