Diskussion über AfD-Verbotsverfahren: „Es müsste wasserdicht sein“

Ein Verbot der AfD hält Rechtsextremismus-Experte Steffen Kailitz nicht für die beste Lösung. Und warnt vor einem überstürzten Verfahren.

Protest mit Schildern und Plakaten.

Proteste gegen die AfD unter dem Motto Wir Sind Die Brandmauer, Demokratie verteidigen, 3.2. in Berlin Foto: Stefan Bonss

taz: Herr Kailitz, am Dienstag wird vor dem Oberverwaltungsgericht Münster darüber entschieden, ob der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen darf. Glauben Sie, dass das Bundesamt gewinnt?

Ja, ich rechne fest damit. Ich kenne das Dossier des Verfassungsschutzes nicht, aber ich kenne die Äußerungen der AfD, und wenn man die zusammenträgt, müsste es wasserdicht sein. Als Sozialwissenschaftler kann ich sagen, das frei zugängliche Material reicht für eine solche Einstufung vollkommen aus.

Steht die AfD Stand jetzt also nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?

Nein. Äußerungen wie auch Positionierungen der Partei spiegeln ethnischen Nationalismus wider, der mit grundlegenden Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Wenn der Bundesverfassungsschutz dieses Material dicht vorgelegt hat, kann das Gericht eigentlich zu keinem anderen Urteil kommen, als dass die Einschätzung gerechtfertigt ist. Und die bisherigen Verfahren gegen die Junge Alternative sind auch so ausgegangen.

Jahrgang 1969, ist Politikwissenschaftler am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Er ist Rechtsextremismus-Experte und war Gutachter vor dem Bundesverfassungsgericht beim zweiten NPD-Verbotsverfahren und auch zuletzt, als es um die Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung der NPD ging. Zudem war er Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag. Kailitz beschäftigt sich auch mit der AfD. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Landesverband Sachsen und der Entwicklung der Gesamtpartei.

Was passiert danach?

Ich gehe fest davon aus, dass nach dem Urteil im Laufe dieses Jahres die Hochstufung als gesichert rechtsextremistisch erfolgen wird. Das heißt aber nicht, dass die AfD erst jetzt plötzlich rechtsextrem geworden ist. Es gab ja beim Verfassungsschutz die Problematik Hans-Georg Maaßen, der lange ein Bremsklotz bei der Einschätzung der AfD war. Er ließ immer klarer Sympathien in diese Richtung erkennen – das ist meines Erachtens nicht gut genug aufgeklärt.

Der Verfassungsschutz soll eigentlich ein Frühwarnsystem sein. Er ist hier allerdings reichlich spät dran, oder?

Das sehe ich auch so, aber Aktivismus des Verfassungsschutzes ist auch nicht wünschenswert. Er kann nicht einfach auf Verdacht agieren – eine Einstufung hat ja gravierende Folgen für eine Bewegung oder Partei. In der AfD wird es vor allem für die nicht ganz wenigen Mitglieder im Staatsdienst, also Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, problematisch, weil sie einen Treueeid geleistet haben. Vor allem muss eine Einstufung gerichtsfest sein, weswegen ich die Vorsicht beim Thema verstehen kann: Wenn ein Gericht sagt – nee, das Material reicht nicht aus, wäre das natürlich eine PR-Feier für eine rechtsextremistische Partei wie die AfD.

Nach der Correctiv-Recherche zum Geheimtreffen, wo rechtsextreme Pläne diskutiert wurden, gingen Millionen Menschen gegen die AfD auf die Straße – auch mit der Forderung nach einem AfD-Verbot, gerade hat Bremen auch einen Vorstoß im Bundesrat damit begründet. Sollten die Zuständigen ein Verbot schnell auf den Weg bringen?

Die potenziellen Antragssteller sind nicht gut beraten, überstürzt ein Verbotsverfahren einzuleiten ohne gesicherte Erfolgswahrscheinlichkeit. Im Moment wäre die Einleitung schlicht verfrüht. Erst einmal braucht es die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch den Bundesverfassungsschutz. Vorher wäre es nicht ratsam, weil das Scheitern und damit ein Propaganda-Coup der AfD ein zu großes Risiko wären.

Wie erfolgversprechend wäre aus Ihrer Einschätzung ein Verbotsverfahren gegen die AfD?

Beim gescheiterten NPD-Verbot war ja das Argument, die Partei ist zwar verfassungsfeindlich, aber zu unbedeutend. Das ist bei der AfD anders. Aber daraus ergibt sich ein anderes Problem: Wer eine Partei mit teils über 30 Prozent Zustimmung in diversen Bundesländern verbieten möchte, muss mit großen Verwerfungen rechnen. Die AfD ist mittlerweile selbst im Westen zweistellig. Das sind ganz andere Rahmenbedingungen als beim Verbotsverfahren gegen die NPD. Die damals vom Gericht angelegte Potenzialität ist ja auch ein sehr problematisches Kriterium, ich hätte ein Verbot im Falle der NPD für rechtfertigbar und notwendig gehalten. Natürlich ist es ein extrem massiver Eingriff, aber ich halte ihn als Ultima Ratio im Extremfall für richtig.

