Orchestrierte „Wahlen“ in Belarus: Sie kämpfen für ein freies Belarus

Drei Oppositionelle erzählen von der Unterdrückung durch das Regime Lukaschenko – und ihrem Widerstand aus dem Exil.

Historische Flagge zeigen: Demonstrant gegen die Präsidentschaftswahl 2020 in der belarusischen Hauptstadt Minsk Foto: EPA-EFE/STR

Es ist eine Wahl, die diesen Namen nicht verdient: Am 25. Februar sind die Bürgerinnen und Bürger in Belarus aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Präsident Alexander Lukaschenko hat die „Wahl“ sorgsam orchestriert. Die Anführungszeichen braucht es zum Beispiel deshalb, weil von fünfzehn Parteien, die es in Belarus vor 2023 gab, nur noch vier übrig sind, allesamt regimetreu. Die Dezimierung wurde mit einer erzwungenen Neuregistrierung der Parteien erreicht.

Wenn es etwas Gutes an dieser Wahl gibt, dann, dass sie Anlass bietet für einen weiteren Appell: Schaut hin, was in Belarus – wieder und wieder – passiert! Nach der gefälschten Präsidentschaftswahl 2020 und der niedergeschlagenen Revolution ist ein Gewaltapparat entstanden, der wohl selbst das russische Pendant an Grausamkeit übertrifft. Immer noch sind laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Wjasna 1.420 politische Gefangene in Haft, oft unter schlimmsten Bedingungen. Allein in den vergangenen sechs Wochen sind mindestens zwei politische Gefangene gestorben, Wadzim Khrasko und Igor Lednik. Von vielen Häftlingen gibt es seit rund einem Jahr keine Lebenszeichen mehr.

Wir haben drei Menschen getroffen, die sich heute aus dem Exil (in Vilnius und Berlin) für ein demokratisches Belarus einsetzen. Sie wollen ihren Freun­d:in­nen und Mit­strei­te­r:in­nen, die in Belarus verblieben sind, auf diese Weise Mut zusprechen – und ihnen zeigen, dass sie sie nicht vergessen haben.

Leanid Sudalenka, 58, ist ein Menschenrechtler und Jurist aus Homiel. Er war zweieinhalb Jahre in Belarus in Haft. Nach seiner Freilassung floh er 2023 in die litauische Hauptstadt Vilnius.

Portrait von Leonid Sudalenka

Leanid Sudalenka Foto: privat

„Ich wollte Belarus nie verlassen. Dort ist alles, was ich habe – meine Frau, meine drei Söhne, meine Arbeit bei der Menschenrechtsorganisation Wjasna. Aber ich hatte Angst, wieder verhaftet zu werden. Wenige Monate nach meiner Entlassung hat der Staat das nächste Verfahren eingeleitet, wegen Unterstützung von extremistischen Handlungen.

In meiner Heimatstadt Homiel war ich Leiter des Wjasna-Büros. Zwei Jahrzehnte lang habe ich mich für die Verteidigung der bürgerlichen und politischen Rechte der Belarussen eingesetzt. Während der Proteste 2020 unterstützten wir die Opfer von Repressionen, rechtlich und finanziell. Im Januar 2021 wurden ich und zwei Mitarbeiterinnen verhaftet. Wir wurden nach Paragraf 342 verurteilt – uns wurde die Organisation und Finanzierung der Proteste vorgeworfen. Ich wurde später zu drei Jahren Haft und Arbeitslager verurteilt.

In der Untersuchungshaft waren die Bedingungen grausam. Ich wurde zeitweise mit zwölf Personen in einer Zelle von 10 Qua­drat­me­tern Größe festgehalten. Zehn von zwölf Personen haben geraucht, ich war einer von zwei Nichtrauchern. Die Toilette war ein Loch im Boden. Im Januar 2022 kam ich in die Strafkolonie Nummer 3 nahe der Stadt Wizebsk. Dort waren die Bedingungen für mich besser. Ich durfte öfter an die frische Luft gehen.

Wir politischen Gefangenen trugen gelbe Abzeichen, auf denen der Name und persönliche Daten standen. Mich erinnert es an die gelben Davidsterne, die Juden während der NS-Zeit tragen mussten. Politische Gefangene haben kein Recht auf Briefverkehr. Sie können nur viermal pro Monat telefonieren, in Anwesenheit des Gefängnispersonals – anders als „reguläre“ Gefangene.

Als Extremist und politischer Gefangener gilt eine Person schon dann, wenn sie nur ein paar Euro an eine oppositionelle NGO gespendet hat. Lukaschenko hat vor gut einem Jahr eine Amnestie für Gefangene angekündigt, auch da sind die politischen Gefangenen ausgenommen. Menschen, die viel schwerere Verbrechen begangen haben, zum Beispiel Mord, können hingegen entlassen werden.

Es gibt heute wohl keine fairen politischen Gerichtsverfahren in Belarus mehr. Der Richter kann eigentlich auch nicht mehr selbst über das Urteil entscheiden, sondern bekommt es von dem Gerichtsvorsitzenden vorgelegt, der wiederum von anderen Instanzen auf Linie gebracht wird.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich setze mich immer noch für ein neues Belarus ein. Ich spreche mit EU-Politikern, war im Europäischen Parlament zu Gast. Wir alle hoffen, dass sich die Situation im Land verändert. Zuletzt ist es oft passiert, dass Angehörige von Oppositionellen von der Geheimpolizei zu Hause aufgesucht und sogar verhaftet wurden. Beamte waren auch schon bei uns zu Hause und haben meinen Sohn gefragt, wann ich wiederkäme. Ich mache mir große Sorgen um meine Familie.“

Ludmila Pogodina, 39, hat viele Jahre mit einem Veranstaltungskollektiv Partys und Konzerte in Minsk organisiert. Seit 2022 lebt sie im Exil in Berlin. Gerade arbeitet sie an einem auto­fiktionalen Roman.

