Fraktionsklausur der Grünen in Leipzig: An der Schuldenbremse vorbei

Grüne und SPD jonglieren mit neuen Modellen, um Union und FDP davon zu überzeugen, die Schuldenbremse zu umgehen. Kann das funktionieren?

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht zum Auftakt der Klausurtagung der Bundestagsabgeordneten der Grünen zu Journalisten.

Zeigt er Richtung Exit oder Ausweg? Robert Habeck Foto: Jan Woitas/dpa

LEIPZIG UND BERLIN taz | Die Werkshallen sind voll ausgelastet. In einem Gewerbegebiet im Leipziger Westen ist am Mittwoch eine Gruppe Grünen-Abgeordneter zu Gast, sie machen im Rahmen ihrer Klausurtagung einen Abstecher zum Straßenbahnhersteller Heiterblick. Zu sehen bekommen sie auf ihrem Ausflug einiges: An neuen Wagen für Dortmund schrauben die Ar­bei­te­r*in­nen in der einen Halle, neue Trambahnen für Würzburg stehen in der anderen. Das Auftragsbuch ist voll.

Zumindest noch: Was die Firma in diesem und den nächsten Jahren abarbeitet, wurde alles vor Beginn des Ukrainekriegs geordert. Seitdem, so der Geschäftsführer, stiegen allein die Materialkosten um über 40 Prozent. Gleichzeitig steht es um die öffentlichen Haushalte bekanntermaßen nicht mehr blendend. Woher in Zukunft das Geld für neue Bahnen und andere Projekte kommt: ungewiss.

Auf ihrer Klausur verabschieden die grünen Abgeordneten später am Tag einen konkreten Vorschlag. „Ohne eine Reform der Schuldenbremse werden wir das Notwendige nicht finanzieren können“, heißt es in ihrem Beschluss. Die Bundestagsfraktion fordert die Errichtung eines Investitionsfonds, für den der Staat nach einer Grundgesetzänderung mehr Kredite aufnehmen dürfte als bisher.

Sie modifiziert damit einen Vorschlag, den Vizekanzler Robert Habeck Anfang Februar unterbreitet hatte: Er möchte Milliardenkredite aufnehmen, um Unternehmen mit Steuererleichterungen für Investitionen zu belohnen. In der Variante der Fraktion tauchen ebenfalls Anreize für private Aufwendungen auf, vor allem geht es aber um öffentliche Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur.

Kommt der Sonderfonds fürs Klima?

Aus grüner Sicht ist ein Weg vorbei an der Schuldenbremse dringend nötig – ob in dieser oder in anderer Form. Für den Haushalt 2025 fehlen nach jetzigem Stand Mittel in zweistelliger Milliardenhöhe, für die Folgejahre sieht es nicht besser aus. An der Schuldenbremse schrauben lässt sich aber nur über eine Grundgesetzänderung und dafür müsste neben der FDP auch die Union überzeugt werden.

Auf CDU und CSU zielt daher der neue Vorschlag wesentlich ab: Vom Investitionsfonds sollen neben dem Bund auch Kommunen und Länder profitieren. Also: auch Bür­ger­meis­te­r*in­nen und Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen der Union, die zum Teil ebenfalls Reformbedarf sehen, aber CDU-Chef Friedrich Merz bisher nicht überzeugen können. „Wenn es so viele Befürworter gibt, muss es auch einen Weg geben“, sagt Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge in Leipzig mit Blick auf die Konservativen.

Ob das Kalkül aufgeht? Ein Fonds mit Schwerpunkt Klimaschutz würde vor allem bei den Grünen und Habeck einzahlen. Große Erfolge gönnen ihnen erfahrungsgemäß aber weder FDP noch Union. Anders sähe das bei weiteren Modellen aus, für die es unter den Grünen Sympathien gibt: das Sondervermögen für die Bundeswehr aufzustocken oder die Ukraine-Hilfen künftig durch Kredite zu finanzieren und so Luft im Kernhaushalt zu schaffen. Beide Verwendungszwecke sind nicht genuin grün, hinter beiden könnte sich die Union sammeln.

„Wir müssen die notwendigen haushaltspolitischen Lösungen finden, damit die Ukraine den Krieg gewinnen kann“, sagt etwa die Grünen-Abgeordnete Karoline Otte. „Dafür müssen wir die Schuldenbremse hinterfragen. Eine Aussetzung der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen für die Unterstützung der Ukraine sind relevante Optionen.“ Nicht nur für die militärische Unterstützung schwebt ihr das vor, sondern auch, um den ukrainischen Staat am Laufen zu halten und Wiederaufbauprojekte anzugehen.

Viele Vorschläge, wenige realistische Optionen

Theoretisch kommt das nicht erst für den Haushalt 2025 in Frage, sondern schon für das laufende Jahr: Prinzipiell haben die Ampelparteien schon Ende des letzten Jahres vereinbart, 2024 die Schuldenbremse wieder auszusetzen, falls sich die Lage der Ukraine verschlechtert. Um die Notstandsklausel zu ziehen, bräuchte es anders als für ein neues kreditfinanziertes Sondervermögen nicht mal eine Verfassungsänderung, also auch keine Stimmen der Union.

Einen großen Haken gibt es aber auch dabei: Ob sich die FDP tatsächlich noch an die Vereinbarung gebunden fühlt, ist fraglich. In dem Bundestagsbeschluss, mit dem die Koalition letzte Woche ihre Solidarität mit der Ukraine bekräftigte, tauchte der Punkt nicht mehr auf.

Immerhin mit der SPD könnten die Grünen aber noch Allianzen bilden. Kanzler Olaf Scholz wies zwar am Dienstag erneut darauf hin, dass für eine Grundgesetzänderung keine Mehrheit in Sicht sei. Seine Fraktion arbeitet aber auch an Vorschlägen für eine Reform der Schuldenbremse und hat dafür eine Steuerungsgruppe eingesetzt. Geleitet wird sie von Fraktionsvize Achim Post, dabei sind auch die Vizes Verena Hubertz und Matthias Miersch, Haushälter Dennis Rohde und Finanzpolitiker Michael Schrodi. Anfang März will sich die Gruppe zum ersten Mal treffen, bis zum Sommer ein Zwischenergebnis vorlegen.

Schon auf ihrem Parteitag im Dezember hatte die SPD etwa ein Sondervermögen für Bildung gefordert. An Vorschlägen für mehr finanziellen Spielraum mangelt es in der Ampel also nicht. Nur an den nötigen Mehrheiten.

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