Was schlagen Sie also vor?

Damals gab es ja auch den Anstoß des Bundesverfassungsgerichts, eine Möglichkeit zu schaffen, rechtsextreme Parteien aus der Parteienfinanzierung auszuschließen.

Sie meinen, man sollte der AfD die Gelder streichen?

Die AfD lebt von staatlichen Geldern. Sie bekommt aufgrund ihres Wähleranteils viele Millionen Steuergeld. Wenn der Staat einerseits Programme gegen Rechtsextremismus, andererseits eine bald als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei finanziert, ist das paradox. Das wäre der Schritt, den man direkt nach der Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ prüfen sollte: Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann man der AfD die staatliche Parteienfinanzierung entziehen? Das würde sie massiv schwächen.

Wäre das in der Begründung ähnlich schwer oder leichter als ein Verbot?

Es ist von den Grundkriterien schon ähnlich schwer. Auch in diesem Verfahren gibt es Unwägbarkeiten. Aber wenn man schon initiativ werden will, wofür ich volles Verständnis habe, würde ich aus zwei Gründen dazu raten, bei der Streichung von Geldern anzufangen: Erstens ist das Verfahren deutlich kürzer, wie man bei dem Vergleich der Verfahrenslänge in Sachen NPD sehen kann. Zweitens wäre der negative Effekt bei einem Scheitern nicht annähernd so hoch. Wenn man versucht, die staatliche Parteienfinanzierung zu entziehen, ist die propagandistische Ausschlachtbarkeit geringer.

Die Opferinszenierung würde aber auch dadurch Legitimität erhalten.

Natürlich wird die AfD sich immer als Opfer darstellen, das gehört zu ihrem Geschäftsmodell. Aber ein gescheitertes Verbotsverfahren wäre für die AfD das ganz große Ding. Beim Verbot ist auch der Druck auf das Bundesverfassungsgerichts viel höher, weil es hier eine Berufungsmöglichkeit am Europäischen Gerichtshof gibt und hier nochmal andere Maßstäbe angelegt werden. Das ist beim Entzug der staatlichen Finanzierung auf Zeit bei einer Partei nicht in gleicher Weise der Fall.

Wäre es denkbar, zunächst die Finanzierung zu streichen und dann ein Parteiverbot anzugehen?

Genau das wäre meine Politikempfehlung als Außenstehender. Man sollte das künftig als Stufenmodell handhaben. Die Streichung der Gelder ist eine gelbe Karte. Die Finanzierung würde auf Zeit entzogen und nach einer Zeit wieder überprüft. Wenn man sich dann nicht gemäßigt hat, wird das Verbotsverfahren eingeleitet.

Seit wann ist die AfD aus Ihrer Sicht rechtsextrem?

In der Sozialwissenschaft spricht man spätestens seit 2016 und 2017 von einer im Kern rechtsextremistische Partei. Auch davor war die AfD nicht bloß rechtspopulistisch – die Rede vom gemäßigten Flügel war immer falsch. Auch Akteure wie Frauke Petry und Jörg Meuthen waren radikale Rechtspopulisten, die allerdings eine bestimmte Schwelle, anders als Höcke und seine Gefolgschaft, nicht überschritten haben. Danach war sicher eine Differenzierung zwischen Flügel und Nichtflügel sinnvoll, aber bei der Gesamtausrichtung der Partei war spätestens 2017 ganz klar, dass sie im rechtsextremistischen Fahrwasser ist.

Wo gibt es Parallelen, wo Differenzen zur NPD?

Wenn man nur Björn Höcke und sein Buch zugrunde legen würde, findet man NPD-Positionen in Reinkultur. Aber das trifft nicht auf alle Funktionäre zu: Zum Beispiel hatte Alice Weidel keine groß anderen Positionen als die radikalen Rechtspopulisten Jörg Meuthen oder Frauke Petry. Sie hat bloß das Bündnis gewechselt, nachdem es Spannungen mit Meuthen gab. Wer Höckes Buch liest, braucht keine Geheimrecherche. Da wird ganz offen von einem Remigrationsprogramm gesprochen, das man nicht ohne „wohltemperierte Grausamkeit“ durchführen könne. Da geht es nicht um kriminelle Ausländer, sondern um Personen, die zugewandert sind und keine ethnisch-deutsche Herkunft haben.

Welche Rolle spielen Verbindungen zu Rechtsextremisten, Identitären und Neonazis, die etwa in Bundestagsbüros arbeiten?

