Angriff auf iranischen Journalisten: Mordanschlag in Wimbledon

Das Opfer arbeitete für den TV-Sender Iran International, das unzensierte Nachrichten auf Persisch sendet. Vermutet wird ein politisches Motiv Irans.

Absperrband an der Stelle des Angriffs Foto: Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

LONDON taz | An der wenig befahrenen Straße im Stadtteil Wimbledon findet sich eine Mischung aus gepflegten staatlichen Sozialbauten und teuren privaten Wohnhäusern. Hier beginnen die ruhigen, grünen Vororte Londons. Stadtrandgebiete. Die weltberühmten Tennisplätze liegen gleich nebenan.

Eine Anwohnerin erzählt: „Hier ist es ruhig, aber ich finde es problematisch, dass man kaum Polizei sieht. Außer, wenn die Tennis­saison läuft.“ So gesehen sei Wimbledon der ideale Ort für solch ein Verbrechen wie das vom 30. März, als der aus dem Iran stammende Londoner Journalist Pouria Zeraati bei einem Messerangriff von drei Männern schwer verletzt wurde.

Wie inzwischen bekannt, flohen die Attentäter anschließend in einem Auto und verließen dann binnen weniger Stunden Großbritannien per Flugzeug. Zeraati überlebte den Angriff. Am Freitagnachmittag, knapp eine Woche nach dem Angriff, bemühte er sich jedoch zum ersten Mal wieder in das Studio von Iran International TV und trat sichtbar humpelnd, vor applaudierenden Kolleg:innen, wie gewohnt vor laufender Kamera auf.

In einem Interview für ITV News gab er an, dass er den Angriff auf ihn als Warnung gegen seine Sendung und Zu­schaue­r:in­nen verstünde, denn, so glaubt er, hätten die Attentäter beabsichtigt ihn zu ermorden, dann hätten sie dazu die Möglichkeit gehabt. ITV bemerkte, dass er nun polizeilich begleitet und bewacht werde, während Scotland Yard prüfe, ob es sich um einen Angriff mit staatlicher Zustimmung Irans handele.

Führt eine Spur nach Teheran?

Iran distanzierte sich vom Verbrechen, dennoch wird angenommen, dass Teheran hinter dem Angriff steckt. Iran International strahlt aus London unzensierte Nachrichten auf Persisch aus.

Die 71-jährige in Pakistan geborene Anwohnerin Gulshan Aslam kannte den Journalisten. „Ein gutaussehender junger Mann“, beschreibt sie ihn. So ein Verbrechen sei hier sehr selten. Sie erinnert sich nur an ein anderes, das schon viele Jahre zurückliegt. Doch der 18-jährige Archie am anderen Ende der Straße sieht das anders. „Klar, das war ein geplantes Attentat, das ist selten. Aber Messerstechereien gibt es viele in London“, meint er mit Verweis auf die 18 Teenager, die 2023 auf den Straßen Londons erstochen wurden und die 13.503 Messerangriffe in der Stadt allein im letzten Jahr.

Iranische Diaspora in London

Wie denken iranstämmige Lon­do­ne­r:in­nen über das Attentat? Die Angestellten im Diba, einem persischen Restaurant in Wimbledon, wollen sich nicht dazu äußern. Es sei ja ein politisches Thema, entschuldigt sich eine der Befragten.

Anders der 38-jährige IT-Experte Niyak Ghorbani. Er ist in den letzten Wochen dadurch bekannt geworden, dass er auf pro-palästinensischen Demos mit Plakaten auftauchte, auf denen stand, dass die Hamas eine terroristische Organisation sei. Dabei war Ghorbani sowohl von De­mons­tran­t:in­nen angegriffen als auch von der Polizei festgenommen worden.

Der IT-ler, der den Iran aus politischen Gründen verlassen hat, spricht über seine Unterstützung des Nachfolgers des einstigen Schahs, Mohammad Reza Pahlavi, und dass die iranische Republik 45 Jahre lang terroristische Gruppen unterstützt habe. Bedrohungen, etwa wie der Angriff auf den Journalisten Zeraati, können ihn persönlich nicht stoppen: Sie trieben ihn sogar noch an, sagt er der taz.

Der aus dem Iran stammende Londoner Journalist Pouria Zeraati Foto: Volant Media

Einer, der die iranische Exilgemeinschaft in London seit einigen Jahren kennt, ist der schottischstämmige Londoner Adam Baillie. Iranische Jour­na­lis­t:in­nen wie Zeraati verstünden London als Ort der Pressefreiheit, die es im Iran nicht gebe, sagt er. „Ich arbeite seit der Gründung 2017 als einziger Nicht-Iraner im Nachrichtenraum von Iran International“, erzählt er weiter.

Seine Kol­le­g:in­nen seien nicht politisch, sondern hofften lediglich auf ein freieres Iran. Viele hätten vor allem in den letzten zwei Jahren mit Drohungen gelebt. Das Attentat habe nun viele schockiert, obwohl sich alle, egal ob sie nun für Iran International oder den BBC World Service arbeiteten, der theoretischen Gefahr bewusst waren.

Tatsache sei, so Baillie, dass Scotland Yard zahlreiche andere potenzielle Attentate verunglimpft habe. Dennoch sei gerade jetzt eine verstärkte Nervosität zu spüren. Aber es gebe eine Kehrseite: „Als mein Chef mir letztes Jahr die Meldung zeigte: ‚Adam Baillie ist der Sprecher des Terrorsenders Iran International‘, war das einer meiner stolzesten Momente!“ Nämlich der Beweis, dass der Sender sich etabliert habe und wichtige Arbeit leiste, glaubt Baillie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2012 für die taz im ständigen Einsatz. In München geboren und aufgewachsen, machte er sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, unter anderem an der SOAS, wo er Politik und Geschichte studierte. Nach einer Rundfunkausbildung war er zunächst für DW im Einsatz. Neben dem Journalistischen war er unter anderem als qualifizierter Pilateslehrer, Universitätsassistent und für das britische Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom tätig. Für die taz bereist er nicht nur die abgelegensten Ecken Großbritanniens, sondern auch die Karibik und die Kanalinseln. Sein Buch über die Schoa "Soll sein Schulem. Verluste, Hass, Mord, Fragen der Identität aus autobiografischer Sicht," soll Ende 2024 oder Anfang 2025 erscheinen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.