Wolf-Dieter Vogel Latin Affairs
: „Wir wissen,
wo du lebst“

Hat das Sinaloa-Kartell den Wahlkampf des mexikanischen Staatschefs Andrés Manuel López Obrador finanziert? Mit dieser Frage haben jüngst mehrere Journalist*innen, unter ihnen Anabel Hernández für die Deutsche Welle und Natalie Kitroeff für die New York Times, für Wirbel gesorgt. Dabei ging es nicht um die im Juni in Mexiko anstehenden Präsidentschaftswahlen, zu denen López Obrador ohnehin nicht mehr antreten darf. Dessen Kampagne für den Urnengang im Jahr 2006 sei von der Mafiaorganisation mit Millionen US-Dollar unterstützt worden, schrieb Hernández. Sogar noch 2018, also in der jetzigen Amtszeit des Staatsoberhaupts, habe es Treffen zwischen seinen Vertrauten und Anführern des Sinaloa-Kartells gegeben, ergänzte die Times. Die Quelle: drei Informanten, „die sich im Thema auskennen“.

López Obrador, kurz AMLO genannt, verlor die Wahl 2006 vermutlich aufgrund eines Betrugs seines konservativen Konkurrenten Felipe Calderón. Das ist Geschichte. Die „Enthüllungen“ von 2018 könnten aber angesichts der anstehenden Wahl, in der López Obrador seine potenzielle Nachfolgerin Claudia Sheinbaum promotet, große Wirkung entfalten. Zumal der Linkspolitiker sich gerne als Saubermann inszeniert, der den Korrupten des alten Regimes den Kampf angesagt hat.

Doch die Beweislast ist dünn. Alle Informationen entstammen offensichtlich den Archiven der US-Antidrogenbehörde DEA. Kitroeff selbst erklärt, warum die Recherchen wenig hergeben: „Ein guter Teil der von den Beamten zusammengesammelten Informationen stammt von Informanten, deren Aussagen sich schwer erhärten lassen und gelegentlich inkorrekt sein könnten.“ Hernández sparte sich gleich den Konjunktiv und schrieb von „soliden Beweisen“ und „vertrauenswürdigen Berichten“. Die Kriminellen hätten im Gegenzug für die Zahlungen Schutz vor staatlicher Verfolgung und Mitspracherecht bei der Ernennung des Generalstaatsanwalts erwartet.

Die de facto unbewiesenen Vorwürfe ließen Kri­ti­ke­r*in­nen wie den Journalisten Temoris Grecko vermuten, dass die DEA gezielt Infos weitergebe, um auf den mexikanischen Wahlkampf Einfluss zu nehmen. Die US-Behörde habe noch Rechnungen mit López Obrador offen, schreibt er. Zum Beispiel, weil der Staatschef die Handlungsfreiheit der in Mexiko aktiven DEA-Beamten eingeschränkt habe. Doch selbst die US-Regierung legt keinen Wert darauf, den Vorwürfen gegen López Obrador auf den Grund zu gehen. Schließlich ist auch in den USA Wahlkampf, und da braucht Joe ­Biden AMLO als Verbündeten bei der Eindämmung der Migration.

Was auch immer an den Berichten dran ist, für das Sinaloa-Kartell lief nach 2006 ohnehin alles besser, nachdem Calderón das Rennen machte. Der Konservative entfachte unter Führung seines Sicherheitsministers Genaro García Luna einen „Krieg gegen die Drogenmafia“, der in erster Linie gegen die Gegner dieser kriminellen Organisation geführt wurde. Und García Luna sitzt jetzt in den USA hinter Gittern, weil er für die Sinaloa-Mafia tätig war.

Doch AMLO wäre nicht AMLO, wenn er die Vorwürfe einfach ins Leere hätte laufen lassen. Also veröffentlichte er jüngst auf einer Pressekonferenz die Telefonnummer der New-York-Times-Korrespondentin Kitroeff. Dass das in einem Land, das zu den tödlichsten für Jour­na­lis­t*in­nen zählt, auf scharfe Kritik stieß, wollte er nicht nachvollziehen. Soll sie halt ihre Telefonnummer wechseln, fand er. Es gehe schließlich um „die Würde des Präsidenten von Mexiko“. Der Korrespondentin werde „absolut nichts passieren“, versicherte López Obrador, in dessen Amtszeit laut Reporter ohne Grenzen 46 Medienschaffende ermordet wurden.

Und beinahe wären es schon 47. Vergangene Woche verschleppten Unbekannte den Journalisten Jaime Barrera. Nur großer öffentlicher Druck sorgte dafür, dass er zwei Tage später wieder freikam. Es sei eine Warnung wegen seiner Berichterstattung gewesen, sagte Barrera und zitierte seine Entführer: „Wir wissen, wo du lebst und wo du und deine Familie sind.“

Wolf-Dieter Vogel schreibt für die taz aus Mittelamerika.