Hier muss man unterscheiden: Die AfD in ihrer gegenwärtigen Form ist Teil der Identitären Rechten. Abgrenzungsbeschlüsse zur Identitären Bewegung sind vollkommener Unsinn, weil bei beiden die gleiche Positionierung vorherrscht. Das ist Augenwischerei. Anders ist es bei Neonazis – da gab es bei der NPD starke Verbindungen. Da gibt es einen Unterschied zur AfD, der auch bei einem Parteiverbotsverfahren oder einem Verfahren zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung eine Bedeutung hat. Zur gewaltbereiten Neonaziszene hat die AfD im Unterschied zur NPD keine systematische Verbindung. Es gibt immer mal wieder Einzelfälle, aber keine systematische Durchdringung oder Verflechtung, wie wir sie bei der NPD beobachten konnten. Ja, bei der AfD sitzen keine militanten Neonazis wie Thorsten Heise im Vorstand.

Aber Thorsten Heise gilt als Freund von Björn Höcke.

Genau – sie kennen sich persönlich und stehen vor allem politisch nicht weit voneinander entfernt. Nichtsdestotrotz: Die Positionierung zu Gewalt – nicht zur Zuwanderung – als die Mittel, wie man vorgeht, da gibt es schon Unterschiede.

Was würde passieren, wenn die AfD an die Macht käme?

Ich gehe davon aus, dass das nicht der Fall sein könnte in absehbarer Zeit.

Aber im Ernstfall: Wo würden wir landen, bei einer illiberalen Demokratie wie bei Orbán oder gar einem rassistischen Apartheidsstaat?

Ich würde nicht behaupten, dass ein Nationalsozialismus 2.0 entstehen würde. Aber es würde eine Aushöhlung der Demokratie geben. Ebenso Versuche, andere Parteien in ihren Rechten und Möglichkeiten stark zu beschneiden, wie wir es in Ungarn und Polen gesehen haben. Und mit Blick auf die Migrationspolitik würde es sicher auch unter dem Stichwort Remigration ein Programm geben. Aber es ist heute schwer zu sagen, welches Ausmaß es hätte. Wenn Höcke freie Hand hätte, dann wäre es eindeutig NPD-Linie. Aber es bleibt eine gewisse Unwägbarkeit, wie stark andere Kräfte in der AfD sind. In jedem Fall wäre es ein rechtsextremes Regime, das versuchen würde, möglichst viele Menschen mit nicht ethnisch-deutscher Herkunft mittels einer staatlich getragenen Diskriminierung zu verdrängen. Es muss nicht zwangsläufig ein Apartheidsstaat sein, aber definitiv würde es eine staatlich gestützte Ausgrenzung geben.

Das klingt nach Sellners Vortrag: Ausweisungen, Ausweitung des staatlichen Gewaltmonopols, zielgerichtete Gesetze zur Erhöhung des sogenannten „Assimilationsdrucks“.

Ja, natürlich. Die AfD ist Teil dieser Identitären Rechten. Es ist eine andere Spielart des Rechtsextremismus, die nicht ganz so hart ist wie die Neonazi-Szene oder NPD. Aber das grundlegende Ziel ist auch hier: eine homogene Gemeinschaft der Deutschen durchzusetzen. Das ist der gemeinsame Nenner.

Was wäre aus Ihrer Sicht politisch der richtige Umgang mit der AfD?

Ich kann auf jeden Fall sagen, was der falsche Umgang mit der AfD ist: sich wie der thüringische CDU-Chef Mario Voigt auf ein gemeinsames TV-Fernsehduell mit Höcke einzulassen. Das finde ich schon extrem problematisch, weil es zur Normalisierung nicht nur der rechtsextremistischen Partei, sondern auch des Anführers ihrer radikalsten Vertreter, beiträgt. Das gibt schon Anlass zur Sorge, dass hier die notwendige Distanz durch Voigt nicht eingehalten wird und eine Abgrenzung auch nach den Wahlen nicht erfolgt.

Glauben Sie, dass die Brandmauer nach den Landtagswahlen im Osten noch Bestand hat?

Es gibt Unwägbarkeiten zum Beispiel mit Blick auf Mario Voigt, der ein Wackelkandidat ist. Aber ich gehe davon aus, dass die Einstufung des Verfassungsschutzes als gesichert rechtsextrem noch vor den Landtagswahlen kommt. Das wird null Effekt mit Blick auf die Wählerschaft haben, aber für die CDU in diesen Ländern schon. Auch wenn Wackelkandidaten wie Voigt dabei sind, werden sie danach von der Bundesspitze so einen Druck bekommen, sich da auf Distanz zu halten, dass zumindest eine Koalition ausgeschlossen wäre.

Aber die Gefahr einer CDU-Minderheitsregierung in Thüringen unter Tolerierung der AfD bleibt – damit spielt Voigt ja jetzt schon.

Das ist eine ernstzunehmende Gefahr. Das ist ein Szenario, das ich im Unterschied zu einer CDU-geführten Landesregierung nicht komplett ausschließen würde.

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