Portrait von Ludmilla Pogodina

Ludmila Pogodina Foto: privat

„Bei unseren Veranstaltungen in Minsk ging es vor allem darum, in Verbindung zu bleiben. Denn das Ziel des belarussischen Regimes ist es, die Menschen zu isolieren. Belarus ist ein patriarchal geprägtes Land. Wir wollten Räume schaffen, an denen sich queere Menschen, Feministinnen und Punks wohlfühlen können.

Im Frühjahr 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, haben drei Veranstaltungsorte geschlossen, an denen wir Partys veranstaltet hatten. Es gab eine weitere Emigrationswelle. Auch ich habe im April 2022 das Land verlassen und habe nun ein Arbeitsvisum für Freiberufler in Deutschland. Natürlich könnte ich zurückgehen, aber ich wüsste nicht, was dann geschehen würde. Mitglieder einer Band, die zurückgekehrt ist, sind umgehend inhaftiert worden.

Wir haben nicht nur eine wachsende Zahl von politischen Gefangenen, sondern auch immer mehr, die im Gefängnis sterben. Vor einigen Wochen ist der politische Aktivist Vadzim Khrasko in der Strafkolonie Nummer 3 in Wizebsk gestorben. In dieser Woche wurde bekannt, dass auch Igor Lednik, Mitglied der belarussischen Sozialdemokraten, in Haft gestorben ist.

Es gibt eigentlich kaum zivile Gemeinschaften in Belarus, die nicht von Repression betroffen wären. Wo immer Leute nicht gleichgültig sind, können sie zur Zielscheibe des Regimes werden.

Unsere Aufgabe im Exil ist es, zu informieren, aufzuklären und vorauszuplanen für die Zeit, in der die Verhältnisse sich ändern werden. Was wir tun können, ist, den Leuten in Belarus Hoffnung zu vermitteln. Man kann ihnen auch helfen, das Land für eine Weile zu verlassen, um zumindest kurz durchatmen zu können. Immer noch sind es 9 Millionen Menschen, die in Belarus leben müssen. Darunter viele, die nicht mit Lukaschenkos Politik einverstanden sind.

Außerdem ist es wichtig den Menschen zu zeigen, dass sie gesehen werden. Zum Beispiel, indem man Plattformen für queere Menschen schafft, denn natürlich gibt es eine solche Plattform innerhalb von Belarus nicht. Über VPN sind diese aber erreichbar.

Was jeder Mensch tun kann, ist, seine Freunde immer wieder über Belarus zu informieren – sodass auch Menschen Empathie entwickeln, die das Glück haben, nicht in einer diktatorischen Umgebung leben zu müssen. Es kann sie daran erinnern, dass man seine Freiheiten sehr leicht verlieren kann, wenn man sie nicht wertschätzt.“

Alina Nahornaya setzt sich mit ihrem Partner Ihar Sluchak gegen die Diskriminierung der belarussischen Sprache und die Russifizierung in Belarus ein. Wegen ihres Engagements waren die beiden nicht mehr sicher in Belarus und flohen nach Vilnius.

Portrait von Alina Nahornaya

Alina Nahornaya Foto: privat

„Eigentlich gibt es zwei Amtssprachen in Belarus: Russisch und Belarussisch. Der Staat ist gesetzlich zur Zweisprachigkeit verpflichtet. In der Realität wird das Belarussische sehr wenig verwendet. Mit Russisch kommt man problemlos zurecht im Alltag – wenn man dagegen Belarussisch sprechen und schreiben will, werden einem Steine in den Weg gelegt.

Auffällig ist es schon im Bildungssektor: In weniger als 10 Prozent der Schulen wird auf Belarussisch unterrichtet, meist sind dies Schulen in Dörfern. An keiner einzigen Hochschule in Belarus kann man problemlos ein komplettes Studium auf Belarussisch absolvieren. Ich habe eine Studie dazu erstellt und ein Buch veröffentlicht. Nahezu in der gesamten Öffentlichkeit dominiert das Russische, ob in Shops, im Verkehr, in Restaurants, im medizinischen Sektor, selbst im Internet.

Mein Partner und ich haben sehr viele Briefe an Institute, Firmen und Unternehmen geschrieben und sie aufgefordert, die belarussische Sprache zu nutzen. Mit Erfolg: Fahrkarten und Formulare wurden aufgrund unserer Initiative in belarussischer Sprache zur Verfügung gestellt, Firmen druckten Informa­tio­nen auf ihren Produkten in belarussischer Sprache. Sogar Coca-Cola haben wir dazu gebracht, seine Sprachpolitik zu ändern.

Dem Staat ist unser Engagement ein Dorn im Auge. Nach den Protesten 2020 kamen etwa alle zwei Wochen Sicherheitskräfte oder Polizeibeamte und befragten uns. Unsere Accounts in den sozialen Medien wurden als extremistisch eingestuft. Wir hatten Angst, verhaftet zu werden, verließen unser Haus und lebten zwei Jahre lang in verschiedenen Verstecken. Irgendwann waren wir einfach müde, so leben zu müssen. Also flohen wir nach Vilnius.

Gerade jetzt, wo Russland einen schrecklichen Krieg gegen die Ukraine führt, ist es wichtig, Belarus getrennt von Russland wahrzunehmen. Als eigenes Land, mit eigener Kultur. Das Lukaschenko-Regime repräsentiert Belarus nicht.

Vor allem dürfen wir die Oppositionellen nicht vergessen, die in Belarus geblieben sind. Wir müssen sie unterstützen, so gut es geht – und ihnen Mut zusprechen.“

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