Kritik an Jan Böhmermann: An den Schamhaaren herbeigezogen

Jan Böhmermann hat dazu aufgerufen, „einfach mal ein paar Nazis zu keulen“. Was wollte der Satiriker damit eigentlich sagen?

Eine Frau sitzt vor dem Fernseher und verspeist einen Truthahn

Darstellung einer weiteren möglichen Bedeutung des Wortes „keulen“ Foto: Justin Case/getty images

Jan Böhmermann hat es in seinem „ZDF Magazin Royale“ mal wieder krachen lassen. Am Ende seiner starken Sendung über die rechtsextreme FPÖ in Österreich gab er dem Publikum mit auf den Weg: „Bitte nicht vergessen, nicht immer die Nazikeule rausholen, sondern vielleicht einfach mal ein paar Nazis keulen.“

„Keulen“ bedeutet in erster Linie das Töten von Schlachtvieh. Das Wortspiel war ein vermeintlicher Elfmeter, den Böhmermann unbedingt verwandeln wollte. Könnte aber sein, dass der Ball eine leichte Beute für den Nazi-Torwart wird. Für mich als entfernten Genrekollegen steht dabei weniger der Mordaufruf als solcher in der Kritik, denn es ist keiner. Es ist die Performance eines Mordaufrufs, ausgesprochen von einer Bühnenfigur. Dazu gehört auch Mimik, Gestik und Tonfall. Es nur so zu lesen, wie es geschrieben steht, wird einer Bewertung nicht gerecht.

Trotzdem hinterlässt mich die Posse etwas ratlos. Mir ist überhaupt nicht klar, was der Künstler damit sagen will. Unklarheit an sich kann zwar gutes Handwerk sein, aber der Satz ist, wie vieles auch bei Lisa Eckhart, nicht vielschichtig in seiner Unklarheit und legt daher nahe, dass hier nur mal jemand einfach einen aus tiefster Seele raushauen wollte. Auch das kann man als auflockerndes Stilmittel machen, hier die Hypotaxe, da die Parataxe, hier der komplizierte Gedanke und da der Kalauer zur kurzen Entspannung des Publikums. Grips und Tricks, Belehrung und Erbauung, Zuckerbrot und Peitsche – das Sendung-mit-der-Maus-Prinzip.

Damit ficken sie unser Hirn

Das reicht mir nicht so richtig. Wo zeigt sich da insgesamt der Bruch, die zweite Ebene? Allenfalls vage in besagtem Performancecharakter versteckt. Ansonsten ist die Aussage schon recht grobkörnig. Und weit weg vom guten Tipp unserer Stand-up-Kollegin Michelle Obama, „When they go low, we go high“: Wir bleiben doch bitte möglichst über dem Niveau des Feindes.

Wo die Rechten nicht dumm sind, stellen sie sich dumm

Dieser wird nun erwartbar von „Mordaufruf“ faseln – damit kennt er sich schließlich aus (Petr Bystron, AfD: „Solche Menschen müssen wir selbstverständlich entsorgen“). AfD, FPÖ und Reichelt-Nius schäumen jetzt schon, der parteilose Politiker Marcel Luthe (ehemals FDP) hat bereits Strafanzeige gegen Böhmermann erstattet.

Der redet sich im Nachhinein auf X damit heraus, dass er mit „keulen“ masturbieren meinte, doch diese an den Schamhaaren herbeigezogene Nebenbedeutung kauft ihm selbst das eigene Lager nicht ab. Natürlich macht es einen Unterschied, wer, wo, wann, wie und zu welcher Gelegenheit etwas sagt, aber den Rechten ist das gleich. Wie immer legen sie alles, was einer ihrer Gegner sagt oder auch nicht sagt, auf ihre Weise aus. Wo sie nicht dumm sind, stellen sie sich dumm. Sie ignorieren Kontext und Metaebene. Mit diesem Terror der teils gespielten, teils immanenten Eindimensionalität treiben sie uns alle vor sich her. Damit ficken sie unser Hirn.

Fußballtrainer empfehlen ihren Teams gern, sich der eigenen Stärken zu besinnen und nicht immer schon im Vorhinein nur auf alles zu reagieren, was der Gegner macht. Das heißt in diesem Fall, die Deutungshoheit über das Gesagte, auch und gerade den Witz, für sich zu reklamieren. Warum auch nicht, denn Fundamentalisten, ob politisch oder religiös, ob rechts oder links, eint eines verlässlich: Sie haben und verstehen keinen Humor. Wenn sie bei Böhmermann keine zweite Ebene erkennen, entspricht das deshalb oft der Wahrheit; wenn sie ihre eigenen Vernichtungsfantasien als Ironie oder auch nur Überspitzung bezeichnen, ist das definitiv gelogen.

Träte jetzt also ein imaginärer AfD-Comedian mit den Worten auf, „Am besten das Pack zurück nach Afrika prügeln“ und „Auf der Stelle erschießen“ (Dieter Görnert, ehemals AfD), er sei ja nur eine Bühnenfigur und beriefe sich obendrein auf Böhmermann, wäre das in seiner ganzen Machart ein geradezu prototypisch rechter Move. Einerseits so durchschaubar falsch und dabei doch in all seiner offensichtlichen Verdrehung gar nicht so einfach zu widerlegen. Humor, jenseits der hierzulande vorherrschenden Türenklapp- und Klatschpappenliga, ist nun mal eine sehr komplizierte Sache.

Und, Achtung, jetzt wird es noch verwirrender: Guter Humor ist nicht lächerlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.